Süddeutsche Zeitung

Neues Strafjustizzentrum:Mehr Platz für die Gerechtigkeit

Für knapp 400 Millionen Euro baut der Freistaat an der Dachauer Straße ein neues Strafjustizzentrum. Bis Richter oder Staatsanwälte einziehen, wird es aber noch dauern.

Von Susi Wimmer

"Die MS Deutschland mit ihren 170 Metern, die würde hier Platz haben", sagt Eberhard Schmid. "Ja", kontert Justizminister Georg Eisenreich mit einem Augenzwinkern, "aber wir sind zum Arbeiten hier". Dabei wollte der Leiter des staatlichen Bauamtes mit dem Kreuzfahrtschiffvergleich nur die imposante Größe des neuen Bauwerks hervorheben: Mit einem Volumen von 440 000 Kubikmetern wächst derzeit Bayerns größte staatliche Baustelle gen Himmel: der Rohbau des neuen Strafjustizzentrums (SJZ) an der Dachauer Straße. In einem halben Jahr soll Richtfest gefeiert werden, 2024 werden hier sechs Behörden mit 1300 Mitarbeitern einziehen. Fast eine kleine Stadt also, und die neuen Bewohner werden - wenn man das Bauvolumen umrechnet - den Platz von 675 Reihenhäusern haben. Die Kosten für das riesige Projekt steigen laufend und dürften am Ende an der 400-Millionen-Euro-Marke kratzen.

Der Wind pfeift über das Quartier an der Ecke Dachauer Straße und Leonrodplatz, der Minister schlüpft in die gelbe Schutzweste, setzt den weißen Bauhelm auf und führt durch das größte Bauprojekt der Justiz seit dem zweiten Weltkrieg. Wer die Sicherheitskontrollen am Haupteingang hinter sich hat, landet in einer Stadt aus Glas. Zumindest teilweise. Die Sicht auf den später begrünten Innenhof wird über eine große gläserne Front frei, die Gänge sind hell und lichtdurchflutet, von hier aus gelangt man auf drei Stockwerken in die insgesamt 54 Gerichtssäle, die zum Innenhof des vorderen Karrees gewandt sind. Der hintere Gebäudetrakt wird von der Öffentlichkeit abgeschirmt, hier haben Staatsanwaltschaften und Gerichte ihre Büros und Geschäftsstellen.

Wer schon einmal das derzeitige Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße besucht hat, der weiß, dass ein Neubau nur ein Gewinn sein kann. Die Gänge dort sind dunkel, das Inventar ist mehr als heruntergekommen und der Asbestbau marode. Die Tragfähigkeit der Tiefgarage ist auf längere Sicht nicht gewährleistet, und nicht umsonst seilen sich regelmäßig vom Gebäude Experten ab, um den Betonbunker auf lockeres Gestein abzuklopfen, das zu Boden fallen könnte. Eine Sanierung des ohnehin zu eng gewordenen Baus bei laufendem Justizbetrieb wäre "unmöglich" gewesen, sagt Sibylle Gräfin zu Dohna, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht (OLG). Das OLG ist quasi die Hausherrin des Sorgenkindes. Und wo sollte man während einer Sanierung einen kompletten Justizbetrieb über Jahre unterbringen? So blieb nur der Neubau.

Es musste ein staatseigener Grund her, so groß, dass ein Kreuzfahrtschiff darauf Platz finden würde, "und wo gibt es derartige Grundstücke, die noch nicht bebaut sind", sagt Georg Eisenreich. So landete man an der Dachauer Straße, was bei einigen Justizangehörigen nicht ganz so gut ankam. Denn der alte Bau ist zwar marode - aber zentral und öffentlich durch die U-Bahn am Stiglmaierplatz hervorragend erreichbar. "Gut, das ist nicht die Altstadt", räumt der Minister auf der Baustelle ein, "aber auch nicht der Stadtrand, es ist sehr zentral gelegen. Und ich freue mich, dass die Strafjustiz ein modernes Gebäude in München bekommt".

Öffentlich jedoch ist das Gebäude nur über die Tram- und Buslinie erreichbar. Die MVG habe aber erklärt, dass es machbar sei, die etwa 2100 Bediensteten und Besucher täglich ans Ziel zu bringen. Gerechnet wird mit 1200 Besuchern am Tag, "und die kommen ja nicht alle aus der Stadt heraus, sondern auch von Richtung Norden", meint Sibylle Gräfin zu Dohna. Die MVG wolle mit Taktverdichtung und längeren Zügen reagieren. Allerdings liegt auf der Strecke auch die Maschinenbau-Hochschule, und allein durch die Studierenden sollen die Trambahnen morgens schon gut ausgelastet sein.

