Rohre so dick wie Bierfässer glitzern in der Sonne. Drinnen rauscht mehr als 100 Grad heißes Wasser durch, aus mehr als 2000 Meter Tiefe hoch sprudelnd. Sie führen von der Erdoberfläche in ein nahe gelegenes Gebäude, wo die Wärme entzogen wird, ehe das Wasser in die Tiefe zurückfließt.
Geothermie ist der neue Renner am wichtigsten Energiestandort Münchens, auf dem Gelände des Heizkraftwerks Süd in Sendling. Hier wurde einst Kohle verbrannt und auch Müll. Große Mengen Heizöl wurden gelagert und Gas wird immer noch genutzt. Die Rohstoffe kommen und gehen seit 1899, Kamine wachsen und fallen, doch der Betreiber bleibt seit 125 Jahren der gleiche: die Stadtwerke München (SWM).
Zum Jubiläum haben Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Chef des Aufsichtsrats, und Geschäftsführer Florian Bieberbach in einen Besprechungsraum im vierten Stock des angrenzenden Gaskraftwerks geladen. Nirgends ist die Geschichte und die Bedeutung des kommunalen Tochterunternehmens spürbarer als an dem Standort, an dem mit dem Bau des ersten Kohlekraftwerks und der Übernahme der Stromversorgung in München alles begann. „Eine Erfolgsgeschichte“, sagte Reiter. Am Samstag wird sie mit einem Tag der offenen Tür gefeiert (Infos unter www.swm.de/tdot).
Der bürgerliche Name des Unternehmens täuscht, die Stadtwerke sind ein Konzern, der Marken setzt. Sie gehören zu den größten Energieversorgern Deutschlands, kümmern sich mit etwa 11 500 Mitarbeitern um den öffentlichen Nahverkehr, das Trinkwasser oder die Schwimmbäder. Im Jahr 2023 erreichten sie einen Umsatz von 9,7 Milliarden Euro. Sie übernehmen für ihre Mutter nicht nur die unangenehmen, weil teuren Pflichtaufgaben, sondern liefern auch noch regelmäßig 100 Millionen Euro Gewinn ab, mit dem die Stadt den Haushalt aufhübschen kann.
Trotz allen internationalen Engagements gehört für Geschäftsführer Florian Bieberbach die Verwurzelung in der Stadtgesellschaft zum Wesenskern: „Wir sind ein Unternehmen der Münchner Bürgerinnen und Bürger.“ Für OB Reiter ist das Teil der Erfolgsgeschichte. „München hat nie wirklich überlegt, die Stadtwerke für eine kurzfristige Sanierung der Stadtfinanzen zu veräußern“, sagt er. Das biete den Vorteil, dass der Stadtrat „den ein oder anderen Hinweis“ zur Ausrichtung geben könne. Zudem sei es in schwierigen Situationen, etwa bei der Energiekrise durch den Krieg in der Ukraine, sehr wertvoll, nicht auf Fremdanbieter angewiesen zu sein.
Dass die Stadtwerke heute als hundertprozentige Tochter der Stadt firmieren, ist auch historisch gesehen nicht selbstverständlich. Denn München hatte Ende des 19. Jahrhunderts zwei wichtige Dienstleistungen an private Firmen vergeben: die Straßenbeleuchtung und den öffentlichen Nahverkehr, also die Pferdetram. Als nun die Elektrizität mit den ersten großen Kraftwerken die Gesellschaft massiv veränderte, musste München erstmal zuschauen. Die Stadt soll zwar über den ersten elektrisch beleuchteten Hauptbahnhof verfügt haben, doch die Straßenlaternen wurden noch mit Gas befeuert.
Als 1899 die Konzession dafür auslief, hatte die Stadt ihr erstes Kohlekraftwerk in Sendling betriebsbereit. 1907 übernahm und elektrifizierte sie auch die Tram. Die Stadtwerke waren geboren, wenn auch noch nicht unter ihrem Namen. Den erhielten sie zu einer Zeit, als auch sie sich mit Diskriminierung von Juden und Zwangsarbeit in eine dunkle Ära begeben hatten. Von den Nazis wurden sie „Stadtwerke der Hauptstadt der Bewegung“ getauft. Als sie sich in der Nachkriegszeit davon gelöst hatten und zum großen Dienstleister der Stadt wurden, haben sie diese Jahre mit Historikern aufgearbeitet.
Eine Zäsur in der Ausrichtung erfolgte noch einmal im Jahr 2009. Der Auftrag: Die Stadtwerke sollten bis 2025 so viel Ökostrom erzeugen wie ganz München verbraucht. Dafür wurden Windräder in Nord- und Westeuropa gebaut und gekauft sowie ein Solarpark in Spanien. Kritiker sehen das als ein Risikogeschäft, das mit dem kommunalen Versorgungsauftrag der SWM nichts zu tun hat. Ohne Erfolg bisher. Zu 90 Prozent sei das Ziel erreicht, sagt Bieberbach, und merkt an, dass aus diesem Geschäft jährlich etwa ein Gewinn von 150 Millionen Euro erwirtschaftet werde.
Die Versorgung mit Energie und Wärme sowie der öffentliche Nahverkehr, die zur Gründung der Stadtwerke führten, werden auch die Herausforderungen der Zukunft sein. Allein die Modernisierung und der Ausbau des Netzes für Busse, Tram und U-Bahnen sowie die Umstellung der Heizungen auf saubere Energie sollen zusammen knapp 20 Milliarden Euro kosten.
Dabei seien München und die Stadtwerke auf massive finanzielle Hilfe von Bund und Land angewiesen, allein sei das nicht zu stemmen, sagt OB Reiter. Wenn er auf die Leistung der übergeordneten politischen Ebenen zu sprechen kommt, fällt seine Laune trotz des Jubiläums in die Tiefe einer Geothermiebohrung. In Bund und Land müsse sich drastisch etwas ändern, findet er. Damit sein Zukunftswunsch für die Stadtwerke in Erfüllung geht: eine zweite Erfolgsgeschichte von 125 Jahren.