Stadtrat München:Wähler hinters Licht geführt
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Die vielen Übertritte haben den Stadtrat stark verändert. Den Wählerwillen bildet das längst nicht mehr ab.
Kommentar von Dominik Hutter
Ob wohl irgendjemand, der 2014 das sozialdemokratische Urgestein Alexander Reissl gewählt hat, damit die CSU stärken wollte? Und sind 1,2 Prozent Piraten-Wähler damit einverstanden, im Nachhinein für die FDP votiert zu haben? Wissen die Wähler der Ex-Sozialdemokratin Birgit Volk, dass die politische Wirkung einer fraktionslosen Stadträtin in den allermeisten Fällen nahe null liegt? Und ob alle Münchner, die einst dem Euro-Kritiker Andre Wächter von der damals noch Lucke-geprägten AfD ein Kreuzchen widmeten, die Bayernpartei stärken wollten, kann man getrost anzweifeln.
Es ist aber so gekommen im Münchner Rathaus, und die Liste der Beispiele ist keineswegs vollständig. Tatsächlich tagt aktuell ein völlig anderer Stadtrat als der, den die Wähler vor fünfeinhalb Jahren gewählt haben. Es fällt im Alltag nur nicht so auf, weil die Mehrheitsverhältnisse dadurch nicht gekippt sind, der Vorsprung der großen Koalition ist groß genug. Den Wählerwillen bildet dies allerdings nicht mehr ab. Am extremsten hat die Bayernpartei von der Lust zum politischen Farbwechsel profitiert: 0,9 Prozent errang die Partei im Jahr 2014, was einem Sitz im Rathaus entspricht. Inzwischen sind es durch diverse Übertritte sechs geworden.
Die Piraten, die Wählergruppe Hut wie auch die AfD gibt es dagegen gar nicht mehr - gewählt wurden diese Listen aber sehr wohl. Die Motivation der meisten wechselwilligen Stadträte, das lässt sich getrost behaupten, war wohl weniger das persönliche Erweckungserlebnis, das zum Abschied von den alten politischen Weggefährten zwang. Es war ganz überwiegend Trotz. Unzufriedenheit mit dem Verhalten der bisherigen Fraktion, das Gefühl politischer Ohnmacht oder die Erkenntnis, von den eigenen Parteifreunden in eine Karriere-Sackgasse bugsiert worden zu sein. Vielleicht auch gekränkte Eitelkeit.
Gut ist das nicht. Natürlich ist die Freiheit des Mandats ein hohes Gut, Politiker sollten vom eigenem Gewissen und der eigenen Überzeugung geleitet werden. Nicht von ihrer Parteizugehörigkeit. Nur: Zu viel ist zu viel - die Masse der Übertritte hat das politische Spektrum im Rathaus so verändert, dass sich der Wähler zu Recht hinters Licht geführt fühlen kann. Und das Gefühl bekommt, die Parteien seien beliebig austauschbar. Juristisch regeln lässt sich dieses Problem wohl nicht. Aber es wäre schön, wenn es nicht mehr allzu oft auftritt.