100 Jahre Studentenwerk München:Das Werk eines Idealisten

100 Jahre Studentenwerk München: Studierenden den Alltag zu erleichtern, war und ist Anliegen der Institution. Ohne Spender wäre es wohl nicht entstanden. Carl Duisberg, einer der Geldgeber, half, das Haus an der Luisenstraße (hier im Bild) auszustatten.

Studierenden den Alltag zu erleichtern, war und ist Anliegen der Institution. Ohne Spender wäre es wohl nicht entstanden. Carl Duisberg, einer der Geldgeber, half, das Haus an der Luisenstraße (hier im Bild) auszustatten.

(Foto: Studentenwerk München)

Der LMU-Student Fritz Beck gründete nach dem Ersten Weltkrieg das Studentenhaus München, den Vorgänger des Studentenwerks. Damals ging es um Mensen und Wohnraum - heute ist es kaum anders.

Von Sabine Buchwald

Im Wintersemester 1909/10 immatrikulierte sich an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ein junger Mann, dessen Ideen den Alltag von Studierenden bis heute beeinflussen. Fritz Beck (1889 bis 1934) hieß dieser Student der Klassischen Philologie, er gilt als Gründer der Studentenwerke in Deutschland. Wer sich an der LMU oder einer anderen staatlichen Hochschule einschreibt, wird ein Teil dieser Institution und unterstützt sie mit einem obligatorischen Beitrag. Momentan sind dies 62 Euro pro Semester.

Damit betreibt das Studentenwerk die Gastronomie an den Hochschulen, kümmert sich um Wohnheime, unterhält Kitas und Beratungsstellen. Kein Dach über dem Kopf oder ein leeres Portemonnaie am Monatsende, Angst vor der Prüfung oder das Bedürfnis nach einer warmen Mahlzeit? Schon als Beck Student war, sprach man zwischen den Vorlesungen von solchen Nöten. Das Studium zu erleichtern war damals und ist heute Sinn und Zweck des Studentenwerks.

100 Jahre Studentenwerk München: Fritz Beck gründete vor 100 Jahren den Verein "Studentenhaus München", der Beginn des Studentenwerks.

Fritz Beck gründete vor 100 Jahren den Verein "Studentenhaus München", der Beginn des Studentenwerks.

(Foto: Studentenwerk München)

Sein Ursprung geht zurück auf die Gründung des Vereins "Studentenhaus München" am 30. März 1920, also vor genau 100 Jahren. Damals beherrschten die Folgen des Ersten Weltkriegs Alltag und Politik. Geld und Wohnraum waren knapp. Beck kannte Mangel aus seiner Kindheit und Jugend in Landsberg am Lech, wo er nach dem Tod seiner leiblichen Mutter mit Stiefgeschwistern aufgewachsen war. Mit finanzieller Hilfe von Verwandten kam er über das Gymnasium in Schäftlarn und schließlich in Neuburg an der Donau zum Abitur. Dies mag ihn geprägt haben, dazu sein tiefer Glaube und die Gedanken des Theologen Carl Sonnenschein, als dessen Schüler er sich bezeichnete. Sich zu engagieren für Bildung, für eine Verbesserung der Lebensumstände war Beck ein beherrschendes Anliegen.

Schnell nach Beginn seines Studiums hatte er mit 20 Kommilitonen die "Landsberger Studentenschaft" gegründet, die ein "Forum der gegenseitigen Unterstützung" und ein Zusammenschluss "unabhängig von Verbindungen" sein sollte. Man wollte Studenten bei der "Emanzipation vom Elternhaus" helfen, insbesondere denjenigen, die nicht aus reichem Haus kamen und keinen akademischen Hintergrund hatten. Weg vom "Kastendenken" war Becks Ansinnen. Dazu brauchten damals und brauchen heute noch Menschen in der Ausbildung verlässlichen Beistand.

22 Semester war Beck an der LMU eingeschrieben, acht davon beurlaubt. Er musste aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Krieg, ging nach Dänemark und in die Schweiz, half Bücher zu beschaffen und Kurse zu organisieren für kriegsgefangene und versehrte Studierende. Dass er je zu einem eigenen Abschluss gekommen sei, ist nicht überliefert. Der war ihm wohl nicht wichtig. Zu beschäftigt war Beck, Kontakte zu knüpfen und für die Belange des "Studentenhauses", dessen Geschäftsführer er wurde, Mäzene zu finden.

