SZ-Serie "Meter für Meter":Weiher, Windrad, wilde Parker

SZ-Serie "Meter für Meter": Baden sollte man im Weiher besser nicht, doch er war einer der Gründe, warum die Gegend überhaupt besiedelt wurde.

Baden sollte man im Weiher besser nicht, doch er war einer der Gründe, warum die Gegend überhaupt besiedelt wurde.

(Foto: Catherina Hess)

In der Wallnerstraße leben die Menschen zwar abgelegen, aber idyllisch - meistens jedenfalls, denn die günstigen Mieten haben ihren Grund.

Von Linus Freymark

Straßen sind die Lebensadern der Stadt. Viele sind bekannt, manche sind berühmt, andere erzählen einfach nur gute Geschichten. Ein Streifzug.

Was hat er nicht schon alles erlebt. Die Jugend in München mit einer Mutter, die ihn nicht wollte und ihn ins Heim gegeben hat. Die Auseinandersetzungen mit den Erziehern, die er gehasst hat und die ihm gesagt haben, so einer wie er würde niemals etwas Anständiges werden. Er hat es ihnen gezeigt, eine Ausbildung zum Karusselldreher gemacht, bei KraussMaffei gearbeitet. Aber auch dort ist er nicht mit seinen Chefs klargekommen. Er hat dann noch mal den Beruf gewechselt, 49 Jahre lang hat er Aufzüge gewartet. Und jetzt sitzt Anton Carevic, 69 Jahre alt, Strohhut auf dem Kopf, Zigarette im Mund, auf seinem Rollator an der Wallnerstraße, Ecke Ballesweg auf seinem Rollator, schaut die in der Nachmittagshitze vor sich hindösende Straße hinab, und sagt: "So ruhig wie hier hatte ich es noch nie."

Tatsächlich ist die Wallnerstraße im Münchner Norden eine jener Straßen, die man häufiger in der Prärie zwischen der ausfransenden Stadt und den angrenzenden Vororten findet. In der es eine in der Stadt seltene Ruhe gibt, für die man allerdings mit einer eher schlechten Verkehrsanbindung bezahlt. In der sich Reihenhäuser mit Vorgärten aneinanderdrängen und in der es zu größten Problemen der Anwohner zählt, dass die Buslinie 181, die von der Studentenstadt die Freisinger Landstraße bis zur Wallnerstraße heruntertuckert, nicht mehr so wie früher bis nach Garching durchfährt. Ach ja, und die Parkplatzsituation: Vor allem, wenn in der nahen Allianz Arena ein Fußballspiel ist, wird es voll, die Fans stellen hier ihre Autos ab und laufen dann die zehn bis 15 Minuten zum Stadion.

Wenn im Islamischen Zentrum, dessen Minarett das erste ist, was man von der Wallnerstraße sieht, Ramadan gefeiert wird, sagt Yvonne Altmutter, sei das bei Weitem nicht so schlimm wie die Horden der Fußballfans. Altmutter wohnt mit ihrem Mann und den beiden Kindern, 17 und 18, schräg gegenüber vom Islamischen Zentrum. Ihr Mann ist an der Wallnerstraße aufgewachsen, den Keller ihres Hauses hat sein Vater in den Jahren nach dem Krieg selbst ausgegraben - mit den Händen. Altmutter gefällt es hier, die Ruhe, das Ländliche, "und trotzdem ist man relativ schnell in der Stadt". 20 Minuten brauche sie etwa zum Marienplatz, wenn der Anschluss an der Studentenstadt passt. "Da kann man nicht meckern."

SZ-Serie "Meter für Meter": Mit fremden Religionen gibt es in der Auensiedlung keine Probleme - anders als mit fremden Autofahrern.

Mit fremden Religionen gibt es in der Auensiedlung keine Probleme - anders als mit fremden Autofahrern.

(Foto: Catherina Hess)

"Fast ein Idyll" hat das SZ-Magazin einmal eine Reportage über die Wallnerstraße und die angrenzenden Straßen getitelt und damit eine Überschrift gewählt, die auch nach 13 Jahren noch von sich behaupten kann, aktuell zu sein. Nur wenige Straßen in München sind so grün und ruhig wie die Wallnerstraße. Im Vergleich zum Rest der Stadt sind die Mieten günstig, und kaum ein Münchner kann wie die Bewohner der Wallnerstraße von sich sagen, einen Weiher vor der Haustür zu haben - auch wenn es heißt, dass das Baden darin vielleicht nicht die beste Idee sei.

