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Bloggen und studieren:"Es ist bei weitem nicht alles perfekt"

India White, 21, füllt täglich ihr "Juristinnen­tagebuch" - öffentlich einsehbar für 25 000 Menschen, die ihr auf Instagram folgen. Ihr Ziel ist es, ihren Lernalltag so ästhetisch wie möglich abzulichten - fast zu ästhetisch

Von Katharina Horban

Auf dem Schreibtisch liegen Stifte, Textmarker, eine Tipp-Ex-Maus. Daneben zwei Karteikarten, eine davon kaum beschrieben. Dahinter reihen sich Tablet, Laptop und eine aufgeschlagene Gesetzessammlung mit Einmerkern. Es ist nur ein Foto von einem Schreibtisch. Mehr nicht. Aber der Schreibtisch von India White gefällt fast 9 000 Menschen. Die 21-Jährige studiert im vierten Semester Jura an der LMU München - und erreicht mit ihren Fotos auf Instagram mehr als 25 000 User. So viele Menschen folgen ihrem Study-Blog "Juristinnentagebuch". Ihre Bilder werden tausendfach gelikt und regelmäßig von mehr als 100 000 Usern angeschaut. Sie ist eine Studentin, die ihr Studium mit Menschen aus München, Brasilien und den USA teilt - und dafür ihren Lernalltag so ästhetisch wie möglich ablichtet. Fast zu ästhetisch, meinen manche.

"Es kann nie genug Study-Blogs geben. Jeder hat eine andere Herangehensweise und eine andere Art zu lernen", sagt India. In Zeiten der Pandemie sieht ihre Herangehensweise an das Studium so aus: Um 7.30 Uhr steht sie auf, macht sich Frühstück und fängt zwischen 8 und 8.15 Uhr an zu lernen. So geht es bis 12.30 Uhr, dann macht India eine Stunde Mittagspause. "Je nach Bedarf und Vorlesungen lerne ich danach bis in den Abend", sagt sie. Nur am Dienstag, ihrem Tag für Termine aller Art, lernt sie weniger.

Jura ist allgegenwärtig auf ihrem Blog - mit oder ohne Pandemie. Im vergangenen Semester etwa, als der Präsenzbetrieb noch am Laufen war, hatte sie morgens immer Vorlesungen. Danach ging es weiter mit anderen Veranstaltungen, in den Pausen war sie in Bibliotheken oder mit Freunden im Univiertel essen. Am Abend dann Kraftsport im Fitnessstudio. Woher weiß man das? Instagram. Aber warum interessiert Indias Leben so viele Menschen?

India liegt im Trend - denn ihr Blog ist kein Einzelfall. An der LMU München gibt es allein von Jura-Studierenden Dutzende solcher Study-Blogs in unterschiedlichsten Größenordnungen. Unter dem Hashtag #studygram finden sich auf Instagram rund 7,3 Millionen Beiträge. Zwar sind auch in anderen Fächern solche Study-Blogger aktiv, doch in Jura gibt es auf jeden Fall einen Blogger-Hotspot. "Solche Blogs sind ziemlich häufig anzutreffen. Da das Studium zu den wohl zeitaufwendigsten gehört und auch einen wesentlichen Teil der Tagesgestaltung ausfüllt, gibt es Potenzial, darüber zu berichten", sagt Bartosz Paniak von der Jura-Fachschaft der Universität. Gerade Studentinnen würden solche Blogs führen, die meist aufwendiger gemacht, viel inhaltlicher und persönlicher sind als die bei Studenten beliebten Meme-Accounts in den Sozialen Medien. "Das Studium ist so umfangreich, dass man es für sich als Hobby entdecken muss, damit man den Spaß nicht verliert. Da lohnt es sich auf eine ansprechende Art seinen Alltag festzuhalten und diesen auch für den positiven Content aufzuhübschen", sagt Bartosz Paniak.

