Süddeutsche Zeitung

Mobilität der Zukunft:Die Münchner sollen sauber unterwegs sein

  • Der Stadtrat stimmt in seiner letzten Sitzung vor der Kommunalwahl mit großer Mehrheit für den Nahverkehrs- und den Mobilitätsplan.
  • Ersterer beschäftigt sich konkret mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der zweite Plan entwirft generelle Visionen für die Zukunft.

Von Andreas Schubert

Jetzt, wenige Wochen vor der Kommunalwahl, ist das Thema Verkehr eine beliebte Waffe der Münchner Wahlkämpfer. Da überraschte es nicht, dass bei der letzten Vollversammlung des Stadtrats vor der Wahl der Verkehr leidenschaftlich diskutiert worden ist. Auf der Tagesordnung standen ein neuer Nahverkehrsplan und der künftige Mobilitätsplan für die Stadt. Und was den Verkehr angeht, gibt es bekanntlich verschiedene Auffassungen bei den Kommunalpolitikern.

Die Fraktionschefin und Oberbürgermeister-Kandidatin der Grünen, Katrin Habenschaden, warf dem Rathausbündnis aus CSU und SPD erneut Versäumnisse in den vergangenen Jahren vor. Bereits 2017 habe der Stadtrat beschlossen, die Ziele des Bürgerbegehrens "Sauba sog i" zu übernehmen. Das forderte, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, um die Luft in München zu verbessern. Bis 2025 sollen gemäß des Beschlusse 80 Prozent des Münchner Verkehrs emissionsfrei oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln abgewickelt werden.

Die nun vorliegende Vorlage sei voller guter Vorschläge, die zum Teil auch auf Anträge der Grünen zurückgingen. Vieles hätte man aber nach Ansicht Habenschadens schon längst auf den Weg bringen können. Jetzt, drei Jahre nach dem Beschluss biete die Verwaltung nun an, erst 2023 mit einer Befragung von Bürgern nach ihrem Verkehrsverhalten zu beginnen. Letztlich setzten sich die Grünen dann auch mit ihrem Antrag durch, dass diese Befragung bereits nächstes Jahr starten soll und dass das Planungsreferat noch dieses Jahr einen Stufenplan mit Zwischenzielen vorlegen soll, wie das Gesamtziel von "Sauba sog i" erreicht werden kann.

Jens Röver, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, konterte, man habe durchaus einige wichtige Beschlüsse gefasst, etwa die West- und Nordtangenten der Tram auf den Weg gebracht, den Bau der U9 und die Busoffensive mit einem deutlich größeren Angebot und neuen Busspuren. Sebastian Schall (CSU) forderte, dass man auch künftig mit dem Auto vorankommen müsse, vor allem die Handwerker sollten ihre Kunden weiterhin erreichen können. Jörg Hoffmann, OB-Kandidat der FDP, kritisierte ebenfalls, dass etwa bei der U-Bahn-Planung viel Zeit verstrichen sei. Was dem sogenannten Modal Split angeht, die Verteilung des Verkehrs auf verschiedene Verkehrsmittel, so bezweifelte er die Bedeutung des Fahrrads für den Gesamtverkehr, das zwar für rund 18 Prozent aller Wege, aber nur fünf Prozent der tatsächlich gefahrenen Strecken genutzt werde.

Er wünsche sich für den nächsten Stadtrat mehr "unideologische" Verkehrspolitik, sagte Hoffmann. Dem widersprach Paul Bickelbacher (Grüne). Der Modal Split habe durchaus seine Berechtigung, da das Rad auf kurzen Strecken häufiger zum Einsatz komme als das Auto. Johann Sauerer (ÖDP) erklärte erneut, die Verteilung des öffentlichen Raums sei keine ideologische Frage, sondern eine mathematische. Wenn Räume neu vergeben werden, so Sauerer, dann an diejenigen Verkehrsteilnehmer, die wenig Fläche brauchen. Wie auch die Grünen sprach sich Sauerer für einen Zeitplan bei der Umsetzung des Nahverkehrsplans aus.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der zusammen mit Stadtbaurätin Elisabeth Merk Ende Januar eine umfangreiche, aber milliardenteure Ideensammlung für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vorgestellt hatte, erklärte, was sich die Stadt nicht leisten könne, müsse man halt wieder streichen. Jetzt müsse man den Preis für jede einzelne Strecke ermitteln, dann prüfen, ob es eventuell Fördermittel vom Bund gibt, und dann beschließen.

Letztlich stimmte der Stadtrat mit großer Mehrheit und nur gegen die Stimmen der Bayernpartei und der FDP sowohl für den Nahverkehrs- als auch für den Mobilitätsplan. Für alle, die sich jetzt zu Recht fragen, was denn da der Unterschied zwischen den beiden Plänen ist: Der Nahverkehrsplan beschäftigt sich konkret mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Der Mobilitätsplan hingegen entwirft generelle Visionen für die Zukunft. Dahinter steht die Erkenntnis, dass es nicht reicht, zum Beispiel nur den öffentlichen Nahverkehr als alleinige Maßnahme auszubauen, um alle Verkehrsprobleme zu lösen. Vielmehr geht es um das Zusammenspiel verschiedener Lösungsansätze, die zeitlich versetzt realisiert werden sollen - "Modellstadt 2030" heißt dieses Projekt der Inzell-Initiative, die von der Landeshauptstadt und BMW gegründet wurde und bei der auch weitere Verbände und Unternehmen mitwirken.

Das schließt den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs ebenso ein wie die Förderung des Radverkehrs und eine neue Organisation des Lieferverkehrs. Für Letzteren sind zum Beispiel noch mehr innerstädtische Depots vorstellbar, von denen aus bestimmte Gebiete mit elektrischen Fahrzeugen oder Lastenrädern beliefert werden können. Es gibt solche Stationen bereits zum Beispiel im Glockenbach- und im Schlachthofviertel, wo UPS seine Pakete zunächst in großen Containern per Lastwagen an die Stationen anliefert und von dort aus dann die Boten mit ihren Lastenrädern starten.

Vor allem der ÖPNV ist am besten dazu geeignet, möglichst viele Menschen umweltfreundlich zu transportieren. Konkret will die Stadt prüfen lassen, ob sich etwa Tramlinien verlängern lassen, etwa von Steinhausen nach Daglfing. Als Zielsetzung des Nahverkehrsplans sind unter anderem auch kürzere Fußwege zu den nächsten ÖPNV-Haltestellen vorgesehen sowie dichtere Taktungen der Verkehrsmittel, auch außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Außerdem soll der Nahverkehr beschleunigt und das Stadtzentrum von den Stadtbezirken aus innerhalb einer halben Stunde erreichbar sein.

Dazu können auch neue sogenannte On-demand-Verkehre beitragen, also Rufbusse oder Ruftaxis, die sich per App anfordern lassen, wie der Isartiger der Münchner Verkehrsgesellschaft. Dass für viele Maßnahmen zugunsten des Radverkehrs und der Beschleunigung des Busverkehrs der Autoverkehr wird zurückstecken müssen, hat nach der Sitzung am Mittwoch bereits erste Kritik hervorgerufen. Handwerkskammerpräsident Franz Xaver Peteranderl teilte mit, der Mobilitätsplan gehe "so gut wie gar nicht" auf die Bedürfnisse von Handwerk und Gewerbe ein. Fahrspuren zu reduzieren gehe zulasten des Wirtschaftsverkehrs. Auch vor einer City-Maut warnte Peteranderl. Diese würde die Handwerkerleistungen weiter verteuern und die Nahversorgung einschränken.

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SZ vom 20.02.2020/vewo
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