Podcast-AufzeichnungEin Abend am Abgrund

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Die SZ-Redakteure Patrick Bauer (links) und Annette Ramelsberger sprechen mit Jörg Schleyer, dem Sohn des 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, über den Terror der RAF.
Die SZ-Redakteure Patrick Bauer (links) und Annette Ramelsberger sprechen mit Jörg Schleyer, dem Sohn des 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, über den Terror der RAF. (Foto: Robert Haas)

SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger nimmt im Münchner Werk7 die letzte Folge ihrer Podcast-Reihe „Am Abgrund“ auf. Auch der Sohn eines der Opfer der RAF sitzt mit auf der Bühne.

Von Sophia Coper

Das vorläufige Ende ist zugleich eine Premiere. Statt im schummrigen Aufnahmestudio sitzen Annette Ramelsberger und Patrick Bauer zum ersten Mal im grellen Scheinwerferlicht im Werk7. Durch den fabrikhallenähnlichen Raum wabert die drückende Sommerhitze, die Gäste fächeln sich mit ihren Eintrittskarten Luft zu. Über den Köpfen der SZ-Redakteure hängt ein großer Bildschirm, auf ihm flimmern abwechselnd Fahndungsfotos und Bilder von Gerichtsprozessen.

Annette Ramelsberger berichtet seit 1997 für die Süddeutsche Zeitung, seit 2012 ist sie vorwiegend als Gerichtsreporterin tätig. Regelmäßig konfrontiert mit Verbrechen jeglichen Kalibers, sagt die 65-Jährige über ihren Beruf, sie arbeite „am Abgrund“. So heißt auch die siebenteilige SZ-Podcast-Reihe, in der Ramelsberger von Fällen erzählt, die sie besonders berührt oder nicht mehr losgelassen haben. „Der Abgrund sitzt nicht nur auf der Anklagebank, sondern manchmal auch gegenüber“, sagt sie im Gespräch mit Patrick Bauer, die Episoden widmen sich daher auch nachlässigen Ermittlungen bis hin zu Justizskandalen.

Am Montagabend indes sprechen Ramelsberger und Bauer über ein Stück deutscher Geschichte, über „Phantome aus einem Deutschland aus vergangener Zeit“, wie der stellvertretende Ressortleiter Audio & Video halb im Scherz, halb im Ernst sagt. Es geht um den Terror der Roten Armee Fraktion (RAF), um die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer 1977 und um den aktuellen Prozess gegen Daniela Klette, Mitglied der dritten Generation der RAF.

Die linksextremistische Terrororganisation verübte ab den 1970ern mehrere Sprengstoffattentate und ermordete dutzende Menschen. Um inhaftierte Mitglieder freizupressen, entführte die zweite Generation der RAF im Herbst 1977 den Präsidenten des Bundesverbandes der Arbeitgeber, Hanns Martin Schleyer. Als die westdeutsche Regierung den Forderungen nicht nachkam, erschossen die Geiselnehmer ihn.

Sein Sohn Jörg Schleyer nimmt am Montagabend neben Ramelsberger und Bauer Platz, dem Vater sieht er zum Verwechseln ähnlich. Ob er sich noch an den Moment erinnern könne, als er von der Entführung erfuhr? „Es wäre schön, wenn ich es nicht mehr wüsste“, sagt er. Medienvertreter hätten bei der Familie angerufen und von der Geiselnahme berichtet, erzählt Schleyer, danach sei eine „unbeschreibliche Zeit“ angebrochen.

Sechs Wochen lang wurde sein Vater als Geisel festgehalten, eine „hochemotionale Zeit“ für die Familie, die hoffte, dass er lebend zurückkehrt. Die Behörden vor Ort seien zudem mit den Umständen überfordert gewesen, es habe zu dem Zeitpunkt deutschlandweit kaum Personenschutz gegeben. „Keiner hatte Erfahrung“, sagt er und berichtet von Wachen, die in ungepanzerten Wagen vorfuhren und ihre Waffen im Kofferraum aufbewahrten.

Arbeitgebenpräsident Hanns Martin Schleyer wurde von der RAF entführt und später getötet.
Arbeitgebenpräsident Hanns Martin Schleyer wurde von der RAF entführt und später getötet. (Foto: ap/dpa/picture alliance)

Nach dem Attentat veränderte sich das öffentliche Bild von Hanns Martin Schleyer schlagartig. „Mein Vater war kein Sympathieträger“, sagt Jörg Schleyer, Medien hatten ihn zuvor als „Boss der Bosse“ bezeichnet und den leicht übergewichtigen Mann stets in einer bulligen Form abgebildet. „Mich hat es damals getroffen, dass ein Mensch durch so eine Aktion in ein anderes Licht gebracht wird“, sagt Schleyer, „so als ob es ihn vermenschlicht hätte.“

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Ausufernder wird Schleyers Kritik an diesem Abend nicht. Versöhnlich beantwortet er Ramelsbergers und Bauers Fragen, weder harsche noch verbitterte Worte kommen über seine Lippen. Stattdessen lobt er die wehrhafte Demokratie und warnt vor einem Rechtsruck, als die SZ-Gerichtsreporterin den Bogen von der RAF zur rechtsextremen Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) schlägt.

Ramelsberger dokumentierte das Gerichtsverfahren gegen das führende NSU-Mitglied Beate Zschäpe, den im März gestarteten Strafprozess gegen Daniela Klette von der RAF hat sie ebenfalls bereits besucht. Die beiden seien zwar sehr unterschiedlich, aber es gebe eines, was sie eine. „Sie werden verharmlost“, sagt sie, entweder als die nette Rentnerin oder das verliebte Anhängsel. „Darauf, dass sich eine Frau bewusst fürs Verbrechen entscheiden kann, kommt man nicht.“ Annette Ramelsberger arbeitet am Abgrund. Dort gibt es auch Mörderinnen und Terroristinnen.

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