Stadtwerke München:Ökostrom vom Müllberg

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Noch in diesem Jahr soll Münchens zweites Windrad ans Netz gehen. 147 Meter soll es hoch werden und fast viermal so viele Haushalte versorgen wie das gegenüberliegende.

Von Dominik Hutter

Ein lauschiger Weg. Über Kopfsteinpflaster schlängelt er sich den Berg hinauf, die vielen Bäume bilden ein grünes Dach. Dann ein etwas breiterer Asphaltweg, ein paar Kehren im Wald, und es folgt der Schlussanstieg auf die kahle Kuppe. Dort drehen sich, sozusagen als ökologisches Gipfelkreuz, die Rotoren des 100 Meter hohe Windrads. Des bislang einzigen in München. Auf der Metalltreppe, über die der Wartungsdienst die Anlage betreten kann, genießt ein Radfahrer die Szenerie. Ganz München liegt den Bezwingern des zugegeben eher subalpinen Hügels zu Füßen. Der Olympiaturm, das in der Sonne glitzernde Zeltdach, und ganz in der Ferne im Dunst die Alpenkette.

Die nähere Umgebung ist weniger romantisch und eher etwas für Fans des herben Metropolencharmes. Zwischen dem Fröttmaninger Berg und den weiß funkelnden Luftkissen der Allianz-Arena befinden sich elf Autobahnspuren, die ein nicht besonders dezentes Dauerbrausen erzeugen. Dazu kommen die mehrspurigen Zufahrtssperren in die Parkhäuser und, im Norden, ein großes Autobahnkreuz. Dahinter liegt ein weiterer Hügel. Auf dessen oberem Plateau steht ein Kran, Bauarbeiter gießen ein riesiges Betonfundament. Daneben liegen schon seit Juli die rot-weißen Rotorblätter.

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München, vor allem aus norddeutscher Perspektive nicht gerade das Mekka der Windenergie, bekommt ein zweites Windrad. Noch in diesem Jahr soll die Anlage, die wie ihre ältere Schwester von den Münchner Stadtwerken betrieben wird, ans Netz gehen. 147 Meter soll sie hoch sein, und damit ein gutes Stück mächtiger als das 1999 angeschlossene Rad auf dem Müllberg Fröttmaning. 7,1 Millionen Kilowattstunden soll sie produzieren, das reicht für 2800 Haushalte. Der Oldie gegenüber schafft gerade mal 1,9 Millionen Kilowattstunden. Genug für 720 Haushalte.

Aktuell errichten die Arbeiter ein kreisrundes Spezial-Fundament mit acht Kammern. Man muss sich das vorstellen wie die Spielsteine beim Spiel "Trivial Pursuit", sagt Günther Langer vom Abfallwirtschaftsbetrieb. Bei dem Quizspiel werden die Leerräume der kreisrunden "Figuren" mit kleinen Kuchenstücken aufgefüllt, wenn die entsprechenden Fragen beantwortet sind. Beim zweiten Münchner Windrad kommt nur dann etwas in eine oder mehrere der Kammern, wenn der Boden nachgibt. Als Gewichtsausgleich, denn man wolle ja nicht - wie es Kommunalreferentin Kristina Frank ausdrückt - das schiefe Windrad von München bauen.

Dem Berg ist seine Vergangenheit anzumerken

Dass sich der Boden etwas setzt, ist nicht unwahrscheinlich, denn der Riesenpropeller ist wie sein älteres Pendant buchstäblich auf Müll gebaut. Die Oberfläche der früheren Münchner Deponie wird mit Erde bedeckt, modelliert und anschließend bepflanzt. Wobei es, anders als am Fröttmaninger Berg, auf absehbare Zeit nicht ansteht, dass Spaziergänger über den Zivilisationshinterlassenschaften von Jahrzehnten lustwandeln. Der zweite Müllberg ist noch längst nicht fertig, auch wenn dort keine Abfälle mehr deponiert werden.

Auch dem Fröttmaninger Berg merkt man seine Vergangenheit noch immer an. Immer wieder befinden sich Anlagen am Wegesrand, durch die das Methan entweichen kann. "Aber das wird immer weniger", berichtet Langer, früher habe man das Gas abgesaugt und verbrannt. Aus Klimaschutzgründen, denn Kohlendioxid ist immer noch weniger schädlich für die Atmosphäre als Methan. Schilder mit der Aufschrift "Achtung Deponiegas" und ein Verbot für offenes Feuer sind die Relikte des vor sich hin gärenden Müllbergs. Aus dem zweiten Müllberg entströmt weniger Methan, da dort anders als in Fröttmaning nicht mehr unbehandelter Hausmüll, sondern vor allem Klärschlamm und Schlacke deponiert wurden. Inzwischen werden der Münchner Restmüll und auch der Klärschlamm verbrannt und nach Möglichkeit anschließend recycelt.

Aus Sicht der Stadtwerke sind die beiden Windräder am nördlichen Stadtrand eher klein. Das kommunale Unternehmen betreibt eine große Zahl an Windparks - offshore wie onshore, aber eben alle weit weg von München. Bayerns Landeshauptstadt ist anders als die Nordseeküste nicht gerade für ständige Luftbewegungen bekannt. Das Münchner Windrad liefert daher schon bei einer Windgeschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde Strom - was einer eher sanften Brise entspricht. Ab etwa zwölf Meter pro Sekunde, so Projektleiter Axel Sandner von den Stadtwerken, erreicht sie ihre Nennleistung.

Lange Lebensdauer für Windräder

Bei starkem Sturm wird die Anlage gedrosselt, um ihre Lebensdauer zu verlängern. Nur bei extrem heftigen Winden wird sie ganz gestoppt, was aber Sandner zufolge nur selten vorkommt. Die Anlage richtet sich automatisch an der Windrichtung aus: Die sogenannte Gondel, also der Bereich auf Höhe der Nabe, dreht sich in die optimale Richtung, zusätzlich können die Rotorblätter verstellt werden. Das alte Windrad dreht sich ungefähr doppelt so schnell, wie es der nun entstehende Neubau tun wird: mit etwa zehn Umdrehungen pro Minute. Die zweite Anlage erhält nahezu doppelt so lange Rotorblätter. "Je länger der Rotor, umso langsamer dreht sie sich", so Sandner.

Dreimal im Jahr muss ein Windrad gewartet werden. Dann klettert jemand im Inneren des Masts an einer Leiter hoch und überprüft die Bauteile. 20 bis 25 Jahre hält so ein Windrad im Durchschnitt, egal ob am Müllberg oder offshore in der Nordsee. Der 1999 eröffnete Propeller auf dem Fröttmaninger Berg wurde bereits 2018 überprüft. Sander rechnet damit, dass er sich, nach Austausch einiger kleinerer Teile, noch viele Jahre drehen dürfte. Mindestens 30 Jahre Betriebsdauer sind seiner Ansicht nach realistisch. Und dann werde nicht automatisch stillgelegt, sondern erneut gründlich geprüft.

Es steht also wohl noch eine Weile da oben, das Gipfelrad dieses ein wenig schrägen Freizeitparadieses. Nicht, dass es ihm noch geht wie dem Dörfchen Fröttmaning, das sich einst an dieser Stelle befand und nun verschwunden ist. Nur die Kirche - einer der raren romanischen Sakralbauten Münchens - ist noch da. Man erreicht sie gleich zweimal beim Abstieg über die "Nordflanke": Einmal das wohl von 1100 stammende Original, die älteste Kirche der Stadt. Und eine absichtlich im Boden versunkene Betonkopie. Als Symbol für das untergegangene Dorf.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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