Süddeutsche Zeitung

TV-Serie "Sturm der Liebe":Folge 3276, Kamera läuft!

Lesezeit: 5 min

Zwei Millionen Menschen schauen zu, wenn "Sturm der Liebe" im Fernsehen läuft. Für sechs Minuten sendefähiges Material ist das Team der Serie schon mal sechs Stunden lang beschäftigt. Ein Besuch beim Außendreh auf einem Polofeld.

Von Thomas Becker

Es ist ein für die Jahreszeit definitiv viel zu kühler Morgen, an dem die Reiterin auf ihrem großen Braunen einmal quer übers Spielfeld und pfeilgerade auf den Catering-Wagen zusteuert. Schnaubend wie im Film bremst das Ross kurz vor der Verpflegungsstation, und die Amazone bestellt vom Sattel herab einen Kaffee: "Schwarz, zum Mitnehmen, bitte!" Der Caterer gießt ein, reicht den Pappbecher hoch und scherzt: "Und fürs Pferd ein Zuckerstückchen?" Die Reiterin schüttelt ernst den Kopf und versucht nun tatsächlich, reitenderweise den brühheißen, randvollen Kaffeebecher die paar hundert Meter zurück in Richtung Filmteam zu balancieren. Coffee to ride. Willkommen bei den Dreharbeiten zu "Sturm der Liebe".

Am 26. September 2005 lief in der ARD die erste Folge des "Sturms", wie alle Fernsehmenschen hier draußen in Thann bei Holzkirchen die Serie nennen. Vierzehn Jahre, in denen sich die Herz-Schmerz-Geschichten rund um den "Fürstenhof" zu einem Klassiker der Telenovelas gemausert. Was an diesem Tag auf dem Spielfeld des Polo Club Bayern gedreht wird, ist von Mitte November an in den Folgen 3271, 3276, 3279 und 3280 zu sehen.

Laut Senderangaben sind es rund zwei Millionen Zuschauer je Ausstrahlung, was einem Marktanteil von mehr als 20 Prozent entspricht. "Bei den 14- bis 49-Jährigen haben wir zehn Prozent, was wirklich sehr gut ist. Die ARD ist sehr zufrieden mit uns", sagt Bea Schmidt. Die Produzentin ist seit 2015 Executive Vice President Development bei der Bavaria. Sie hat sowohl den Grimme-Preis als auch den Deutschen Fernsehpreis gewonnen - letzteren mit dem "Sturm", als beste tägliche Serie. "Das ist mein Baby", sagt sie, "die Serie hab' ich erfunden, entwickelt, war von Anfang an verantwortlich."

Wenn ein spektakulärer Dreh wie an diesem Tag beim Polo ansteht, dann trotzt sie im viel zu dünnen Wolljäckchen auch mal den reichlich zapfigen Morgentemperaturen. "Ich schaue immer, dass wir auch ungewöhnliche Drehs haben - sozusagen als Highlights gegen die Routine. Das ist wichtig für den Zuschauer, aber auch fürs Team. Solche aufwendigen Drehs mit dieser extremen Logistik sind schon anstrengend - hier gibt jeder alles."

Wohl wahr, es ist ein bisschen was los am Polofeld in Thann. Gleich nebenan liegt der Übungsplatz der Hundefreunde, und die Damen, die sich hier frühmorgens mit ihren Hassos und Bellos treffen, schauen verwundert herüber: Neben dem hochfrequentierten Catering-Wagen parken gut ein Dutzend Lkws, Sprinter, Autos und ein Sanitätswagen mit zwei Ersthelfern, die einen eher gemütlichen Arbeitstag verbringen werden. Mitten auf dem Feld: zwei Dutzend Pferde rings um ein mit Kameras und Mikrofonpuscheln bewehrtes Menschenknäuel. Was die da alle machen? Nun, zwischen 9 und 15 Uhr werden sechs Minuten sendefähiges Material entstehen.

48 Wochen im Jahr wird "Sturm der Liebe" gedreht. Fünf Folgen an fünf Tagen die Woche, 180 Leute, verteilt auf zwei Teams: eins im Studio in der Bavaria Filmstadt, eins draußen an der frischen Luft, im Bilderbuch-Oberbayern zwischen Irschenberg und Starnberger See. "Wir versuchen, von Grünwald aus im 50-Kilometer-Umkreis zu bleiben", sagt Jan Siegert, dessen Job offiziell Coordinating Producer heißt, aber Mädchen für alles meint: Drehgenehmigung für Straßen organisieren, Gagen für Motiv-Mieten verhandeln, Krankenwagen für den Fall der Fälle bestellen, Behördenkram, Fuhrpark regeln, Strom herbeizaubern und Location Scouting in Abstimmung mit den Kollegen vom Szenenbild. "Das ist schon eine größere Herausforderung", meint er, "hier geht's rund, und das nonstop." Auch im Winter: "Letztes Jahr hatten wir ja so viel Schnee. Dann trifft man sich morgens um halb fünf mit dem Schneeräumer, und der räumt einem dann halt den Drehort frei."

