SZ-Adventskalender:Wenn das Wohnzimmer gleichzeitig Schlafzimmer ist

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Familie Amiri schaut positiv in die Zukunft. Ihr größter Wunsch: dass sie nach vier Jahren in Deutschland eine Wohnung beziehen können. (Foto: Robert Haas)

Die aus Afghanistan geflüchtete Familie Amiri bewohnt in der Bayernkaserne zwei Zimmer - zu siebt. In München scheint es aussichtslos für sie, eine Wohnung zu finden. Dabei würde das Jobcenter die Miete übernehmen.

Von Anna Hoben

Die Tür geht auf, und man wird empfangen von guter Laune. Das ist insofern bemerkenswert, als die Familie Amiri - Vater, Mutter und fünf Kinder zwischen zehn und 19 Jahren - schon lange auf äußerst engem Raum lebt. Im Jahr 2015 kam die afghanische Familie, die zuvor im Iran und in der Türkei gelebt hatte, nach Deutschland. Ein Jahr verbrachten sie in der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Osram-Zentrale nahe dem Candidplatz, seit drei Jahren sind sie in der Bayernkaserne in Freimann untergebracht. Dort bewohnen sie zwei Zimmer - zu siebt.

Auf dem Couchtisch stehen eine Schale mit Obst und ein Marmorkuchen, Maryam Amiri, 45, serviert Kaffee. Sie haben es sich in ihrer Unterkunft so gemütlich gemacht wie es geht, mit Teppichen und Grünpflanzen, mit Fotos und gemalten Bildern an den Wänden. Natürlich könnten sie manches dringend gebrauchen: einen zweiten Schreibtisch mit Stuhl für die Kinder zum Beispiel, einen gebrauchten Laptop für die 14-jährige Tuba, die für die Schule manchmal Powerpoint-Präsentationen machen muss. Aber eigentlich haben sie nur einen Wunsch: endlich in eine richtige Wohnung ziehen zu können. Etwas mehr Platz, etwas Privatsphäre. Vier Zimmer wären toll. Die Amiris haben Bleiberecht in Deutschland, eigentlich dürften sie längst in normalen Wohnraum umziehen. Aber in München scheint es aussichtslos für sie, eine Wohnung zu finden. Dabei würde das Jobcenter die Miete übernehmen, solange die Eltern noch nicht genug Geld verdienen - eine sichere Sache für Vermieter.

Die Familie hat sich um den Couchtisch herum versammelt, im Wohnzimmer, das zugleich das Schlafzimmer der Eltern ist. Im einem zweiten Zimmer stehen die fünf Betten der Kinder, die ja fast alle schon Jugendliche sind. Maryam Amiri, die Mutter, seufzt, natürlich ist es nicht immer einfach. "Einer will schlafen, eine will lernen, einer will Musik hören." Natürlich alles gleichzeitig. Oft riefen sie dann nach Mutter und Vater - und die Eltern müssten schlichten. Die meiste Zeit aber kommen alle gut miteinander aus, man spürt einen starken Zusammenhalt. "Ich bin stolz auf meine Kinder", sagt Maryam Amiri.

Der älteste Sohn, Arash, 19, bereitet sich gerade auf eine Ausbildung zum Elektriker vor. Mustafa, 17, würde gern Polizist werden, aber dafür bräuchte er die deutsche Staatsangehörigkeit. Er schwankt nun zwischen Karosseriebauer und Hotelfachmann, bei BMW hat er bereits zwei Praktika gemacht. Seine Schwester Fereste, 16, interessiert sich für Fotografieren und Mediengestaltung. Dann ist da noch Tuba, 14. Ein Jahr ist sie auf die Mittelschule gegangen, dort hatte sie nur Einser, "und in Deutsch eine Zwei". Nach der fünften Klasse wechselte sie aufs Gymnasium, wo sie mittlerweile die siebte Klasse besucht. Lieblingsfächer: Mathe, Physik, Latein und Geschichte. Ihre Klassenkameraden sagten, es sei ein Weltwunder, dass sie aufs Gymnasium gehe. "Wenn man es will und ein Ziel hat, dann kann man das", sagt Tuba, "ich will eben Ärztin oder Architektin werden." Ihre Mitschüler wundern sich allerdings nicht nur darüber, dass Tuba in der Schule so gut klarkommt - sie konnten auch kaum glauben, dass sie wohnt, wo sie wohnt. Der jüngste Sohn, Meysem, 10, besucht noch die Grundschule.

Den Eltern ist es wichtig, dass ihre Kinder eine gute Schulbildung bekommen und sie selbst Arbeit finden, um künftig keine staatlichen Leistungen mehr beziehen zu müssen. Shaker Amiri, 45, ist Koch, er jobbt am Flughafen in einem türkischen Imbiss. Außerdem macht er gerne Musik; wenn er singt, begleitet ihn sein ältester Sohn am E-Piano. Seine Frau Maryam möchte Kinderpflegerin werden, "ich liebe Kinder", sagt sie. Zurzeit absolviert sie ein sechsmonatiges Praktikum in einem Kindergarten, dort ist man sehr zufrieden mit ihr. Sie schwärmt davon, welche Möglichkeiten Frauen in Deutschland offenstehen. Die Eltern wollen ihren Töchtern auch nicht vorschreiben, ob sie ein Kopftuch zu tragen haben oder nicht. "Deutschland ist Freiheit", sagt Maryam Amiri. Also wählen die Mädchen selbst: Fereste hat sich dafür entschieden, Tuba dagegen. Auch die Küchenarbeit ist paritätisch aufgeteilt: mittags kocht der Vater, abends die Mutter. Die Küche ist in einem anderen Gebäude, vor jeder Mahlzeit müssen sie Lebensmittel und Geschirr hinübertragen. Shaker Amiri bereitet gerade alles für ein Reisgericht vor. Und die Kinder sind ein wenig ungeduldig - denn am Abend steigt noch eine Weihnachtsfeier.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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