Dieses Hobby hat India für sich perfektioniert: Auf ihrem Blog "Juristinnentagebuch" teilt sie seit Februar 2019 Lernmethoden, gibt Motivationstipps, tauscht sich über Lernmaterialien aus, gibt ihre Erfahrungen über juristische Hausarbeiten weiter - oder schreibt über das Studium im Homeoffice. Anfangs erzählt sie niemandem davon, weil sie zweifelt, ob ihr Umfeld versteht, warum sie über ihr Studium bloggt. Nach und nach finden es Familie und Freunde heraus, als der Blog größer wird. Die Posts darauf sind mit Fotos versehen, welche das Lernen in schönes Licht rücken: "So ein gewisser ästhetischer Aspekt ist nicht unwichtig", sagt sie. Die meisten Menschen interessiert auf dem Blog, wie India mit ihrem Studium zurechtkommt - sprich, wie sie den Stoff zusammenfasst. Analog oder digital? Auf Karteikarten oder in Heften? Diese Fragen treiben die Follower um. Bei den Karteikarten ist es India wichtig, dass sie die auch später gerne wieder in die Hand nimmt. "Viele wollen auch wissen, wie ich juristische Definitionen sammele oder Meinungsstreite zu bestimmten Themen aufbereite", sagt sie. Etwa alle drei Tage setzt die 21-Jährige einen neuen Post ab, jeden Tag kommt ein Beitrag in die Instagram-Story.

Als 2019 immer schneller immer mehr Follower hinzukommen, bloggt die Studentin vom Spätsommer an auf Englisch. Für sie kein Problem, sie ist zweisprachig aufgewachsen, der Vater kommt aus Neuseeland. India hat sich angepasst: "Den englischsprachigen Followern wollte ich etwas bieten, das sie verstehen. Deshalb versuche ich den Grad zwischen Lern- und Motivationstipps und Jura-Inhalten für deutsche Studierende zu wahren." Ein Schreibwarenhersteller wird auf sie aufmerksam und schenkt ihr Stifte - dies sei aber immer noch die Ausnahme.

Ob sie etwas anders mache als Bloggerinnen mit weniger Reichweite, könne sie nicht pauschal sagen - aber eines weiß sie: "Ich versuche, auf Fragen einzugehen und diese persönliche Komponente aufrechtzuerhalten, die bei Blogs ab einer bestimmten Größe oft nicht möglich ist." Das kostet Zeit. Pro Tag verwendet sie ein bis zwei Stunden für "Juristinnentagebuch". Sitzt India am Schreibtisch, gibt es Situationen, in denen sie denkt, dass dieser Moment einen neuen Post wert wäre. Ist sie unterwegs, kommen ihr oft Ideen für den nächsten Beitrag.

So auch Mitte März, als sie mit immatrikulierten Studierenden weltweit darüber spricht, wie die Pandemie ihr aller Leben beeinträchtigt. Nach ihren deutschen Followern gibt es auf dem Blog am meisten Zulauf aus den USA und Brasilien. Überall sind die Bibliotheken und Universitäten geschlossen, die räumliche Trennung zwischen Lernen und Wohnen fehlt. India ist einer Vermittlerrolle, leitet die Diskussion - vor Corona ging es in einem solchen Format über juristische Hausarbeiten oder auch Lerntechniken in der Klausurenphase. "Häufig denke ich, dass diese Situation den Leuten zum Beispiel gefallen könnte", sagt sie.

Doch nicht allen gefällt, wie India ihr Jura-Studium auf Instagram darstellt. Zwar ist negatives Feedback noch nie analog in der Universität passiert, doch immer wieder gibt es Leute, die den Blog für aufgesetzt halten. Sie glauben nicht, dass die 21-Jährige wirklich so viel lernen kann - und gehen auf die persönliche Ebene. Aber da müsse sie darüberstehen, sagt India: "Wenn ich poste, dass ich lerne, lerne ich auch." Da sie aber die Zeit, die sie mit anderen Dingen verbringt, nicht im Internet preisgibt, sei es für viele leicht zu glauben, dass India den ganzen Tag für ihr Studium arbeitet. Nicht alles bestehe bei ihr aus Produktivität. Der Vorwurf, dass sie ihren Studiumsalltag auf Instagram inszeniere, hat für India kein Gewicht: Oft postet sie Bilder aus der Mitte ihrer Lern-Sessions. Wo alle Stifte rumliegen, wo ihre Karteikarten durcheinander verteilt sind und der Kaffee daneben steht. Sie versucht damit zu zeigen, dass ein aufgeräumter Schreibtisch auch bei ihr selten der Fall ist: "Es ist bei weitem nicht alles perfekt."

Auch Scheitern gehört für India dazu. Ihre Noten teilt sie ihren Followern immer mit, auch wenn es mal danebengeht. Auch, als sie im Sommersemester 2019 in zwei Klausuren im Zivil- und Öffentlichen Recht durchfällt. Nicht durch fehlendes Lernen, sondern durch eine falsche Schwerpunktsetzung, durch einen Verstoß gegen einen bestimmten Grundsatz. Sie geht offen damit um, weil Durchfallen zum Jurastudium dazugehört. Und besteht schließlich als eine der Besten.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2020
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