Nacht war's noch lange nicht, eher ein wundervoller warmer, heller Sommerabend am Volkstheater im Schlachthofviertel, und während drinnen unter anderem die Zukunft des Journalismus verhandelt wurde, kam draußen Klassentreffen-Stimmung auf: Die Autorinnen und Autoren der Süddeutschen Zeitung, die an diesem Freitagabend von ihrer Arbeit berichteten, hatten sich ja zum Teil seit zwei Jahren nicht mehr leibhaftig gesehen, da war ein großes Hallo, es gab viel zu erzählen.
Nicht, dass das Programm drinnen, auf den beiden Bühnen, außerdem im Kulturzentrum Luise, im Kompetenzzentrum für Erziehungsberufe und in der Gaststätte Zunfthaus uninteressant gewesen wäre: In 20 Panels stellten sich Redakteurinnen und Redakteure den Fragen der insgesamt rund 1000 Besucher, berichteten aus ihrem Redaktionsalltag und über besondere Recherchen.
So diskutierte Streiflicht-Kurator Hilmar Klute in bewährtem feuilletonistischen Geltungsbedürfnis mit Politik-Chef Stefan Kornelius über Pazifismus und Kriegstreiberei in Zeiten wie diesen, Kriegsreporter wie Sonja Zekri erzählten von den Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung im Schlachtenlärm.
Nicht nur ernst sollte es sein, so lasen Streiflicht-Autoren Streiflichter, Felicitas Kock und Martin Zips berichteten vom täglichen Versuch, nicht nur Not und Elend der Welt in der Zeitung abzubilden, sondern auch ein Lächeln, etwas Zuversicht und Optimismus ins Blatt zu bringen.
Auf die Bühne 2 im Volkstheater hatten Susi Wimmer und Martin Bernstein, die Gerichtsreporterin und der Polizeireporter in der Lokalredaktion München, eine der aufwendigsten und spektakulärsten Recherchen der letzten Jahre mitgebracht: den Kokain-Skandal in der Münchner Polizei.
Gegen 37 Beamte des Polizeipräsidiums wurde und wird ermittelt, einige wurden schon verurteilt - "knietief im Dreck", so nennen die Reporter den Zustand eines Teils der Behörde. Ungeheuer detailreich recherchiert, und dann wo möglich mit Humor aufgeschrieben. Wimmer und Bernstein zeigten, was Lokaljournalismus leisten kann, wenn man ihm Zeit und Gelegenheit gibt - atemberaubend spannend.
Währenddessen begann Heribert Prantl, über viele Jahre herausragender Kommentator der Süddeutschen Zeitung und seit einiger Zeit im Ruhestand, begann also Prantl seine Vorlesung mit einem Zitat des tschechischen Schriftstellers Johannes Urzidil: "Meine Heimat ist, was ich schreibe." Prantl sprach über die "Poetik des Schreibens", warum dafür ein ordentlicher Schreibtisch und Ordnung in den Gedanken vonnöten ist; er erinnerte an den in dieser Woche verstorbenen Johannes Willms, ehemaliger Feuilleton-Chef der SZ, laut Prantl ein "Lebenskünstler, ein Ausbund an Esprit", er machte sich Friedrich Schillers Thema bei dessen Antrittsvorlesung in Jena zu eigen und fragte: Wozu und zu welchem Ende gibt es Journalismus? Der Redner beschwerte sich, dass keiner auf ihn hört, und bekannte, dass eine "gewisse Eitelkeit" zum Metier gehöre, eine Einsicht, bei der gerade ihm wenige widersprechen würden.
Fast kein Ende fanden Christina Berndt und Werner Bartens, beide Mitglieder der Wissenschafts-Redaktion, bei ihrem Bericht über den Umgang der Zeitung mit der Covid-Pandemie - von der Notwendigkeit, die hehre Wissenschafts-Berichterstattung zu verlassen und auch mal ein bisschen Volkshochschule zu spielen, einfach, weil es einen großen Bedarf an schlichter Information zum Umgang mit der Seuche gab.
Im Publikum warteten geduldig Judith Wittwer und Wolfgang Krach auf ihren Auftritt; sie berichteten dann über schwierige Entscheidungen in Kriegszeiten, von der Verifizierung von Nachrichten und Bildern, auch von der "emotionalen Voreingenommenheit" angesichts des Kriegs in der Ukraine und wie diese trotzdem nicht den Versuch der Objektivität beeinflussen dürfe.
Krach berichtete von der Verantwortung des Chefredakteurs, wenn Reporter ins Kriegsgebiet geschickt werden müssen oder wenn die Russland-Korrespondentin trotz Putins Fake-News-Gesetz in Moskau bleiben soll: Da muss dann auch die Heimatredaktion wissen, dass in Texten der Korrespondentin auf keinen Fall das Wort "Krieg" vorkommen darf, sonst drohen ihr 15 Jahre Gefängnis.
Draußen war's um diese Zeit immer noch nicht dunkel, die "Nacht der Autorinnen und Autoren" lief also unter größtmöglicher Helligkeit ab - bis sie dann nach Programmende in der einen oder anderen Bar noch fortgesetzt wurde - wie es sich für ein vernünftiges Klassentreffen eben gehört.