Süddeutsche Zeitung

Münchner Stadtrat:Ungewöhnlich rüde Debatte um neuen Stadtschulrat

Die Opposition verweigert dem Kandidaten der Grünen, Florian Kraus, geschlossen die Zustimmung. Der 45-jährige Jurist reagiert nach seiner Wahl selbstbewusst.

Von Heiner Effern

Wenn eines der wichtigsten, wahrscheinlich sogar das bedeutendste Amt der Stadtverwaltung vergeben wird, schlagen die Emotionen in der Politik schon mal hoch. Schließlich wurde der Chef von 15 200 Beschäftigten gewählt, der einen Etat von 1,6 Milliarden Euro verantwortet. Aber der neue Stadtschulrat Florian Kraus von den Grünen musste sich vor seiner Bestellung im Stadtrat in ungewöhnlich heftigen bis rüden Worten anhören, für wie völlig ungeeignet ihn die Opposition hält. "Erbärmlich" sei das Ergebnis der Kandidatensuche bei den Grünen ausgefallen, sagte etwa CSU-Bildungsexpertin Beatrix Burkhardt. Gewählt wurde Kraus trotzdem, mit 25 von 45 Stimmen in der wegen Corona dünn besetzten Vollversammlung.

Dass es nicht leicht werden würde, das wusste Kraus im Vorfeld. Er hat kaum pädagogische Erfahrung, war politisch bisher nur im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe aktiv. Aber schon die Diskussion vor seiner Wahl habe gezeigt, wie komplex das Amt sei, sagte er. Die einen forderten einen Pädagogen, die anderen in der Coronakrise einen Verwaltungsfachmann. Das Amt des Stadtschulrats erfordere "eine Eier legende Wollmilchsau", so viele verschiedene Qualifikationen seien hier gefragt. Einige von diesen könne er durchaus vorweisen, sagte der 45 Jahre alte Jurist selbstbewusst nach seiner Wahl.

Das sehen nicht nur die Grünen so, die ihn vorgeschlagen haben, sondern auch ihre Koalitionspartner von der SPD. Es gebe nicht nur formelle, sonder auch informelle Qualifikationen, sagte Fraktionschef Christian Müller. Wenn sich jemand ehrenamtlich so intensiv in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert habe wie Florian Kraus, sei das ein gewichtiges positives Argument. Die SPD habe "keine Zweifel an der Eignung", sagte Müller. Die Vorstellung im Stadtrat vor der Wahl sei dazu passend "sehr, sehr positiv" gewesen.

Kraus hatte vier Schwerpunkte für die kommenden sechs Jahre seiner Amtszeit angekündigt: Bildungsgerechtigkeit, Demokratiebildung, Sportmöglichkeiten für alle Münchnerinnen und Münchner und die Bewältigung der Coronakrise und ihrer Folgen. Als konkrete Ziele nannte er unter anderem den Ausbau des Ganztagsangebots an den Schulen und der Infrastruktur im Sport sowie die Nutzung jeglichen Spielraums für geeignete Münchner Wege im Umgang mit der Pandemie. Kraus betonte, dass er im Team mit den Beschäftigten, die "oft über Gebühr" einen großartigen Dienst leisteten, die Bildung in München voranbringen möchte. Das schaffe nicht einer an der Spitze "wir sind 15 000", sagte er nach der Wahl am Rande der Sitzung. Zuvor hatte er nach der Kritik an seiner Bestellung zweimal versprochen, Stadtschulrat und Sportreferent "für alle Münchnerinnen und Münchner" sein zu wollen.

Dass er beides sehr gut schaffen wird, davon sind natürlich auch die Grünen überzeugt. Sie hatten nach dem Wechsel der bisherigen Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) an die Spitze des Gesundheitsreferats laut Koalitionsvertrag das Vorschlagsrecht. Im Dezember hatten sie völlig überraschend Kraus als ihren Kandidaten präsentiert. Dieser sei "ein erfahrener Jurist, der mit seinem analytischen Verstand den Überblick behält", begründete Fraktionschefin Anna Hanusch die Entscheidung, als sie Kraus vor der Wahl im Stadtrat vorstellte. Er habe zudem nicht nur Erfahrung in der Jugendarbeit, sondern auch als Dozent und wisse als früherer Mitarbeiter im Landtag, wie Politik und Verwaltung zu verzahnen seien.

Das reichte niemandem aus der Opposition, die Kraus geschlossen die Zustimmung verweigerte. Er sei ja sympathisch, konstatierte Gabriele Neff (FDP), aber die Personalie zeige, dass bei den Grünen nach Parteibuch besetzt werde. "Wer halt grad dran ist", werde gewählt, sagte sie. Linken-Fraktionssprecher Stefan Jagel zeigte sich "irritiert", dass die formale Qualifikation für ein solches Amt als Jurist den Grünen offenbar ausreiche. Wie sehr das in der Bildungspolitik schief gehen könne zeige ein Blick auf die Landespolitik: Kultusminister Michael Piazolo sei schließlich auch Jurist. Marie Burneleit, Stadträtin der Satirepartei Die Partei, kommentierte von der Wohnzimmercouch, auf der sie wegen der Corona-Beschränkung die Sitzung verfolge musste, die Wahl über Twitter. "Ich schlage übrigens mich als #stadtschulrätin vor. Bin Juristentochter, also juristisch fit. Und habe als Lehrerin gearbeitet (homeschooling) und habe Führungserfahrung (@DiePARTEI_Muc) und sitze im Bildungsausschuss. Damit bin ich wie geschaffen für die Aufgabe!" Sie erhielt in der Vollversammlung zwei Stimmen.

Die Reaktionen der Opposition hatten Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dazu veranlasst, seinem neuen Stadtschulrat schon vor der Wahl ausdrücklich Mut zuzusprechen. "Nehmen Sie es nicht tragisch. Sie hätten wohl keine Qualifikation vorweisen können, die Ihnen das erspart hätte", sagte er. In der Tat hatte ein Großteil der harschen Kritik mehr auf die Grünen gezielt als auf ihren Kandidaten. Eine Parteibuchbesetzung in einem Bereich, der von ihnen stets als so essenziell beschrieben werde, so ließ sich der Tenor zusammenfassen. Kraus versicherte, deshalb nicht persönlich verletzt zu sein, und mit allen gut zusammenarbeiten zu wollen. Das kann er schon von kommenden Montag an zeigen, an seinem ersten Arbeitstag als Münchner Stadtschulrat.

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SZ vom 28.01.2021/aner
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