Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Von der Bürokratie ausgebremst

Sahar S. und ihrer Familie gelang die Flucht aus Syrien. Gerne würde sie eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machen - wenn da nicht die Behörden wären.

Von Karin Kampwerth

Wer die Geschichte von Sahar S. hört, kann eigentlich nur den Kopf schütteln. Einerseits vor Entsetzen über das Leid, das ihre Familie erleben musste, bevor sie sich in deutscher Sicherheit ein neues Leben aufbauen konnte. Auf der anderen Seite aber auch darüber, wie schwer es Geflüchteten mitunter gemacht wird, hier unabhängig von staatlicher Hilfe Fuß zu fassen. Sahar S., 51, hat in Homs als Lehrerin gearbeitet und drei Jahre lang auch eine Schule geleitet. Doch die drittgrößte Stadt Syriens galt als Rebellenhochburg gegen das Assad-Regime. Dessen Truppen haben Homs seit 2015 in Schutt und Asche bombardiert.

Sahar S. und ihr Mann, Eltern von vier Kindern, taten, was viele Mütter und Väter in dieser Situation taten: Um zunächst die drei Söhne in Sicherheit zu bringen, kratzten sie ihr Geld zusammen und bezahlten einen Schlepper, der die jungen Männer nach Europa bringen sollte. Die Flucht misslang, das überfüllte Schlauchboot landete in Ägypten. Hier wurden die drei ins Gefängnis gesteckt, weil sie als staatenlos galten. Denn die Familie S. besitzt keine syrischen Pässe, nachdem sie einst als palästinensische Flüchtlinge Schutz im israelischen Nachbarland gesucht hatten.

Nun also noch einmal Flucht. Dieses Mal mit einem guten Ende, denn über ein Resettlementprogramm der Bundesregierung wurden die drei Söhne nach Deutschland gebracht. Sahar S., ihr Mann und die damals 14-jährige Tochter durften über den Familiennachzug 2016 nach München folgen.

Sahar S. wühlt die Erinnerung immer noch sehr auf. "Wenn ich daran denke, bekomme ich gleich Bluthochdruck", sagt sie. Ihr Mann hat diese aufreibenden Zeiten gesundheitlich noch weniger gut überstanden. Er ist herzkrank und nun braucht er auch noch eine Augen-Operation.

Wenigstens die Kinder sind alle auf einem guten Weg. Der erste Sohn studiert Pädagogik, der zweite macht ein Fernstudium und der dritte eine Ausbildung als Lackierer. Auch das jüngste Kind, eine Tochter, hat inzwischen einen Ausbildungsplatz in einer Arztpraxis gefunden.

Trotz Abitur- und Uni-Zeugnis darf sie die Ausbildung zur Kinderpflegerin nicht anfangen

Sicher hat sich Sahar S. auch deshalb ihre warmherzige Fröhlichkeit bewahren können. Längst hat sie sehr gut Deutsch gelernt. Während des Interviews gibt es nur eine kleine Wortverwechslung. Als Sahar S. von ihrem Ausflug auf die Zugspitze spricht, von dem auch das Foto in diesem Artikel stammt, sagt sie versehentlich "Spitzzug. Oder wie heißt der sehr große Berg?" Darüber kann sie dann aber herzlich lachen.

Sie ist glücklich über ihre Stelle als Kinderpflegehelferin in der Kita einer Internationalen Schule in München. Für die Verständigung mit ihren kleinen Schützlingen hilft auch, dass sie in Syrien Englisch unterrichtet hat. Zur Arbeit fährt sie gerne jeden Tag eine Stunde mit Bus, U-Bahn und Tram und wieder eine Stunde zurück. Was sie jedoch ganz und gar nicht versteht, sind die Gründe, mit denen ihr nun eine Ausbildung als Kinderpflegerin verweigert wird. "Ich habe mein Abiturzeugnis und meinen Universitätsabschluss vorgelegt", sagt Sahar S. "Aber man will auch noch den Abschluss aus der 9. und 10. Klasse." Das verlange die Zeugnisanerkennungsstelle, bestätigt auch ihre Betreuerin vom Sozialreferat. Problem: Der besagte Schulbesuch liegt 40 Jahre zurück, die Schule in ihrem Heimatort existiert nicht mehr.

Der Plan ist nun, mit einer externen Prüfung den deutschen Hauptschulabschluss nachzuholen. "Dann bekomme ich den Ausbildungsplatz als Kinderpflegerin", sagt Sahar S. "Danach verdiene ich mehr, was auch für meine Rente später wichtig ist. Ich muss ja noch mindestens elf Jahre arbeiten." Weil sie aber nur neben der Arbeit lernen kann, benötigt sie Nachhilfe. Hier würde sie sich über eine Unterstützung freuen, "dann schaffe ich auch das", ist Sahar S. zuversichtlich.

So können Sie spenden

Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V. Stadtsparkasse München, IBAN DE 86 7015 0000 0000 6007 00, BIC SSKMDEMMXXX.

Spenden an den SZ-Adventskalender sind steuerlich absetzbar. Bei Überweisungen von mehr als 300 Euro übersenden wir eine Spendenquittung. www.sz-adventskalender.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5716123
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/wean
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.