Georg Eisenreich steht inzwischen in einem der künftig größten Gerichtssäle Deutschlands. Allerdings noch ohne Fenster und Türen, also nur in Beton gegossen. 200 Personen sollen hier später bei Verhandlungen Platz finden, auf einer Fläche von 300 Quadratmetern. So wuchtig allerdings wirkt der Raum nicht, "das liegt am Rohbau, da sieht alles kleiner aus", weiß Bernhard Kohl vom Bauamt.

Ein kurzer Blick ins Untergeschoss zeigt die Gefangenen-Gänge. Über die Anita-Augspurg-Allee im Norden sollen die Gefangenentransporte den Neubau anfahren, über eine Rampe werden sie dann ins Untergeschoss geleitet. Dort befinden sich die Zellen, Tür an Tür aufgereiht, ohne Tageslicht. Hier warten die Anklagten auf den Beginn ihrer Verhandlung, verbringen die Mittagspause, und warten später auf den Abtransport in die Justizvollzugsanstalten. Die internen Treppenhäuser im neuen Strafjustizzentrum sind so ineinander verschachtelt, dass Gefangene wie Justizbedienstete sie gleichzeitig benutzen können, ohne dass sie einander dabei begegnen.

Sieben Stockwerke hat das Gebäude an der höchsten Stelle, und wer oben auf dem Dach angelangt ist, dem bietet sich ein spektakulärer Blick über die Stadt. Auf dem Nachbargrundstück werden gerade Wohnungen für Staatsbedienstete gebaut, und ein Drittel der gesamten Baufläche steht noch frei - falls ein weiterer Justizanbau nötig wird. Das alte Gebäude an der Nymphenburger Straße soll übrigens abgerissen werden. Zuständig ist die Immobilien Freistaat Bayern, "aber wenn es nach mir geht, sollte das Grundstück nicht verkauft werden", sagt Justizminister Eisenreich. Auch dort könnten, so ein Gedankenspiel, unter anderem Staatsbedienstetenwohnungen entstehen.

Das Amtsgericht, die Landgerichte München I und II, das Oberlandesgericht sowie die Staatsanwaltschaften München I und II sollen in dem Neubau vereint werden. Ursprünglich sollte auch die Generalstaatsanwaltschaft mit einziehen, aber die soll nun laut Eisenreich in der Karlstraße bleiben. "Derzeit prüfen wir, ob die Generalstaatsanwaltschaft München außerhalb des Strafjustizzentrums besser untergebracht werden kann. Grund dafür ist, dass sich der Raumbedarf seit Beginn der Planungen erhöht hat", sagt er. Denn die Aufgaben der Justiz wachsen - etwa im Bereich der Verfolgung von Cybercrime, Hate-Speech und grenzüberschreitender Kriminalität. Allein seit 2013 habe man in der bayerischen Justiz unter anderem 335 zusätzliche Stelle für Richter und Staatsanwälte geschaffen. "Und im Nachtragshaushalt 2020 habe ich mich erfolgreich für 90 neue entsprechende Stellen eingesetzt."

Im neuen Haus jedenfalls wird die Zukunft eine barrierefreie und energiesparende sein. "Wir kommen da fast an einen Passivhausstandard ran", sagt Eberhard Schmid. Die Decken etwa werden wasserdurchflutet. "Im Sommer wird mit Grundwasser gekühlt, im Winter beheizt." Das erfordere weniger Energieeinsatz im Gegensatz zu einer Klimaanlage, "und sorgt für mehr Behaglichkeit", ebenso die Fensterrahmen aus Eichenholz.

Wann nun die ersten Prozesse im neuen Justizgebäude stattfinden können, ist unklar. Der Einzugstermin verschiebt sich ständig, ursprünglich war 2020 geplant. Nun, so sagt Gräfin zu Dohna, rechne man bis 2023 mit der Fertigstellung. Was aber nicht heißt, dass danach alle Mitarbeiter gleich einziehen. Fast ein Jahr lang soll es einen Probelauf geben, ob die Technik funktioniert, ob die Sicherheit gewährleistet ist. In der zweiten Jahreshälfte 2024 könnte es dann so weit sein. Dann zieht die Justiz bei laufendem Betrieb um. Wie das logistisch funktionieren soll, kann die Chefin für Bau- und Haushaltsangelegenheiten am OLG derzeit nicht sagen. "Einen Plan dazu gibt es noch nicht."

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SZ vom 16.12.2020/van
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