Süddeutsche Zeitung

Schwabing:"Orchestriertes Chaos" auf dem Corso Leopold

Lesezeit: 3 min

Von Anna Weiss

Zweimal im Jahr verwandeln sich die Leopold- und die Ludwigsstraße in eine autofreie Zone. Dort, wo sonst dichter Verkehr tost, beschäftigt sich das Streetlife Festival zwischen Siegestor und Odeonsplatz mit Fragen rund um die Umwelt, während der Corso Leopold zwischen Georgen- und Potsdamerstraße sich Kunst, Kultur und politischen Diskussionen widmet. Mitte der Neunzigerjahre kam die Idee auf, eine der wichtigsten Straßen der Stadt für den Verkehr zu sperren und sie für Fußgänger zum Flanieren freizugeben. Da solche Sperrungen aber ohne einen triftigen Grund nicht erlaubt sind, wurde das Straßenfest Corso Leopold im Jahr 2000 ins Leben gerufen.

Laut Veranstalter kommen jährlich bis zu 500 000 Menschen zu dem Fest, das jeweils an einem Wochenende im Juni und im September stattfindet. Der inzwischen 40. Corso, der an diesem Samstag startet, steht unter dem Motto "Utopia": In Gesprächsrunden über Politik, Religion und gesellschaftliche Entwicklungen sollen Ideen für die Zukunft entstehen. Was während des Flanierens und Diskutierens aber wohl niemandem auffällt, das ist der logistische Aufwand hinter dem Fest.

All die vielen Stände, Spiele und Bühnen werden erst am Tag des Festbeginns aufgebaut. "Das ist schon der Wahnsinn, wie schnell das vonstatten geht", meint Ekkehard Pascoe, der Vorsitzende des Vereins Corso Leopold e.V. Bisher hatten die Techniker und Aufsteller gerade mal vier Stunden, um die Leopoldstraße in eine Erlebnismeile zu verwandeln. Dieses Jahr sind es erstmalig sieben Stunden - die Veranstalter hatten sich mehr Zeit von der Stadt gewünscht, dafür müssen die Straßensperrungen entsprechend früher aufgebaut werden.

Mehr als 150 Menschen sind an dem Aufbau beteiligt. Allein 15 davon sind für die Verkehrslogistik zuständig, denn am Samstagmorgen fahren zahlreiche Laster und Kleintransporter zu den Ständen. "Orchestriertes Chaos" nennt Pascoe die Stunden, in denen die Lieferanten ihre Lkw aneinander vorbeimanövrieren, um jede Bude beliefern zu können. Überhaupt ist der Verkehr eine Herausforderung bei einem Fest, für das eine Verkehrsader abgeriegelt wird. Das betrifft nicht nur Autofahrer, sondern auch die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), die ihre Linienbusse umleiten muss.

Die Einwände der MVG waren auch ein Grund dafür, weshalb die Norderweiterung des Corso Leopold in Richtung des Quartiers Schwabinger Tor zunächst nicht möglich war, weil der Betrieb der Trambahnen nach Schwabing-Nord erhalten bleiben sollte, das Kreisverwaltungsreferat (KVR) Verkehrsrisiken befürchtete und sich aus Sicherheitsgründen gegen eine Verlängerung der Festmeile ausgesprochen hatte. Eine Erweiterung bis zum Parzivalplatz wurde abgelehnt, aber die Verlängerung der Festmeile bis zur Potsdamer Straße wurde dann doch erlaubt.

Nun läuft die heiße Phase der Vorbereitung für den Corso. Neben der Schnelligkeit ist vor allem Gleichzeitigkeit wichtig: Wasser und Elektrizität werden zur selben Zeit angeschlossen, damit die gastronomischen Stände Kühlschränke und Spülmaschinen in Betrieb nehmen und die Techniker die Bühnen vorbereiten können. Besonders bei dem empfindlichen Equipment im Bühnenbereich müssen die jeweiligen Teams auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Nachts wird die Technik bewacht, tagsüber können bei Regen blitzschnell Abdeckungen über die Elektronik geworfen werden. Und tatsächlich sieht die Wettervorhersage für das kommende Wochenende alles andere als gut aus. Generell sei Regen der einzige Faktor, der Probleme verursache. Große Logistikprobleme habe es nie gegeben, berichtet Pascoe. Aber einmal, vor rund zehn Jahren, da habe man das gesamte Fest wieder abbauen müssen wegen einer Unwetterwarnung - und dann habe die Sonne fröhlich auf die leere Straße geschienen.

Doch auch wenn nichts schiefgeht und alles reibungslos verläuft, müssen die Aufbauteams vor allem eins sein: schnell. Dafür werden die Helfer rechtzeitig geschult. Alle Seitenstraßen werden von Mitarbeitern besetzt, die sich um verwirrte Autofahrer kümmern und Ausweichwege erklären. Mittlerweile seien die Probleme mit den Autofahrern aber weniger geworden. "Früher, wenn ich am Morgen des Corsos die Leopoldstraße hochflaniert bin, sind oft massenweise geparkte Autos abgeschleppt worden", erinnert sich Pascoe, "das war schon eine besondere Parade." Und dann, am Sonntagabend, wenn alles vorbei ist, rückt die Müllabfuhr an und reinigt die 2,3 Kilometer lange Feiermeile. "Wir räumen selber alles weg, benutzen Mehrwegbecher und haben sogar eine Müllzerkleinerungsanlage", betont Pascoe, "und trotzdem bleibt so viel Müll auf der Straße, das ist sehr schade." Doch auch diese Spuren werden schnell verschwunden sein - und aus der Erlebnismeile wird wieder eine ganz normale Straße.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2019
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