Eine Bedeutung hat der Weiher dennoch für die Gegend: Er sei der Grund dafür gewesen, dass die Brache am Stadtrand überhaupt erst besiedelt worden sei, sagt Harald Bruckbauer, den man gerade dabei bei Reparaturarbeiten auf seinem Hausdach stört und der deswegen nur kurz Zeit hat. Für ein paar Worte über seine Straße klettert er dann aber doch kurz die Leiter hinab, wischt sich den Schweiß von der Stirn und beginnt über jene etwa 65 Häuser zu erzählen, wegen derer man die Wallnerstraße und den angrenzenden Lill- und Ballesweg auch außerhalb von Freimann kennt: Ursprünglich sei die Auensiedlung ein Schwarzbau gewesen, erst nachdem die Häuser bereits standen, habe man sie im Nachhinein legalisiert. Gebaut worden seien sie nach dem Krieg, als die Stadt in Trümmern lag und man nach Flächen suchte, auf denen man bauen konnte.

SZ-Serie "Meter für Meter": Es gibt eine Bahn für Stockschützen, aber auch einen Spielplatz für Kinder.

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(Foto: Catherina Hess)

Wie jedes Idyll hat auch die Wallnerstraße ihre Kehrseiten und haben die günstigen Mieten ihren Grund. Nur wenige Hundert Meter entfernt donnern die Autos die A 9 herunter und auch wenn es dort jetzt eine Lärmschutzwand gibt, weht das Rauschen des Verkehrs von der Autobahn herüber. Und dann ist da noch das Windrad: Oben auf dem Fröttmaninger Müllberg dreht es seine Kreise, das ständige Wechselspiel aus Licht und Schatten habe sie anfangs fast verrückt gemacht, sagt Gabi Krämer. Eine Nachbarin habe deshalb mal vor Jahren einen Bürokratiekrieg mit der Stadt geführt: Die Nachbarin wollte, dass das Windrad im Sommer täglich von 18 bis 19 Uhr abgestellt wird, damit sie in Ruhe in ihrem Garten sitzen kann, ohne dass sich nebenan andauernd die Rotoren drehen.

SZ-Serie "Meter für Meter": "So ruhig wie hier hatte ich es noch nie", sagt Rentner Anton Carevic.

"So ruhig wie hier hatte ich es noch nie", sagt Rentner Anton Carevic.

(Foto: Catherina Hess)

Die Stadt hat sich lange gewehrt, irgendwann aber hat sie eine windradfreie Stunde am Tag zugesagt - allerdings von 17:30 Uhr bis 18:30 Uhr. Warum es unbedingt eine halbe Stunde früher sein musste, weiß niemand. Aber nach 33 Jahren gewöhne man sich an das Windrad, sagt Krämer. "Genau wie an die Autobahn." Oder an das Klärwerk, das ebenfalls nicht weit weg ist und von dem früher gerne mal unangenehme Gerüche herüberwaberten. Aber seit die Stadt die Anlage modernisiert habe, merke man kaum noch etwas davon, sagt Yvonne Altmutter. Anton Carevic dagegen meint, auf seinem Rollator sitzend, vor allem im Sommer stinke es schon noch manchmal. "Aber nicht so, dass es jetzt großartig stört."

Während die meisten Bewohner der Wallnerstraße schon seit 20, 30 oder noch mehr Jahren hier leben, ist Carevic erst vor eineinhalb Jahren hergezogen. Davor hat er in Garching gewohnt, das Haus sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden - eine typische Geschichte aus München und dem Umland. Carevic, der Rentner, wollte aber nicht mehr so weit von seiner alten Heimat wegziehen, und schließlich hat er an der Wallnerstraße eine bezahlbare Wohnung gefunden. Mit den Nachbarn grüßt er sich, mehr nicht. "Der Nachbarskontakt ist nichts Besonderes", sagt er und ein bisschen ist Carevic mit dieser Aussage etwas Besonderes.

Denn egal, wen man sonst fragt, Horst Bruckbauer oder Gabi Krämer etwa, hört man, dass die Nachbarschaft hier gut sei und eher ziemlich untypisch für eine Großstadt. Der Kontakt sei viel enger, als man es aus den Wohnblöcken und Mehrfamilienhäusern im Zentrum kennt. Aber vielleicht liegt das auch an dem, was Gabi Krämer über die Wallnerstraße gesagt hat: dass die Gegend hier "wie ein Dorf sei". Das bedeutet Zusammenhalt unter den Alteingesessenen - und dass es seine Zeit dauert, bis man dazugehört.

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