Süddeutsche Zeitung

In Norwegen:Greta Thunberg demonstriert auch gegen Münchner Stadtwerke

Die Stadtwerke haben in eine riesige Windkraftanlage auf der Halbinsel Fosen in Norwegen investiert. Weil die aber den Samen das angestammte Land zur Rentierzucht nimmt, blockieren Aktivisten das norwegische Öl- und Energieministerium.

Von Kai Strittmatter

Gar nicht so einfach, grün zu sein. Da investieren die Stadtwerke München groß in die vermeintlich nachhaltige Windenergie, in Windparks in Norwegen vor allem - und mit einem Mal hat man nicht nur das indigene Volk der Samen zu Gegnern, sondern an vorderster Front auch noch eine sichtlich aufgebrachte Greta Thunberg.

Die schwedische Klimaaktivistin war nach Oslo geeilt, um am Montag einer Gruppe von Samen beizustehen, die in der norwegischen Hauptstadt seit Tagen schon das Öl- und Energieministerium blockieren. Wegen einer riesigen Windkraftanlage auf der Halbinsel Fosen in Trøndelag an der Westküste des Landes, die den Samen das angestammte Land zur Rentierzucht nimmt. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen gehe, sagte Greta Thunberg dem norwegischen Sender TV2, dann demonstriere sie auch gegen die grüne Windkraft: "Wir können den Klimawandel nicht als Deckmantel für Kolonialismus missbrauchen."

Kernpunkt des Streits sind die beiden 2019 und 2020 fertiggestellten Windparks Storheia und Roan bei Fosen. Gemeinsam bilden sie die größte Windkraftregion Norwegens mit im Moment 151 Windrädern. Der Windpark Roan mit seinen 71 Windrädern ging vor zwei Jahren erst, im März 2021, mehrheitlich in den Besitz der Stadtwerke München SWM und ihres norwegischen Partners Trønderenergi über.

Proteste hatten die Partnerschaft von SWM und Trønderenergi seit ihrem Beginn im Januar 2019 begleitet. Trønderenergi ist ein Unternehmen, dessen Besitzer zwei Dutzend norwegische Kommunen sind. In dem neuen Gemeinschaftsunternehmen von 2019 gehört Trønderenergi ein Minderheitsanteil von 30 Prozent, 70 Prozent gehören den Münchnern.

Bürger auf der Insel Froya protestierten 2019 schon ebenso gegen befürchtete Naturzerstörung durch die geplanten neuen Windparks wie Rentierzüchter im Gebiet Stockfjellet im Landesinneren. Die Zeitung "Aftenposten" schrieb damals vom Münchner Bier, das bald mit norwegischem Strom gekühlt und von der bayerischen Schweinshaxe, die damit erhitzt werde: "Wir tragen die Folgen, Deutschland hat ein gutes Gewissen."

Das Oberste Gericht gab den Samen recht. Doch das Urteil wird ignoriert

Die Proteste in Oslo gegen die Windanlagen in Fosen nun aber haben eine neue Qualität. Die Samen nämlich waren vor Gericht gezogen - und hatten vor eineinhalb Jahren Recht bekommen: Norwegens Oberster Gerichtshof entschied im Oktober 2021, dass der Bau der Windanlagen in Fosen die Rechte der Indigenen verletzt: Die Samen nutzen die Region seit vielen Hunderten von Jahren zur Rentierhaltung, und die sei "eine geschützte Form der kulturellen Praxis", so das Gericht. Die Rechte der Samen seien deshalb verletzt worden, weil man beim Bau keine "zufriedenstellenden Ausgleichsmaßnahmen" ergriffen habe. Weil Rentiere erfahrungsgemäß aber Land meiden, auf dem Windkraftanlagen stehen, sei die Rentierhaltung, also letztlich die Lebensweise der Samen, in dem Gebiet langfristig bedroht.

Was die Samen so wütend macht: Seit dem Urteil sind nun 500 Tage vergangen - und nichts ist passiert. "Die 151 Anlagen laufen auf Hochtouren", meldet TV2. Der zivile Ungehorsam - also die Blockade des Ministeriums in Oslo - sei ihr "letztes Mittel", sagte die Künstlerin und Schauspielerin Ella Marie Hætta Isaksen, ebenfalls vom Volk der Samen: "Wir wurden nicht gehört."

Die Äußerungen der Politik waren bislang nicht geeignet, den Zorn der Demonstranten zu besänftigen. Der sozialdemokratische Premierminister Jonas Bahr Støhre sagte lediglich, er verstehe, dass die Menschen frustriert seien. Und Energieminister Terje Aasland verkündete, man müsse nun überlegen, wie mit den Windparks zu verfahren sei. Die Regierung brauche "mehr Untersuchungen, mehr Wissen, um neue Entscheidungen zu treffen." Das könne noch ein gutes Jahr dauern.

Grünen-Chef Arild Hermstad nannte die Untätigkeit der Regierung nach dem Urteil des Obersten Gerichts "beschämend". Die Samen-Aktivisten demonstrieren nun schon seit Donnerstag vergangener Woche. Am Wochenende hatte die Polizei sie aus der Lobby des Ministeriums hinausgedrängt. Deshalb versammelten sie sich am Montag zum Protest draußen vor dem Eingang. Viele trugen die traditionelle Tracht links herum - eine alte Form des Protests bei den Samen. Anderswo habe sich längst gezeigt, dass eine Koexistenz von Windrädern und Rentierhaltung unmöglich sei, sagen die Demonstranten. "Wir fordern den Abriss der Windkraftanlagen", sagte Greta Thunberg am Montag, "und die Rückgabe des Areals an die Samen".

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