Klimaschutz:München will die beste Stromleitung der Welt

Vom Hauptumspannwerk Menzing gelangt der Strom zu den Umspannwerken in den Stadtvierteln.

Vom Hauptumspannwerk Menzing gelangt der Strom zu den Umspannwerken in den Stadtvierteln.

(Foto: Florian Peljak)
  • Im Netz der Stadtwerke gehen jedes Jahr 228 Millionen Kilowattstunden Strom einfach so verloren - so viel, wie gut 63 000 Drei-Personen-Haushalte verbrauchen.
  • Grund sind die bisher verwendeten Kabel, die nun im Hochspannungsnetz durch Supraleiter ersetzt werden sollen.
  • Für das Modellprojekt haben die Stadtwerke fünf Partner gewonnen. "Das Münchner Kabel übertrifft alles bisher Dagewesene", sagen die Beteiligten.

Von Stefan Simon

Das Münchner Stromnetz soll mit einem millionenschweren Forschungsprojekt fit für die Zukunft werden. Es geht um Klimaschutz und darum, eine riesige Menge Energie einzusparen, die in den Leitungen einfach so verloren geht: Strom für Zehntausende Haushalte, der in Kraftwerken hergestellt werden muss, teuer ist und die Umwelt belastet, der aber keinen einzigen Verbraucher erreicht. Um das zu ändern, arbeiten die Stadtwerke München (SWM) an etwas ganz Großem: am "längsten Supraleiterkabel der Welt".

Internationale Aufmerksamkeit ist ihnen dabei sicher. Denn wenn das Vorhaben gelingt, an dem auch Forschungseinrichtungen und Tech-Unternehmen beteiligt sind, könnte die Menge des für München benötigten Stroms gewaltig gesenkt werden. Er könnte dadurch womöglich günstiger werden. "Und wir können so auch unsere CO₂-Einsparziele im Netzbereich erreichen", hofft SWM-Infrastruktur-Chef Jörg Ochs. Dass im Erfolgsfall andere Metropolen weltweit nachziehen werden, steht außer Frage. Denn wie Strom übertragen wird, ist ähnlich essenziell wie die Frage, wie er erzeugt wird.

Das Münchner Stromnetz besteht aus 12 000 Kilometern Kabel, eine Distanz, die dem Durchmesser der Erde entspricht. Doch die meist unterirdischen Leitungen liefern nicht nur Strom, sie fressen auch große Teile davon, ehe er überhaupt in Wohnungen oder Firmen ankommt. Diese sogenannte Verlustenergie ist physikalisch bedingt und summiert sich im Netz der Stadtwerke auf 228 Millionen Kilowattstunden im Jahr. Zum Vergleich: Mit so viel Strom könnte man mehr als 63 000 Drei-Personen-Haushalte versorgen - das ist fast ein Achtel der Bevölkerung Münchens.

Strom verlustfrei zu übertragen, komplett auf Null, das geht zwar nicht. Aber das Projekt "SuperLink", an dem die SWM mit ihren Partnern nun arbeiten, ist ein Schritt in diese Richtung. Es geht um nicht weniger, als "das Rückgrat der Energieversorgung in München" komplett zu erneuern. Mit "Rückgrat" meint Werner Prusseit, der Geschäftsführer des Supraleiter-Herstellers Theva in Ismaning, das Hochspannungsnetz der Stadtwerke. Hier fließt der Strom mit 110 000 Volt, und allein hier entstehen pro Jahr 20 Millionen Kilowattstunden Energieverlust.

Das passiert, verkürzt gesagt, so: Herkömmliche Kupferleitungen haben einen gewissen elektrischen Widerstand; wenn Strom fließt, erhitzen sie sich und Energie geht in Form von Wärme verloren. Was man daheim vom warm werdenden Handy-Ladeteil kennt, gilt in großem Maßstab auch für Stromnetze, wo die Kabel, je nach Art der Leitung, dauerhaft Temperaturen bis zu 80 Grad Celsius erreichen.

Hier kommt das neue Supraleiterkabel ins Spiel. Konkret handelt es sich um einen Hochtemperatur-Supraleiter (HTS), was paradox klingt, doch: Im Fall von Supraleitern liegt "hohe Temperatur" weit im Minusbereich. Die neue keramische Leitung für das Münchner Hochspannungsnetz wird bei 200 Grad Celsius unter null betrieben, zur Kühlung wird sie von flüssigem Stickstoff umspült. Bei derart tiefen Temperaturen gibt es in den verwendeten Materialien kaum noch Widerstand - und damit deutlich weniger Energieverlust.

Einziger Haken an der Sache: Dieses Kabel muss erst noch entwickelt werden, genau wie andere technische Komponenten. Für die zwölf Kilometer lange Teststrecke zwischen dem Hauptumspannwerk Menzing und dem Lastschwerpunkt München-Süd haben die Projektpartner deshalb insgesamt sieben Millionen Euro Fördermittel beantragt. Eine Zusage ist sehr wahrscheinlich. Das bisher längste funktionierende HTS-Kabel liegt in Essen, ist seit fünf Jahren in Betrieb, aber nur einen Kilometer lang. Eine zwölfmal so lange Strecke wäre ein riesiger Fortschritt.

Der Bau soll 2020 beginnen, die Strecke zwölf Kilometer lang sein

"Das Münchner Kabel übertrifft alles bisher Dagewesene", sagt Theva-Chef Prusseit. Er meint damit aber nicht nur die Länge, die eine neuartige Konstruktion mit Zwischenkühlstationen nötig macht, sondern auch die besonders hohe Übertragungsleistung. Die "SuperLink"-Leitung ersetzt nach Angaben der Stadtwerke nämlich "bis zu fünf herkömmliche Gasdruckkabel". Vergleichbar starke herkömmliche Erdkabel gibt es zwar, in Berlin zum Beispiel, doch: "Dort liegen die Kabel in einem belüfteten, befahrbaren Tunnel in 26 Metern Tiefe", schildert Prusseit. Das ist nichts für München, wie Professor Robert Bach von der Fachhochschule Südwestfalen sagt: "Sehr hohe Leistung auf kleinstem Raum und vollkommen umweltneutral quer durch München zu leiten", das sei die Herausforderung. An dem Projekt sind außerdem der Linde-Konzern, der Kabelhersteller NKT und das Karlsruher Institut für Technologie beteiligt.

Losgehen soll es Anfang 2020. Sobald alle technischen Komponenten fertig gebaut und getestet sind, sollen auf der zwölf Kilometer langen "SuperLink"-Strecke zwischen 30 und 50 Prozent des Energieverlustes eingespart werden, also womöglich mehrere Millionen Kilowattstunden. Drei ähnlich lange Teilstücke des Hochspannungsnetzes könnten folgen. Und die Stadtwerke denken bereits über Supraleiter bei den Mittelspannungskabeln und Transformatoren nach sowie bei neuen Strombegrenzern, die das Münchner Netz bei Kurzschlüssen vor irreparablen Schäden schützen sollen.

"München wächst und mit ihm die Ansprüche an die Versorgungsnetze", schreiben die Stadtwerke. Es gilt, immer mehr Haushalte zu versorgen, dazu eine wachsende Zahl an Elektroautos und E-Rollern. Die Netze müssen deshalb ausgebaut werden - umso besser, wenn man dabei gleich ein paar Millionen Kilowattstunden an Verlustenergie einsparen kann.

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