Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:Die unersetzliche Stimme

Marian Offman, einer der profiliertesten Lokalpolitiker Münchens, war 18 Jahre lang im Rathaus, 17 davon für die CSU. Nun ist er für die SPD knapp gescheitert und wird mit Lob überhäuft. Wer glaubt, er schmeiße jetzt hin, kennt den 72-Jährigen schlecht.

Von Bernd Kastner

Da sitzt kein Resignierter, auch wenn er verloren hat. Da sitzt kein geschlagener Mann, auch wenn er verletzt wurde. Da sitzt Marian Offman und sagt: "Es ist ein Gefühl der Leere. Es macht mich traurig. Aber ich empfinde es nicht als demütigend, weil es ein demokratischer Vorgang war." Die Münchner haben entschieden, dass Offman dem künftigen Stadtrat nicht mehr angehört. 18 Jahre lang saß er im Rathaus, 17 davon für die CSU. Jetzt, im Jahr nach seinem Wechsel zur SPD, ist er draußen. Er, der nicht nur einer der profiliertesten Lokalpolitiker ist, sondern auch der einzige jüdische Stadtrat.

"Es geht mir gut", sagt Offman. Er sitzt in seinem Büro in der Müllerstraße, dort betreibt er eine Hausverwaltung. Der Raum ist groß, vor seinem Schreibtisch steht ein Besprechungstisch in Hufeisenform, der Corona-Abstand ist gewahrt. Es geht gut? Er meint seine Gesundheit. Den Wahlkampf habe er mit seinen 72 Jahren gesund überstanden, trotz vieler Stunden in der Kälte, und das Virus hat ihn bislang auch verschont. Corona, die Angst und das Leid vieler Menschen beschäftige ihn gerade mehr als sein politisches Schicksal, das ist ihm wichtig rüberzubringen. Es gebe wesentlich Schlimmeres als den 15. März.

Jener Sonntag ist der Tag seiner Niederlage. Zwar haben ihn die Wähler von Platz 23 auf 20 vorgehäufelt, aber die SPD ist abgestürzt, weshalb diese seit Ewigkeiten München regierende Partei nur noch 18 Sitze hat. Wenn Dieter Reiter am Sonntag die Stichwahl gewinnt und Oberbürgermeister bleibt, wird der erste SPD-Nachrücker, Nikolaus Gradl, ins Rathaus einziehen. Der nächste ist Marian Offman. Dass er rein darf, wenn einer ausscheidet, das kann im nächsten Monat so weit sein, darauf kann er in fünf Jahren aber immer noch warten müssen.

"Was hätte ich anders machen sollen?" Offman weiß keine Antwort. Er hat seinen Wahlkampf als Jude, als Sozialpolitiker und als Kämpfer gegen Rassismus geführt. Das würde er wieder so machen. Er habe ja auch einen Erfolg erzielt, der Rechtsextremist Karl Richter wurde nicht mehr gewählt. Richter hatte mit seiner Liste BIA ein übles Plakat geklebt, das dazu aufruft, bestimmte Stadträte mit dem Besen aus dem Rathaus zu fegen, darunter Offman. Münchens einziger jüdischer Stadtrat hat es nicht mehr geschafft. Und das in einer Zeit, da der Antisemitismus um sich greift, da rechtsextreme Übergriffe Angst unter Juden und anderen Minderheiten verbreiten und die AfD Einfluss gewinnt, ob sie nun viele Mandate erringt oder, wie in München, lediglich drei.

Draußen also. Weil er Jude ist? "Ich weiß es nicht." Natürlich seien ihm solche Fragen gekommen, sagt Offman, aber dass hinter seiner Rauswahl Antisemitismus stecke, nein, das glaube er nicht.

Irgendwann im Laufe des Gesprächs, in dem er laut nachdenkt über sich und andere, in dem er seine politischen Erfolge skizziert und an seinen Einsatz für das NS-Dokuzentrum und das Jüdische Museum erinnert und an seine Vermittlung im Streit um die Stolpersteine für NS-Opfer, irgendwann sagt Offman, dass sich das Reden über sein politisches Leben "fast schon wie eine Therapie" anfühle. Das stellt er fest, als er gerade sein Verhältnis zur CSU beschrieben hat.

So, wie er es empfindet. Im Juli 2019 hatte er die Partei verlassen. Ein Fehler? Nein, sagt er. Er habe gespürt, nicht mehr gewollt zu sein. Weil er vielen lästig geworden sei, weil er in der CSU als Linker gegolten habe. Einer der obersten Christsozialen habe ihn mal "linksradikal" genannt, und das sei keine neckische Bemerkung gewesen. Als er seinen Namen vor ein paar Jahren auf zwei Todeslisten von Neonazis las, habe er ein paar CSU-Spitzenleute um Solidarität gebeten, vergeblich. Ein prominenter Parteikollege habe ihm geraten, sich eine Waffe zuzulegen. Er, Offman, habe beim Sicherheitsdienst der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) angefragt, was die davon halten. Und sie haben ihm gesagt, eine Waffe mache nur Sinn, so erinnert sich Offman, wenn er bereit sei, auf einen Menschen zu schießen, ihn zu töten. Also keine Waffe. Dafür ein Fluchtreflex, raus aus der CSU.

