Süddeutsche Zeitung

Gastronomie und Corona:Und jetzt alle raus

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Der Stadtrat erlässt Restaurants, Bars und Cafés in diesem Jahr vollständig die Gebühren für Außenbereiche auf öffentlichem Grund. Die Fraktionen setzen sich über Bedenken der städtischen Juristen hinweg.

Von Heiner Effern und Franz Kotteder

Cafés, Eisdielen, Kleingaststätten und Bars dürfen nun wie Speiselokale zusätzliche Tische und Stühle in anliegende Parkbuchten stellen, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Damit sollen sie in der Corona-Krise Umsatzeinbrüche abmildern können. Dazu entfallen für alle Gastrobetriebe im Jahr 2020 die kompletten Gebühren für ihre Außenbereiche auf öffentlichem Grund. Das beschloss der Stadtrat am Dienstag in einer Sitzung des Kreisverwaltungsausschusses. Mit dem vollständigen Erlass der Gebühren setzte er sich einstimmig über rechtliche Einwände der Verwaltungsjuristen hinweg. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verwies auf das "Primat der Politik", das rechtliche Risiko würde man "demütig gemeinsam tragen".

Dem Stadtrat ging es darum, den vielfach um ihre Existenz kämpfenden Gastronomen das Leben noch etwas zu erleichtern. "Die Botschaft wird sein, dass wir von Gebühren absehen. Wir erheben keine mehr und zahlen schon erhaltene zurück", sagte Oberbürgermeister Reiter. Sein Parteikollege und Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle hatte vorgeschlagen, die Gebühren auf 25 Prozent zu senken. Ein paar Prozent weniger seien auch noch rechtlich zulässig, einen kompletten Verzicht erlaube die Gemeindeordnung aber nicht. Das sei auch die Meinung der Aufsichtsbehörde der Stadt, der Regierung von Oberbayern. Wenn der Stadtrat sich darüber hinwegsetze, komme es darauf an, ob diese dann einschreite.

OB Reiter deutete an, dass er dieses Risiko für überschaubar halte. Wenn sich niemand beschwere, werde auch nichts passieren. Der Beschluss sei in dieser "Ausnahmesituation" schlicht und einfach nötig. Beantragt hatten ihn die Fraktionen von FDP/Bayernpartei, der CSU, SPD/Volt und Grüne/Rosa-Liste.

Auch die bayerische Staatsregierung kam am Dienstag der Gastronomie entgegen. Sie verlängert die Öffnungszeiten von bisher 22 auf 23 Uhr und erlaubt wieder Familienfeiern sowie die Bewirtung von Gruppen in einer Größe von bis zu zehn Personen. Betreiber von Kneipen und Cafés profitieren also von diesem Sitzungstag doppelt. Sie hatten sich über die bisherige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Speiselokalen bitter beschwert. Diese Kritik habe er gut verstehen können, sagte Christian Vorländer, SPD-Fraktionsvize im Stadtrat. Es sei deshalb "selbstverständlich", dass die Stadt nun reagiere. Gudrun Lux von den Grünen rechnete vor, dass die temporäre Umgestaltung von Parkplätzen zu Gastro-Flächen ein voller Erfolg sei. Auf 299 Stellplätzen seien 1600 Sitzplätze in Restaurants und Gaststätten entstanden. "Die Leute wollen draußen sein und sich treffen", gerade in Corona-Zeiten.

Doch durch die lockere Genehmigung von Freiflächen sind sogar noch mehr Außenplätze in der Gastronomie entstanden, wie das Kreisverwaltungsreferat in der Beschlussvorlage darlegt. Denn zur Hilfe in der Corona-Krise dürfen Betreiber nicht nur Parkplätze nützen, sondern ihre Freiflächen vor der Türe auch über die Gebäudegrenze hinaus erweitern. Das habe weitere 1700 Plätze ermöglicht. 318 von 471 Anträgen seien bis zum 8. Juni bearbeitet worden, heißt es in dem Papier. Das entspreche einer Genehmigungsquote von 78 Prozent. Leer ausgehen bei den Parkplatz-Terrassen werden hingegen die etwa 1100 Bäckereien und Metzgereien, die vor Ort den Verzehr von Speisen und Getränken anbieten. Ihr Hauptgeschäft sei der Verkauf ihrer Ware an Laufkunden, der durch Corona weit weniger eingeschränkt war als das Geschäft der Gastronomie. Doch auch ihnen kommt die Stadt entgegen. Sie dürfen ihre Freiflächen am Gebäude entlang soweit vergrößern, dass sie auf die Sitzplatzzahl aus Vor-Corona-Zeiten kommen.

Christian Schottenhamel, Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga und Wirt von Nockherberg und Menterschwaige, begrüßt die Entscheidungen: "Da hat sich die Stadt wirklich beweglich gezeigt, das freut uns natürlich." Der Weg gehe nun in die richtige Richtung, dass sich drinnen künftig wieder bis zu 50 Menschen zusammenfinden können, sei ein wesentlicher Fortschritt. "Leider haben aber Bars und Clubs noch immer keine Zukunft, und die Maskenpflicht ist für unsere Bedienungen wirklich hart."

Auch Gregor Lemke vom Augustiner Klosterwirt am Dom, Sprecher der Innenstadtwirte, ist glücklich über die neuen Lockerungen: "Das geht zwar alles scheibchenweise", sagt er, "aber wir freuen uns über jedes neue Scheibchen." Der wichtigste Punkt sei für die Wirte in der Innenstadt, dass sich nun wieder zehn Leute aus unterschiedlichen Haushalten treffen dürfen. "Das heißt, dass sich unsere Stammtische wieder treffen dürfen. Die fehlten uns natürlich sehr."

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SZ vom 17.06.2020
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