Energieversorgung:Neue Wende im Münchner Kohle-Streit

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Um den Kohleblock des Heizkraftwerks München-Nord wird seit Jahren vehement gestritten. (Foto: Robert Haas)

Die Stadtwerke kündigen den Bau eines neuen Gas-Kraftwerks in Unterföhring an - gegen den Willen des dortigen Gemeinderats. Das Projekt soll den Ausstieg aus der Steinkohle beschleunigen.

Von Heiner Effern

Die Stadtwerke München (SWM) haben beschlossen, in Unterföhring auch gegen den Willen der dortigen Gemeinde ein neues Kraftwerk zu bauen. Die Planungen für eine sogenannte Kraft-Wärme-Kopplungsanlage, die mit Gas betrieben werden soll, sind bereits angelaufen. Das gaben die SWM am Mittwoch bekannt. Das neue Kraftwerk solle den umstrittenen Steinkohleblock im Heizkraftwerk Nord schnellstmöglich ersetzen, heißt es in der Mitteilung. Ein Betrieb beider Anlagen wird ausgeschlossen. Es gebe "keinen besseren Standort" für eine neue Anlage als das Heizkraftwerk (HKW) Nord, erklären die Stadtwerke. Mit dem Neubau könne der Ausstieg aus der Steinkohle beschleunigt werden.

Die Stadtwerke wollen eine Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz beantragen. Dieses regelt die Veränderung von Industrieanlagen, die Abgase ausstoßen. Der zuständigen Regierung von Oberbayern liegen bereits erste Unterlagen vor, Mitte 2021 sollen es alle sein. Damit könnten die SWM die Planungshoheit der Gemeinde Unterföhring aushebeln. Deren Gemeinderat hatte das Projekt im Januar 2019 einstimmig abgelehnt. Intern rechnen die SWM offenbar mit fünf Jahren für den Neubau, bei Klagen könnten zwei Jahre hinzukommen. Die nötige Infrastruktur wie die Anbindung an das Strom- und Fernwärmenetz oder Kühlwasser sei bereits vorhanden, argumentieren die SWM. Das neue Kraftwerk soll die gesetzlich geforderte Spitzenlast für Strom und Wärme abdecken, wenn der Steinkohleblock abgeschaltet ist.

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Mit der Entscheidung der SWM nimmt der so erbitterte wie mittlerweile unübersichtliche Streit um den Ausstieg Münchens aus der Steinkohle eine neue Wende. Einen ersten Höhepunkt erreichte er mit einem Bürgerentscheid, den das Bündnis "Raus aus der Steinkohle" initiiert hat. Am 5. November 2017 stimmte die Mehrheit dafür, dass die SWM den Steinkohleblock Ende 2022 stilllegen müssen. Von Anfang an war umstritten, ob das technisch und gesetzlich möglich sein würde. Mehrere Gutachten wurden erstellt, Ausstiegsszenarien erörtert, bis der aktuelle Stand erreicht wurde: Laut Bundesnetzagentur ist der Steinkohleblock für die Stromversorgung systemrelevant und muss als Reserve einsatzbereit sein, bis die neuen Stromautobahnen von Nord nach Süd fertig sind. Auch für Notfälle in der Wärmeversorgung ist der Meiler bisher nicht zu ersetzen. Stadtwerke und Politik einigten sich in einem Salamiverfahren schließlich darauf, den Steinkohleblock auf so niedrigem Niveau zu nutzen, wie es die Technik zulässt. Die Obergrenze beträgt nun 350 000 Tonnen im Jahr.

Richtig zufrieden waren damit weder das Bündnis "Raus aus der Steinkohle" noch die Stadtwerke. Die Kohlegegner in München und Unterföhring wollten den Meiler noch schneller stilllegen und stellten vergangene Woche ein Konzept vor, das ein neues großes Heizwerk in Unterföhring vorsieht. Das soll die Wärmeversorgung in Notfällen sichern. Im Jahr 2025 könne der Kohlemeiler dann rein in die Stromreserve mit noch weniger Kohleverbrennung als bisher gehen. Das neue Gaskraftwerk lehnt das Bündnis ab. "Der wiederholte Versuch der Stadtwerke, in Unterföhring ein GuD-Großkraftwerk zu bauen, muss entschieden abgelehnt werden", hieß es in einer Erklärung.

Die Stadtwerke haben stets darauf verwiesen, dass der Steinkohleblock technisch nicht zu betreiben sei, wenn er weniger als 300 000 Tonnen im Jahr verbrenne. Das neue Kraftwerk ist jedenfalls schon so konkret in Sicht, dass es in den Koalitionsvertrag der grün-roten Mehrheit im Stadtrat Eingang gefunden hat. Ziel sei es, dort erneuerbares Gas (synthetisches oder Wasserstoff) zu verbrennen, heißt es in dem Papier. Die Pläne der Stadtwerke würden "akzeptiert". Die Grünen hatten schon länger eine solche Anlage vorgeschlagen, die SPD hält sie mittlerweile für "die größte Schnittmenge aus dem Wünschbaren und dem Machbaren", wie Fraktionschef Christian Müller sagte.

Unterstützung erhalten die beiden vom Öko-Institut, das die Debatte schon lange wissenschaftlich begleitet. Eine Kraft-Wärme-Anlage sei "sinnvoller" als reine Heizkessel, sagte der Experte Christof Timpe. Eine solche könne die Notversorgung für Wärme und Strom übernehmen, sei wegen der "extrem ambitionierten" Klimaziele der Stadt zur Unterstützung der Fernwärme ohnehin nötig und auch zum Ausgleich bei Schwankungen der steigenden Stromversorgung durch regenerative Energien in Süddeutschland.

© SZ vom 30.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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