Im Erdgeschoss des Sudetendeutschen Museums an der Hochstraße steht immerhin schon eine zimmerhohe, mit Löchern durchsetzte Metallplatte. Zwischen all den offenen Kabeln, herumliegenden Punica-Flaschen und Leitern ist sie eines der ersten Exponate, das seinen Platz schon gefunden hat. Diese Wand erzählt viel über die Geschichte der Sudetendeutschen und ebenso viel über die Baugeschichte des Sudetendeutschen Museums. Vor allem, warum sich der Eröffnungstermin um knapp zwei Jahre verzögert.
Ursprünglich sollten bereits im Herbst 2018 die ersten Besucher durch die etwa 1000 Quadratmeter große Dauerstellung gehen, inzwischen ist Michael Henker, Leiter des Planungsstabs des künftigen Museums, "gedämpft optimistisch", dass es in der ersten Jahreshälfte 2020 so weit sein wird. Die Verzögerung verteuert den Museumsbau enorm. Statt von 18 Millionen geht das Bauministerium nun von 26,6 Millionen Euro aus. Der Bund übernimmt davon zwei Drittel, der Freistaat den Rest.
Auf dieser löchrigen Metallplatte im Erdgeschoss sind Gleise zu sehen, die eine lang gezogene Linkskurve beschreiben. Die meisten Sudetendeutschen, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit aus den Gebieten Böhmen, Schlesien und Mähren in eine ungewisse Zukunft aufmachen mussten, seien mit der Eisenbahn unterwegs gewesen, sagt Henker, als er vor der Metallwand steht. Zum Beispiel in Richtung des "Regierungsdurchgangslagers" bei Allach, in dem allein 1946 um die 100 000 Sudetendeutsche ankamen, sagt der Leiter der Sudetendeutschen Stiftung Ortfried Kotzian. Insgesamt fanden etwa drei Millionen Sudetendeutsche auf diese Weise eine neue Heimat in Deutschland, Österreich und teils auch in der damals sowjetischen Zone.
Neben einem Einblick in die Vertreibungsgeschichte verbirgt sich hinter dem löchrigen Gleisbild auch der Grund für die Bauverzögerung. Denn die Löcher in der bedruckten Wand sind nicht etwa Zierde, sondern Quellluftauslässe, über die das Raumklima geregelt wird. Mit den speziellen Luftauslässen sei es möglich, einen "trägen Luftwechsel über große Flächen" zu steuern, erklärt Henker. So könne das Klima stabil gehalten werden, was nötig sei, um an internationale Leihgaben für die 400 Quadratmeter zu kommen, die für Sonderausstellungen vorgesehen sind. Mit dem ursprünglichen Raumklimakonzept wäre das nicht möglich gewesen. Ein neues Team musste umplanen - der Grund für die Verzögerungen.
Ist die "Hülle" schließlich fertig, wie Henker den Museumsneubau nennt, werden die Besucher zunächst in das oberste Stockwerk gelotst. Dort beginnt die Ausstellung mit einer Tondusche. "So heißt das wirklich", sagt Henker. Die Besucher hören aus mehreren Lautsprechern alle Sprachen und Dialekte, die Menschen in den Sudetengebieten gesprochen haben: Tschechisch, Jiddisch, Deutsch, Wasserpolnisch und noch so manch anderen Dialekt. Henker und seine Kollegen wollen eine "sinnliche Ausstellung" bieten, die sich nicht im reinen Aufzählen der historischen Fakten verliert. Der Fokus soll viel eher auf der Kulturgeschichte der Sudetendeutschen liegen, auf Hochkultur, Alltag, Literatur und das Beisammensein. Das Museum will vor allem jene Fragen beantworten, die es selbst aufwirft. Denn frisch "tongeduscht" steht man zu Beginn der Ausstellung vor den Schriftzügen "Wer ist Sudetendeutscher?" und "Wo ist Sudetendeutschland?" "Vorurteilsfrei" und "multiperspektivisch" habe man versucht, die Fragen auf den fünf Ausstellungsebenen zu klären, sagt Henker.
Das lange Warten auf ein zentrales Sudetendeutsches Museum habe auch sein Gutes, sagt Kotzian, heute "haben wir keine Feindbilder". Noch vor 40 Jahren wäre das nicht so leicht gewesen. So erzählt er, dass seine Mutter in ihren letzten Lebensjahren immer von "den Tschechen" gesprochen habe, die sie einst aus der Heimat vertrieben hätten. Dabei habe sie sich ihr eigenes Haus damals nur leisten können, weil sie es sich gemeinsam mit einer Tschechin gekauft hatte. Das gemeinsame, über lange Jahre recht friedliche Zusammenleben "bis zum großen Bruch im 20. Jahrhundert", wie es Kotzian bezeichnet, wolle die Ausstellung hervorheben.
Das Museum könne auch als "wichtiges Hoffnungszeichen für das deutsch-tschechische Verhältnis" verstanden werden, erklärt Stiftungsleiter Kotzian. Es beleuchte das Bemühen, die Sudetendeutschen im Nachkriegsbayern zu integrieren. Die Flucht- und Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre finden sich indirekt in einem "Raum der Menschenrechte" wieder. Es ist der letzte Raum. Flucht und Vertreibung greife man so im übergeordneten Kontext des Humanismus auf. Ohne Feindbilder.