Süddeutsche Zeitung

Studie:"One-Woman-Businesses" auf Nahrungssuche

Forscher finden heraus, dass Wildbienen nur kurze Strecken fliegen - deswegen fühlen sie sich in Städten recht wohl. München macht laut Botanikern einiges richtig, um ihr Überleben zu sichern.

Von Julia Weinzierler und Ekaterina Astafeva

Was für die Meisterfeier des FC Bayern gilt, gilt deswegen noch lange nicht für die Bienen der Stadt: Für sie ist der Rathausbalkon auch in Corona-Zeiten nicht tabu. Im Frühsommer hat die Stadt dort wieder Dutzende Blumenkästen angebracht, explizit auch um Nahrung für Bienen und andere Insekten zu bieten. Jeder Balkon oder Garten in der Stadt kann so zur überlebenswichtigen Nahrungsquelle werden. Angeflogen kommen dann nicht nur die allseits bekannten Honigbienen, sondern auch ganz kleine Wildbienen. Manche sind gerade mal sechs Millimeter groß - ähnlich wie ein Reiskorn. Die winzigen Insekten leben unter anderem in Bienenhotels im Botanischen Garten, wo sie nun Teil eines Experiments wurden.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Studierenden des Instituts für Systematische Botanik der LMU führte zusammen mit der Botanischen Staatssammlung eine Studie durch. Sie wollten herausfinden, wie weit die kleinen Wildbienen für ihr Futter fliegen, wenn sie auf gute Voraussetzungen treffen. Während die Königinnen der Honigbienen jeweils ein großes Volk unter sich hätten, seien Wildbienen meist "One-Woman-Businesses", erklärt der Botaniker Andreas Fleischmann. "Da ist ein einziges Weibchen, das die Eier legt und gleichzeitig die einzige Arbeiterin ist, die das Nest versorgt." Sie müsse sich gut überlegen, wie weit sie fliegt, denn in ihrer Abwesenheit ist das Nest unbewacht - und damit allerlei Gefahren ausgesetzt.

Die Wissenschaftler markierten für ihre Studie 2689 Wildbienen aus den Bienenhotels im Botanischen Garten mit klitzekleinen Nummernplättchen. Danach registrierten sie, wohin die Insekten fliegen, um Nahrung zu besorgen. Das Ergebnis: Besonders weit kommen die 450 wiedergefundenen Bienen nicht.

"Man kann sagen, dass die nicht über ein Fußballfeld fliegen können, im normalen Fall", erklärt Susanne Renner, Direktorin des Botanischen Gartens und Professorin der Biologie. Durchschnittlich fliegen die Wildbienen der Studie zufolge lediglich zwischen 73 und 121 Meter weit. Trotz dieser recht kurzen Distanz machen die Forscher Hoffnung, was das Überleben der bedrohten Art betrifft. Denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse geben "uns auch die Chance, etwas für sie zu tun".

Ein landwirtschaftlich genutztes Feld können die Wildbienen zwar kaum überqueren, in der Stadt aber könne man Blühstreifen und Pflanzen so verteilen, dass die Bienen sie von ihren Nestern aus gut erreichen können. Bisherige Erkenntnisse bestätigen laut Renner, dass es den Tieren in der Stadt sogar besser geht: "Die Bienen haben hier eine dreimal geringere Aussterbewahrscheinlichkeit, als die auf dem Land", sagt sie.

München mache in diesen Belangen laut Fleischmann schon einiges richtig, sei sogar eine "Vorzeigestadt". Hier werde viel gesät und nicht so rigoros gemäht. Aber: "Insgesamt blüht allgemein in unserer Landschaft noch viel zu wenig", sagt Fleischmann. Sein Wunsch sei daher, dass in ganz Bayern der Blick gen München gerichtet werde, um sich an den Maßnahmen zu orientieren.

Natürlich gebe es auch in München noch Luft nach oben. Denn nicht alle Blühstreifen seien für die Wildbienen geeignet. So helfen fremdländische Pflanzen den hiesigen Bienenarten nicht besonders, erklärt Fleischmann. Zum Beispiel sammeln 40 verschiedene Wildbienenarten am Löwenzahn Nektar und Pollen, an Tulpen aber keine einzige. "Deswegen kann so eine Blühmischung auf keinen Fall heimische Lebensräume ersetzen, zum Beispiel bunte Blumenwiesen."

In einem Punkt stimmt Fleischmann mit Professorin Renner überein: Vor allem das viele Mähen sei ein Problem. "Das sage ich auch bei Städten und Gemeinden immer: Bevor die irgendwo eine Blühmischung ansäen, wäre es tausendmal besser, sie würden lieber nicht so häufig mähen, dass da was blühen kann", erklärt Fleischmann. Seine Kollegin Renner würde Mähroboter am liebsten abschaffen, denn diese zerstörten ohne Unterlass den Lebensraum der Wildbienen, die ihre Nester häufig im Boden ansiedeln.

Das Fazit der Studie bleibt dennoch, dass die Stadt in Sachen Artenvielfalt eine gute Prognose hat. Jeder einzelne Bürger könne dazu beitragen, den Wildbienen zu helfen, indem er etwa heimische Pflanzen im Balkonkasten aussät. Vor allem das Dulden von Natur im Stadtraum findet Fleischmann wichtig. Er wünscht sich, "dass man nicht den Löwenzahn aus der Hauswand reißt oder, schlimmer noch, Gift drauf sprüht". Der Wildbienenexperte ruft zu Gelassenheit auf. Von ein bisschen Grün in der Fassade "geht die Welt nicht unter. Und bei der Artenvielfalt können wir damit viel erreichen".

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SZ vom 21.07.2020/kafe
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