Als bekannt wurde, dass Michi Kern nicht nur bei der Gasteig-Zwischennutzung "Fat Cat" seine Finger im Spiel hat, sondern jetzt auch den Ex-Kaufhof am Stachus mit "Lovecraft" bespielt und obendrein die Zukunft der Paketposthalle mitgestaltet, fragten viele: Wer ist dieser Mann eigentlich? Doch die Frage ist falsch gestellt. Richtig muss sie lauten: Wer ist Michi Kern, und wenn ja, wie viele? - und das natürlich nicht, weil Michi Kern an einer Art Persönlichkeitsspaltung leiden würde. Im Gegenteil, wer dem sportlichen Mann mit dem raspelkurz grau geschorenen Charakterkopf begegnet, hat eher das Gefühl, er ruht außergewöhnlich stabil in sich.
Die Anspielung auf den guten alten Bestsellertitel von Richard David Precht drängt sich auf, wenn man weiß, was für ein eingeschworenes Dreier-Team dieses Pudels Kern wirklich ausmacht. Und dass die ganze Erfolgsgeschichte hinter dem Trio obendrein durchaus etwas mit Philosophie zu tun hat. "Aber für den Teil ist Lissie zuständig", sagt Michi Kern an dieser Stelle dann gern. Dabei hat er durchaus selbst Tiefgang, auch wenn ihn sein Wikipedia-Eintrag immer noch als den "König der Münchner Nachtlebens" feiert.
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Diese Art des Ritterschlags rührt her aus den späten Achtziger-, frühen Neunzigerjahren. Da war der gebürtige Münchner schon kein kleiner Michi mehr, aber doch der Junge im Gespann mit dem unvergessenen "Hallenmogul" Wolfgang Nöth. Beide rüttelten gnadenlos die zur bayrischen Bräsigkeit tendierende Stadt mit den ersten Technobeats wach. Kern zunächst mit seinem eigenen Club, dem Babalu; als ehemaliger Türsteher des Tanzcafés Größenwahn brachte er auch in Sachen Publikumsmischung viel Kernkompetenz mit. Dann gemeinsam mit Nöth bei der ersten hochoffiziellen Zwischennutzung weit und breit: auf dem Gelände und in den Gebäuden des damals frisch verlassenen Flughafens Riem.
Kunstpark Ost, Deutschlands erstes vegane Restaurant, das Lost Weekend - Michi Kern hält München schon lange auf Trab
Seither hält Kern die Münchner auf Trab. Auf unterschiedlichste Weise: Er hat als Veranstalter und Gastronom den Kunstpark Ost mitgeprägt. Er hat der Stadt 2005 das erste vegane Restaurant Deutschlands beschert, ausgerechnet im ehemaligen Zerwirkgewölbe, also in jenem zweitältesten Haus Münchens, in dem eine halbe Ewigkeit die Wildmetzgerei untergebracht war. Nebenher zog er eine bekannte Münchner Yoga-Kette mit auf, selbst ist er Yoga-Anhänger seit einer Lebenskrise um die Jahrtausendwende. 2008 initiiert er das Lost Weekend, ein Community-Projekt auf dem Campus der LMU München mit Buchladen und Café. Es steigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch Lissie Kieser - damals Michi Kerns neue Liebe - und Gregor Wöltje mit ein.
Gemeinsam haben die drei in die ehemaligen Räume einer Bank in der Kardinal-Faulhaber-Straße, gleich vis-à-vis des Erzbischöflichen Ordinariats, ein Pop-up-Hotel mit Namen "Lovelace" gepflanzt. Von 2017 bis 2019 gab es dort 900 Kulturveranstaltungen und Partys, ins Hotel sah man auch mal asiatische Hipster mit Style und blitzblanken Rollköfferchen rumpeln. Von da an sitzen Gregor Wöltje und Lissie Kieser bei Michi Kerns Projekten fest mit im Boot.
Wöltje, geboren in Hannover, aufgewachsen in München, ist diplomierter Architekt. Das bringt spezifisches Knowhow für Zwischennutzungen von alten Gebäuden mit ins Trio. Aber Wöltje hat vor allem schon früh als Texter und Journalist zu arbeiten begonnen und seine eigene Werbeagentur gegründet, mit der er sich laut eigenen Worten "ausschließlich nachhaltigen Geschäftsideen" widmete. Die verkaufte er bereits 2005 an die börsennotierte US-amerikanische Omnicom-Gruppe. Danach waren ein Sabbat-Jahr und mehr Alternativen drin. 2007 rief er " Utopia - Deutschlands größte Online-Community für strategischen Konsum und Nachhaltigkeit" und eine entsprechende Stiftung ins Leben.
Das Trio ist dazu angetreten, "der Stadt und ihren brachliegenden Orten Leben einzuhauchen"
Lissie Kieser ist die Jüngste im Bunde dieser drei Musketiere, die dazu angetreten sind, "der Stadt und ihren brachliegenden Orten Leben einzuhauchen" und diese mehr noch "zu identitätsstiftenden Orten" zu machen. Lissie Kieser hat Kunstgeschichte studiert, ging dann in die Gastronomie und verbindet seit dem "Lost Weekend" Kultur mit Ausgehkultur. Doch ist auch das falsch ausgedrückt, wenn man Lissie Kiesers Kulturbegriff berücksichtigt. "Der umfasst nämlich alle Erscheinungsformen menschlichen Handelns", sagt sie, "seine Lernfähigkeit und seine Schöpfungskraft", besonders in der Gemeinschaft.
Und die entfaltet sich, wenn es um Kieser, Kern und Wöltje geht, nicht besonders gut im Sitzen und schon gar nicht im einsamen Starren auf irgendwelche Bildschirme. Mit der Bewegung fließen die Energien und auch die Ideen, davon sind sie überzeugt. "Sugar Mountain", die Zwischennutzung des alten Obersendlinger Betonwerks, ist ein Zeugnis ihres Konzepts. Alle Aktivitäten dort sind "im Grunde von ein paar Basketballfeldern und einem Skater-Park aus gedacht", sagt Michi Kern.
Geplant haben die Drei "Sugar Mountain" in tiefsten Zeiten der Pandemie-Starre. Mit der Eröffnung im Mai scheint auch die Welt wieder aufgewacht. Langfristig angelegt ist ein Projekt des Trios, das außerhalb von München, direkt am Starnberger See mit eigenem Steg spielt: die "Villa K", (in der Planungsphase noch "Villa Z."). Diese historische Villa und ehemalige Tagungszentrale ist konzipiert als Begegnungs- und kultureller Ort für Kinder aus einkommensschwachen Verhältnissen und junge Aktivisten - bewusst in Deutschland reichstem Landkreis.
Eine soziale Komponente hängt allen Arbeiten von Wöltje, Kieser und Kern an. "Ohne Konsumzwang", das steht als Versprechen in jeder ihrer Projektbeschreibungen. Auch das ist eine Frage ihrer Philosophie. Und um die zu erfassen, braucht es auch gar kein zusätzliches Referat von Lissie. Einer für alle, alle für einen.