An einem Menschen wie Uli Hoeneß ist besonders gut zu erkennen, was sich im Fußballstadion verändert hat. Vor 30 Jahren, als der FC Bayern noch im Olympiastadion spielte, da wurde er auch dann von Fotografen umringt, wenn er unten auf der Ersatzbank saß. Einmal, "bei einem Wahnsinnsspiel", wie Christina Pahnke erzählt, da saß Hoeneß nicht mehr, er lag. "Er springt bei einem Tor auf und lässt sich auf den Bauch fallen, volle Kanne neben mir, 24 Millimeter!"
Heutzutage sind solche Fotos nicht mehr möglich, aus verschiedenen Gründen. Wahrscheinlich würde sich Hoeneß nicht mehr auf den Bauch legen, das macht auch sonst niemand mehr in einer Branche, die einst gerne "Bundesliga-Zirkus" genannt wurde. Es ist aber eben auch so, dass sich die Fotografinnen und Fotografen selbst nicht mehr auf den Bauch legen dürfen - kein Witz, sondern eine Vorgabe der Deutschen Fußball Liga. Das Fernsehen oder der Streamingdienst bringen immer mehr Kameras mit, manchmal sind es 25, manchmal 37, eine fliegt sogar über die Spieler hinweg, dafür werden den Fotografen mit den grauen Leibchen hinter der Bande umgekehrt Blickwinkel verwehrt. An der Trainerseite darf heute sowieso niemand mehr sitzen. "Die TV-Kameras kommen immer näher ran, und wir immer weiter weg", sagt Pahnke. Immerhin: Dem Verband der Deutschen Sportjournalisten mit seinen Fotografen-Sprechern ist es zu verdanken, dass auch während der Pandemie Freiberufler regelmäßig ins Stadion konnten und können.
Christina Pahnke sitzt in ihrem Haus in Pasing, es gibt Kaffee aus einer Karaffe, der Hund will spielen. Solch ruhige Momente gibt es selten im Leben der 58-Jährigen. Einen festen Job hatte sie fünf Jahre lang als Museumsfotografin, in der Grafischen Sammlung. "Ich habe Repros gemacht für Bücher oder Kataloge, ein ganz anderer Job", sagt sie. Ein sicherer Job. Sie habe dort viel über Kunst gelernt, sagt sie, Sportfotografie sei natürlich "viel lebendiger". Doch sie hat die Kunst auch ein Stück weit herübergerettet in den Sport. Pahnke gilt als Feuilletonistin unter den Sportfotografen. Als eine, die eine Geschichte hinter der Geschichte sucht.
Zusammen mit ihrem Lebensgefährten und nunmehr Ehemann Stefan Matzke gründete sie die Agentur Sampics. Sie fotografieren nicht nur bei den Heimspielen der Bayern-Fußballer, sondern auch die Auswärtsspiele. Ebenso die Partien der Bayern-Basketballer, vom TSV 1860 München. Pahnke und Matzke haben auch viel Aufregendes bei den Olympischen Spielen erlebt. In Peking machte sie eines der berühmten Fotos von Gewichtheber Matthias Steiner, der in der einen Hand die Goldmedaille, in der anderen das Bild seiner verstorbenen Ehefrau hält.
Es ist freilich wichtig, solche Fotos im Portfolio zu haben. Es gibt viele von Sampics aus der jüngeren Geschichte, eines vom 25. Mai 2013, Wembleystadion. Es geht um den in München am meisten bejubelten Kullerball aller Zeiten: Arjen Robben überwindet Roman Weidenfeller und macht den FC Bayern zum Champions-League-Sieger. Pahnke saß leicht versetzt hinter dem Tor, aus ihrem Winkel sah man Robben direkt hinter dem Dortmunder Torwart. Der eine Moment, den man festhalten muss, sie hatte ihn. "Das war relativ einfach zu fotografieren, der Ball rollte auf mich zu", sagt sie. Er sei so langsam unterwegs gewesen, fügt sie lachend an, da habe man ja direkt viel Zeit gehabt.