An dieser Stelle geht Offman Jahrzehnte zurück, in eine Zeit, da er sich noch nicht habe vorstellen können, in die deutsche Politik zu gehen. Lange Zeit sei es für sehr viele Juden unvorstellbar gewesen, sich im Land der Täter politisch zu engagieren. Er, der in der Jugend Pazifist und ganz links gewesen sei, trat Mitte der Neunzigerjahre in die christliche Partei ein, weil sich die christlichen nicht von den jüdischen Werten unterscheiden, sagt er. Es sei ihm gelungen, die frühere Distanz zwischen CSU und jüdischer Gemeinde zu verringern.

Kaum war Offman in der CSU, kam die Wehrmachtsausstellung nach München, und seine Parteioberen agitierten dagegen. Versuchten, den Anteil der Wehrmacht an der Vernichtung der Juden kleinzureden. Offman war in der Partei gelandet, die sich auf die Seite von Tätern stellte, so habe es sich für ihn angefühlt. Ihm sei gar nicht wohl gewesen, erzählt er. Immerhin, sein großes Ziel hat er erreicht: die Unterstützung der CSU für das jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz, eines der herausragendsten Bauwerke der Stadt.

Auch wenn er einige Unterstützer gefunden habe, wie er sagt, in der Partei blieb er der Außenseiter vom linken Rand. Immerhin, er zog als Sozialpolitiker Wähler an, auch deshalb, weil er über Jahre die SPD-dominierten Stadtwerke wegen ihrer Preispolitik kritisierte. Da hat seine spätere Partei, die SPD, erlebt, wie unbequem dieser Mann sein kann, wenn er von etwas überzeugt ist.

Und er ist oft überzeugt. Am Ende einer wachsenden Entfremdung war es, so sagt er, vor allem die Asylpolitik und die damit verbundene Rhetorik, die Offman von der CSU entfremdete. Und das alles in einer Atmosphäre, in der er Grundlegendes vermisst habe: Solidarität zu einem angefeindeten und bedrohten Juden. Er habe keine Unterstützung mehr gespürt, stattdessen Nadelstiche, auch, als es darum ging, ob ihn die CSU nochmals für die Kommunalwahl aufstellt. "Die wollten den linken Exoten Offman loswerden."

Ein Wechsel zu den Grünen sei keine Option für ihn gewesen, trotz ihres Aufwinds. Das Soziale sei ihm wichtiger als das Ökologische. Für die SPD habe er sich auch als Jude entschieden, waren es doch Sozialdemokraten, die in der NS-Zeit zusammen mit Juden in den Konzentrationslagern saßen und litten. Die SPD hat ihn freudig erstaunt empfangen, doch wirklich belohnt hat sie ihn nicht. Offman bekam einen ordentlichen Listenplatz, aber keinen sicheren. Weil die besten Plätze schon vergeben waren? Weil die Jüngeren nicht hinnehmen wollten, dass ein 72-Jähriger sie überhole? Er wirkt, als könnte er beides verstehen. Und nein, er sei seiner neuen Partei nicht gram.

Offman sagt, er würde sich freuen, wenn er nachrücke, wann auch immer. Er werde jedenfalls nicht trotzig hinschmeißen. Nach der Wahl habe er in sich hineingehört und festgestellt: "In mir ist nach wie vor der starke Wille, den Menschen zu helfen." Das wolle er jetzt außerhalb des Stadtrats tun. Er wolle sich weiter einbringen, ob für Uiguren, für Muslime, für Sinti und Roma, gegen Ausgrenzung. Und im Vorstand der Kultusgemeinde ist er ohnehin weiter aktiv.

Schon zu Beginn des Gesprächs hat Offman von seiner Facebookseite erzählt. Das sei ihm zwar fast peinlich, sagt er, aber man merkt, er freut sich und ist stolz darauf, was Dutzende Menschen an Kommentaren hinterlassen haben. Einer schreibt: "Ich hab Sie trotz einiger Differenzen extra gewählt. Bin Jude und viel weiter links als sie. Ihre antifaschistische Stimme wird fehlen." Ein anderer: "Ich hoffe sehr, dass Ihre wichtige und unersetzliche Stimme bald im Stadtrat zurück ist. In der Öffentlichkeit wird sie nichts von ihrer Bedeutung verlieren!" Es schreibt auch Till Hofmann, König der Kleinkunstbühnen und Organisator diverser Anti-Nazi-Demos, im bayerischen Hochdeutsch: "Freund Marian, Du bist einer der mutigsten, kerzengeradesten Menschen in der Stadt für Demokratie, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus, egal ob Du in Deinem jugendlichen Alter grad im Stadtrat sitzt, nachrückst oder nicht. München braucht Typen wie Dich und München dankt Dir."

Das alles tröstet. Das darf Marian Offman als das verstehen, was es ist: als Hymne auf einen, der noch nicht aufgibt.

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SZ vom 27.03.2020
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