Und er hatte Erfolg, weil er wortgewandt, klug, charmant und humorvoll war, wie Zeitzeugen ihn beschreiben. So konnte er den großzügigen Industriellen Carl Duisberg gewinnen und den amerikanischen Bankier James Loeb und dessen Frau. Das Paar stiftete beispielsweise das erste Studentinnen-Wohnheim in der Kaulbachstraße 49, das Marie-Antonie-Haus.

100 Jahre Studentenwerk München: Die Außenansicht des Studentenhauses in der Luisenstraße.

Die Außenansicht des Studentenhauses in der Luisenstraße.

(Foto: Studentenwerk München)

Schon im Gründungsjahr 1920 eröffneten die ersten Studentenwohnheime rund um die LMU in der Ludwigstraße 8, Karl-Theodor-Straße und im Wittelsbacher Palais. Ein Jahr später kommen Gebäude an der Amalien- und Türkenstraße dazu. Studierende konnten sich ärztlich untersuchen lassen, bekamen günstig ihre Schuhe repariert. Über eine zentrale Stelle erhielten sie Lebensmittel. Eine Darlehenskasse und ein Kammerorchester wurden gegründet, 1926 der "International Student Club". Studierende, die ins Ausland strebten, erhielten Unterstützung, und München öffnete sich für Interessenten aus anderen Ländern. 1933, nach der Machtübernahme der Nazis, wurde das "Studentenhaus München" in "Studentenwerk" umbenannt. Ernst Röhm wurde dessen erster Präsident, Fritz Beck Direktor. Doch nur für kurze Zeit.

Die Motive für Becks Ermordung und auch die Täter sind unbekannt.

Beck war gesundheitlich angeschlagen. Erschöpft fuhr er ins Tessin, um sich zu erholen. Er hätte bleiben können, und schlug doch wohlwollende Warnungen aus. Das Studentenwerk war seine Familie, sein Kind, das er schützen wollte. So lässt sich heute seine fatale Rückkehr interpretieren. Am Abend des 30. Juni 1934 holte die Polizei Beck aus seiner Wohnung. Noch in der Nacht wurde er erschossen. Seine Leiche fand man mit blauen Flecken übersät in einem Wald bei Dachau.

Waren es die Nähe zu Röhm, sein Bekenntnis zur katholischen Kirche, seine Verbindungen ins Ausland oder Intrigen in der Hochschule? Die Motive für seine Ermordung und auch die Täter sind unbekannt. Die Ideen des Studentenwerks aber leben weiter. Nach 1945 galt es, konfiszierte Anwesen wiederzubekommen und aufzubauen sowie Studierende unbürokratisch finanziell zu unterstützen. Anfang der Fünfzigerjahre wurde die große Wohnanlage am Biederstein gebaut und eine erste psychotherapeutische Sprechstunde eingerichtet, Jahre später eine erste Rechtsberatung und vieles mehr.

Der Bau von Mensen und Unterkünften sind ein großes Thema bis heute. Zimmer gibt es noch immer nicht genug für die knapp 130 000 Studierenden, die zum Münchner Studentenwerk gehören, das 14 Hochschulen betreut, auch außerhalb Münchens. 11 000 Namen stehen zum Wintersemester regelmäßig auf der Warteliste, bis zu 6000 Zimmerwechsel zählt man pro Jahr in den 30 Wohnanlagen. Die sieben großen Mensen sowie 40 Cafeterien und Bistros bieten längst Bio-Essen an. Insgesamt werden mehr als vier Millionen warme Mahlzeiten jährlich an den Kassen registriert.

Zum Jubiläum hätte es eine altbayerische Kartoffelsuppe in den Mensen geben sollen, so wie sich vor 100 Jahren die Studierenden den Magen vollschlugen. Daraus wird in diesen Krisentagen nichts. Auch die Feier an diesem Montagabend, auf der Geschäftsführerin Ursula Wurzer-Faßnacht ihren Nachfolger Tobias M. Burchard begrüßen wollte, ist abgesagt. Aber: Das Jubiläumsjahr ist noch nicht zu Ende.

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