Es gibt Journalisten, Urgesteine, die wahrscheinlich mehr wissen über den FC Bayern als Oliver Kahn oder Herbert Hainer. Und Journalisten beneiden die Fotografen manchmal darum, dass sie am Spielfeldrand Dinge zu hören bekommen, die man auf der Haupttribüne nicht hört und gerne im Block hätte. Das Besondere an Pahnke und Matzke ist aber ihr ganzheitlicher Ansatz: Es gibt wohl kaum jemanden, der den Münchner Sport als Ganzes besser kennt als diese beiden. Weil sie eben nicht nur Arjen Robben fotografieren, sondern auch den ausgewechselten Spieler des TSV Ottobrunn II, der sich erst einmal eine Zigarette ansteckt. Pahnke hat auch für den SZ-Lokalsport unzählige Fotos geschossen, die Serie über eine komplette Saison einer neunten Liga mündete in einer Ausstellung mit Lesung im "Ed Moses". Ein Foto aus dieser Serie belegte 2007 den zweiten Platz in der Kategorie "Sportfoto des Jahres". Passenderweise nach einem Spiel von Ottobrunn II gegen den SV Agfa. "Es hatte eine ganz besondere Stimmung", sagt Pahnke, die den Hintergrund einer Geschichte gerne in Zahlen packt: "Es war dunkel - ein Hundertfünfundzwanzigstel, 4000 Iso glaube ich. Und eine Stimmung, die es nur beim Lokalsport gibt."
Was also macht den Lokalsport aus? "Du bist näher dran", sagt sie. Außerdem: "Gänseblümchenfußball. Löwenzahn. Keine Banden. Du bist dem Regen komplett ausgeliefert." Dafür aber so nah an den Trainern, wie es seinerzeit im Olympiastadion möglich war. Fotos vom Amateurfußball haben jene Ästhetik, die zu Beginn von Pahnkes Karriere auch noch dem Profifußball innewohnte, und die heute wohl noch am ehesten vom Magazin 11 Freunde transportiert wird. Gelernt hat Pahnke bei Werner Rzehaczek, einer Art Ernst Happel des Fotojournalismus: ein Schleifer. "Werek war die härteste Schule meines Lebens", sagt sie über die Zeit in der Agentur.
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Ihre Beschreibung aus jener Zeit macht deutlich, wie sehr sich die Arbeit verändert hat. Damals: Hundert Filme vollknipsen, in die Agentur fahren und entwickeln, dabei die Filme mit dem Föhn trocknen, damit es schneller geht. 100 Abzüge in Schwarz-Weiß und in Farbe, für jede belieferte Zeitung eines, dann die Fotos bis 22 Uhr zum Bahnhof bringen. Heute: Den Chip von der Kamera in den Laptop stecken, zuschneiden, senden. Das bedeutet manchmal, dass man früher Feierabend hat. Es birgt aber auch die Gefahr, den einen wichtigen Moment zu verpassen, weil man jetzt auch während des Spiels mit der Technik beschäftigt ist.
Heute gibt es also den FC Bayern, der gegen Barcelona spielt. Und es gibt das, was Pahnke so beschreibt: "Sonntagmorgen, elf Uhr, Gegenlicht, Qualm wie in einer Kneipe, mehr Tabak als Sport. Aber in dem Moment, wo sie spielen, nehmen sie den Fußball genauso ernst." Also tut Pahnke das auch. Auf diesem Wege lernt man Leute kennen, um die sich die großen Medien erst kümmern, wenn sie berühmt sind. So lernte sie den heutigen Bundesliga-Trainer Manuel Baum als Torwart des FC Ismaning kennen. Stefan Matzke wiederum traf seinerzeit Julian Nagelsmann im 1860-Trikot.
Es geht eben um beides: um die Tagesaktualität, das Bild des Siegtorschützen oder des verschossenen Elfmeters. Es geht aber auch um die Dokumentation der Sportgeschichte in all ihren Facetten. Darum, den zeitgeschichtlichen Aspekt während der hektischen 90 Minuten mitzudenken. Wie viel es wert ist, solche Leute vor Ort zu haben, das weiß man erst viel später.