Tarifkonflikt in München:Überraschend viele Erzieher wollen streiken

Tarifkonflikt in München: Vor verschlossenen Türen werden am Montag etliche Eltern stehen, sollten sie ihre Kinder in eine Kita bringen wollen. Grund dafür ist ein Warnstreik der Gewerkschaft Verdi.

Vor verschlossenen Türen werden am Montag etliche Eltern stehen, sollten sie ihre Kinder in eine Kita bringen wollen. Grund dafür ist ein Warnstreik der Gewerkschaft Verdi.

(Foto: Florian Peljak)

Weil sich aus Ärger über die Corona-Maßnahmen mehr Angestellte als erwartet dem Streikaufruf der Gewerkschaft Verdi anschließen, bleiben am Montag viele Kitas in der bayerischen Landeshauptstadt geschlossen.

Von Isabel Bernstein und Jakob Wetzel

Zahlreiche Eltern werden für ihre Kinder am Montag eine alternative Betreuung suchen müssen: Im Öffentlichen Dienst kommt es zu einem ganztägigen Warnstreik, nachdem auch die zweite Verhandlungsrunde im Tarifstreit am vergangenen Wochenende ohne Angebot geendet war. Davon betroffen sind neben einigen Kliniken, Teilen der Stadtverwaltung, den Stadtwerken München und den Stadtbibliotheken auch städtische Kinderbetreuungsstätten - und zwar wohl massiver, als es die zum Streik aufrufenden Gewerkschaften Verdi und GEW ursprünglich geplant hatten. Wie viele Einrichtungen genau am Montag geschlossen bleiben, konnte Verdi am Freitag auf Nachfrage zwar nicht genau sagen, man gehe allerdings von einer "zweistelligen, eventuell sogar dreistelligen Zahl" aus.

Dass auch Kitas in den Streikaufruf mit einbezogen werden, stößt bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) auf harsche Kritik. Er sei selbst mehr als 40 Jahre Gewerkschaftsmitglied und habe es immer unterstützt, wenn Beschäftigte aus der Kinderbetreuung für bessere Bezahlung oder bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen. Aber einen Warnstreik "halte ich zum jetzigen Zeitpunkt, mitten in einer der größten Gesundheitskrisen weltweit und nach Monaten der Notbetreuung und schwierigen Situation für die Eltern, schlicht für verantwortungslos".

Ähnlich äußert sich Daniel Gromotka vom Gemeinsamen Elternbeirat der städtischen Horte und Tagesheime (GEBHT): "Streiken ist ein Grundrecht, aber in der gegenwärtigen Situation habe ich dafür kein Verständnis. Die Gewerkschaften fordern Solidarität ein, verhalten sich selbst aber unsolidarisch. Die Beschäftigten waren nicht von Kurzarbeit betroffen, ihnen droht auch keine Arbeitslosigkeit: Wenn ein Arbeitgeber in der Krise fair gewesen ist, dann die Stadt."

Der GEBHT hatte schon am Dienstag gemeinsam mit dem Gemeinsamen Elternbeirat städtischer Kindergärten beide Tarifparteien eindringlich gebeten, sich rasch und insbesondere ohne Streiks in den Kitas zu einigen. Für Familien sei dieses Jahr eine große Belastung. Viele Eltern hätten in Kurzarbeit müssen oder müssten um ihre Arbeitsstellen fürchten. Im zweiten Quartal seien die Reallöhne in Deutschland verglichen mit dem Vorjahr um 4,7 Prozent gesunken. Diesen Eltern, so Gromotka bereits am Dienstag, sei ein Streik für Lohnerhöhungen im Umfang von fast fünf Prozent, wie ihn die Gewerkschaften fordern, nicht zu vermitteln.

Inzwischen ist der Inzidenzwert auf 42,47 gesunken

Mit Blick auf die Familien hatte Verdi eigentlich zunächst auch geplant, nur eine Person pro Einrichtung zum Warnstreik aufzurufen. Doch der wird nun gleichermaßen zum Protest gegen die Behörden, von denen sich die Beschäftigten im Stich gelassen fühlen: Bis Mittwoch lag die Sieben-Tage-Inzidenz in der Stadt München über 50; in dieser Zeit seien laut Bayerischem Rahmenhygieneplan weitere Schutzmaßnahmen für die Bediensteten notwendig gewesen - die es aber nicht gegeben habe, so Merle Pisarz von Verdi am Freitag.

Dass der Unmut unter den Beschäftigten aber "dieses Ausmaß annimmt, wurde erst gestern und heute deutlich". Stadtschulrätin Beatrix Zurek wehrt sich gegen diesen Vorwurf: "Es gibt keinen Automatismus, bei einem Inzidenzwert von 50 die Stufe 3 - Phase rot - auszurufen. Diesen Handlungsspielraum hat der Freistaat den Kommunen explizit eingeräumt." Inzwischen ist der Inzidenzwert auf 42,47 gesunken.

Zu der Kritik von OB Reiter wollte sich Verdi am Freitag nicht äußern und verwies stattdessen auf die Pressemitteilung zum Streikaufruf. Darin heißt es, dass die Corona-Pandemie gezeigt habe, wie wichtig der öffentliche Dienst für das Funktionieren des Gemeinwesens sei. "Vom Applaus allein können sie die teuren Mieten im Ballungsraum München nicht bezahlen." Welche Kitas am Montag geschlossen bleiben oder nur teilweise geöffnet sind, darüber liegen dem Referat für Bildung und Sport keine Erkenntnisse vor. Das rät Eltern, sich direkt bei der Kita-Leitung zu informieren. Die Stadt betreibt insgesamt 48 Kinderkrippen, 164 Kindergärten, 116 Horte, 123 Häuser für Kinder, 42 Tagesheime und zwei Heilpädagogische Tagesstätten mit etwa 36 500 Plätzen.

Von den Warnstreik betroffen werden außerdem die Kliniken Schwabing, Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach und Thalkirchner Straße sein. Die Notfallversorgung sei sichergestellt, geplante Eingriffe fielen allerdings aus, so Verdi. Die nächste Verhandlungsrunde im Tarifstreit ist für den 22. und 23. Oktober angesetzt. Gut möglich, dass es bis dahin nochmals einen Streik gibt. Aber, sagt Heinrich Birner von Verdi, "mit dem Bereich Kitas werden wir sehr sorgsam umgehen".

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