Süddeutsche Zeitung

Münchner Stadtrat:SPD kommt nicht zur Ruhe

  • Eine Woche nach dem Wechsel des Fraktionsvorsitzenden Alexander Reissl zur CSU verlässt auch Stadträtin Birgit Volk die SPD-Fraktion im Stadtrat.
  • Die neuen Fraktionschefs Verena Dietl und Christian Müller sprechen von persönlichen Gründen für den Austritt.
  • Am Dienstag erklärt die neue Führung außerdem die neuen Linien bei wichtigen Wahlkampfthemen.
  • Die Botschaft lautet: Hier sitzen zwei gleichberechtigte Vorsitzende, ein neuer Führungsstil soll Einzug halten.

Von Dominik Hutter

Ein paar matt schimmernde Auszeichnungen stehen noch neben dem Fenster, gegenüber stapeln sich Aktenordner. Ansonsten wirkt das Büro der Fraktionsleitung leer und unpersönlich - Alexander Reissl hat vieles von zu Hause aus erledigt und die wenigen privaten Dinge rechtzeitig ausgeräumt. Der dunkelbraune Chefschreibtisch und das düstere Mobiliar sollen nun weichen.

Die neue vierköpfige Führung der Rathaus-SPD setzt demonstrativ auf Teamwork und will den Raum gemeinsam nutzen. "Es ist so, wie es ist", sagt Verena Dietl. Aber, das ist auch ihrem Amtskollegen Christian Müller wichtig, man blicke nach vorn. Beide Reissl-Nachfolger sprechen stets einmütig, zu jedem politischen Thema gibt es ein Dietl- und ein Müller-Statement. Hier sitzen zwei gleichberechtigte Vorsitzende, lautet unmissverständlich die Botschaft. Ein neuer Führungsstil soll Einzug halten in die Raumfluchten im ersten Stock des Rathauses.

Eine Woche ist es nun her, dass der SPD ihr langjähriger Fraktionsvorsitzender abhanden gekommen ist. Wobei das fast zu harmlos formuliert ist: Der altgediente Sozi-Haudegen Reissl ist gnadenlos zur CSU-Fraktion übergelaufen. Da kann man es eigentlich nicht brauchen, wenn eine Woche später schon der nächste Verlust zu verzeichnen ist: Birgit Volk, seit 2008 im Stadtrat und bis vor einigen Monaten bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, hat ebenfalls der Rathaus-SPD den Rücken gekehrt und will nun als Fraktionslose die Amtsperiode beenden. Persönliche Gründe seien es gewesen, sagen die neuen Fraktionschefs. Und dass Volk schon vor Längerem gesagt habe, dass sie ohnehin nicht noch einmal kandidieren will.

Um die gebürtige Koblenzerin war es schon seit einiger Zeit ruhiger geworden, der Fall sei mit dem Reissl-Schock nicht vergleichbar, betont man bei der SPD. Volk selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Klar ist aber, dass im allmählich aufziehenden Kommunalwahlkampf der Eindruck von einer bröckelnden Fraktion nicht gerade das ist, was man sich so wünscht. Dass man aber trotzdem nicht nachtreten will. Immerhin sind die Sozialdemokraten nicht allein: Drei Fraktionswechsel musste die SPD seit der Wahl 2014 verkraften, genau so viele wie die CSU. Da auch bei diversen anderen Parteien ein munteres Farbe-Wechsel-Dich-Spielchen stattgefunden hat, spiegelt der Stadtrat inzwischen nicht einmal mehr annähernd das Wahlergebnis von 2014 wider.

Gerupft will sich die SPD trotzdem nicht fühlen. Offenkundig bedeutet der Reissl-Kehraus für die verbleibenden 23 SPD-Stadträte Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil die Außenwirkung natürlich fatal ist, weil die Fraktion schwächer geworden ist und weil ihr einer der versiertesten Kommunalpolitiker fehlt. Und Segen, weil nun im internen Umgang ein Neuanfang, ein Aufbruch möglich ist. Alle Fraktionsmitglieder sollten künftig ihr Profil schärfen, "sich in Szene setzen" können, wie es Dietl ausdrückt. Den Wunsch, stärker im Team zu arbeiten, offener zu sein und spontaner zu agieren, habe es schon länger gegeben, betont Müller. Und dass die Fraktion deshalb schon seit einiger Zeit bei den Stadtratssitzungen auf eine "One-Man-Show" verzichte und zunehmend auf die Kompetenz der Fachsprecher setze.