An der sattgrünen Wiese des Poloclubs musste vergleichsweise wenig getan werden. Es brauchte nur Pferde und Polospieler, schließlich soll für den "Sturm" ein Poloturnier nachgestellt werden. Bei dem spielt auch der neue Hauptdarsteller mit, der neue Traummann. Sein Name ist noch streng geheim. 18 Reitstunden hat der junge Mann genommen, er ist offensichtlich schwer angefixt von der Reiterei, aber Polo, das sei halt doch noch mal was anderes. "Das Pferd, auf dem ich Reiten gelernt habe, war ein VW", sagt der Hauptdarsteller und zeigt dann auf die großen Braunen: "Diese Polopferde da, das sind Ferraris."

Diese Ferraris, 22 an der Zahl, gehören Kim Grabosch. Man muss den Mann mit der Baseballmütze, im Berufsleben ein Münchner Zahnarzt, wohl als einen Pferdeverrückten bezeichnen. Wenn er nicht gerade Patienten den Kiefer richtet, beschäftigt er sich mit seinen Pferden und seinen Söhnen: Paul, 18, Anton, 17, Emil, 15, und Michl, 13. Die Vier sind zweifache deutsche Jugend- und Amateur-Meister im Polo, woran laut Papa Kim nur einer Schuld ist: "Der Anton. Der wollte unbedingt Cowboy werden." Bis Anton einen Film über die wahren Cowboys sah, die Gauchos aus Argentinien.

Ein halbes Jahr lang nahm Grabosch seine Jungs von der Waldorfschule in Daglfing - und ging mit ihnen nach Argentinien, der Heimat der weltbesten Polospieler. Von früh bis spät arbeiteten die Grabosch-Burschen mit Pferden - und kamen als Polo-Team zurück. Los Indianos Polo Team nennen sie sich. Praktisch, dass man für so ein Team genau vier Mann braucht. Nun preschen sie wie vom Teufel gehetzt übers Feld, treiben den Ball immer wieder zwischen die blau-weißen Torstangen - bis dem Regisseur wieder irgendetwas nicht passt und "Alle wieder auf Anfang!" müssen. Eine dynamische Sportart wie Polo einfangen: schwierig, selbst mit drei Kameras und einer Drohne.

Nach einer Weile müssen die Jungs vom Feld: "Jugendschutz", sagt Kim Grabosch. Der Gesetzgeber hat Dreharbeiten mit Kindern genau geregelt: bis zu drei Stunden täglich sind von 8 bis 22 Uhr möglich, behördliche Genehmigung und Einverständniserklärung vorausgesetzt. Kinder dürfen bis zu fünf Stunden am Set sein und bis zu drei Stunden davon arbeiten. Und so trabt einer nach dem anderen an den Spielfeldrand, wo auch Großvater Reinhold zuschaut. "Hallo Opa", grüßen alle Burschen brav und reichen dem 81-Jährigen vom Pferd herab die Hand.

Nur ein paar Poloschläge entfernt lebt die Familie auf einem drei Hektar großen Areal aus Pferdeställen, Weideplätzen und einem gewaltigen Fuhrpark. "So ein Spiel dauert ja vier mal sieben Minuten, und alle dreieinhalb Minuten werden die Pferde gewechselt", erklärt Grabosch, "wenn wir zu einem Turnier fahren, nehmen wir alle 22 mit." In seine zwei 18 Meter langen Trucks passen immerhin 16 der bis zu 20 000 Euro teuren Tiere.

Es geht aber auch gemütlicher. Neben der Holzbaracke, hinter der sich die halbe Crew versteckt, um beim Dreh nicht im Bild zu sein, tollt auf einem riesigen Pick-up ein Dutzend Labradorwelpen herum. Die gehören auch den Graboschs und sind derart putzig, dass man sie auf einem dieser sozialen Netzwerke posten müsste, wäre man da nicht anders konditioniert.

Die zum Traummann gehörige Traumfrau - deren Name leider auch noch top secret ist - kann sich gar nicht mehr losreißen von den kleinen Braunen. Voll aufgetakelt im superengen Schlauchkleid wartet sie auf ihren Einsatz, muss ständig achtgeben, dass sie mit den High Heels nicht in einen der vielen Pferdeäpfel tritt. "Hey, du bist ja noch gar nicht verkabelt", ruft der Mann vom Ton und kratzt sich am Kopf: "Keine Ahnung, wie ich unter das Kleid noch ein Kabel kriegen soll..."

Mittagszeit, ein Hüngerchen regt sich. "Ein Asado wär' jetzt cool", sagt Kim Grabosch und schwärmt gleich los vom Grillen auf argentinische Art. "Hatte ich auch vorgeschlagen, aber das war den Filmleuten zu viel Rauch und Qualm." Und den Bogen vom Fürstenhof zu den Gauchos, den kriegen nicht einmal die gelenkigen Drehbuchautoren beim "Sturm der Liebe" hin.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2019
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