Was eine kaum verhohlene Kritik am bisherigen starken Mann der Fraktion ist, dem hinter vorgehaltener Hand eben dies immer wieder vorgeworfen wurde. Zu autoritär, zu verbissen, lässt niemand anderen hochkommen, lautete die Klage seit vielen Jahren. Ob berechtigt oder nicht - Reissl habe beim Arbeitsstil eben "andere Akzente gesetzt", formuliert Müller. Das soll nun anders werden.

Dafür stehen nicht zuletzt auch die beiden neu gewählten Stellvertreter Anne Hübner und Christian Vorländer. Die Fraktion hat in Windeseile eine neue Chefriege gekürt - schneller, als sie selbst angekündigt hatte. Offenbar hatten die Stadträte kein Interesse, die bereits losgebrochene innerparteiliche Personaldiskussion noch länger toben zu lassen.

Dietl sieht die SPD als die "Kümmerer-Partei"

Inhaltlich wollen Dietl und Müller den bisherigen SPD-Kurs beibehalten, der München gutgetan habe. Und gleichzeitig die neue Linie fortführen, die schon seit einigen Monaten vorbereitet und praktiziert werde. Damit dürfte vor allem die Verkehrs- und Umweltpolitik gemeint sein, bei der - unter tätiger Mitwirkung von Oberbürgermeister Dieter Reiter - die Akzente deutlich verschoben wurden: weniger Auto, mehr Fahrrad und MVV. Auch wenn man das Auto keineswegs verteufeln wolle, was angesichts von mehr als 700 000 Fahrzeugen mit M-Kennzeichen auch schwierig sei. Nur: Wer es vermeiden kann, solle doch bitte sein Gefährt stehen lassen. Es gehe um Angebote, nicht um ein Auto-Verbot. Auch wenn die SPD es schön fände, wenn schon ein paar mehr Autos mit E-Motoren statt dem klassischen Verbrennungsantrieb ausgestattet wären. Klimaneutralität sei keine Floskel.

"München muss eine Stadt für alle sein und dies auch bleiben", sagt Müller, der wie Dietl im Sozialbereich arbeitet. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der Fokus der Fraktion nun noch ein wenig mehr in Richtung Soziales wandert. Dietl sieht die SPD als die "Kümmerer-Partei" - als die, die auch diejenigen im Auge hat, denen es nicht gar so gut geht.

Überhaupt kein Verständnis hat die SPD daher für das von Freien Wählern, ÖDP und München-Liste angekündigte Bürgerbegehren gegen "maßlose Nachverdichtung". "Wir machen nicht nur Politik für die, die am lautesten schreien", ätzt Dietl. Müller erinnert an 12 000 Menschen, die beim Wohnungsamt in höchster Priorität als Wohnungssuchende registriert seien. München brauche dringend weiteren Wohnungsbau, vor allem im bezahlbaren Segment. Diese Situation einfach zu ignorieren, sei ein "ausgemachter Zynismus".

Zumal das Wachstum der Stadt auch mit dem Geburtenüberschuss zusammenhänge - und für diese Münchner benötige man in 15 bis 20 Jahren weiteren Wohnraum. Aber auch Gewerbe sei für Stadt unverzichtbar, ebenso wie die Einnahmen durch die Gewerbesteuer, mit der viele Leistungen finanziert werden könnten. Dazu komme ein erheblicher Bedarf an Pflegekräften, Erziehern, Handwerkern und auch beim Nahverkehr. Das alles könne man natürlich "einfach verleugnen", sagt Müller. Aber richtig sei das nicht.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2019/fema
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