Der Tag des Sparens beginnt mit Protest: Vor Beginn der Stadtratssitzung am Mittwoch, morgens um halb neun, demonstrieren etwa 50 Aktivistinnen und Aktivisten aus der Klimabewegung vor dem Rathaus. Aufgerufen hat unter anderem das Netzwerk Saubere Energie, ein Zusammenschluss zahlreicher Umweltgruppen: „Wir protestieren aufs Schärfste gegen die Rolle rückwärts beim Klimaschutz“, lautet die zentrale Botschaft. Sie bezieht sich auf Beschlussvorlagen der Verwaltung mit dem Ziel, die Kosten um mindestens zehn Prozent zu senken, wenn die Stadt baut. Diese Pläne interpretieren die Klimaaktivisten als „Abschaffung von Klimastandards“. Den Ärger hat vor allem eine Beschlussvorlage aus dem Planungsreferat ausgelöst zu Neubauten der Stadttochter Münchner Wohnen (MW).
In der Vollversammlung des Stadtrats kommt die grün-rote Koalition den Kritikern mit Änderungsanträgen entgegen. Redner der beiden Fraktionen bemühen sich, die Beschlüsse als zukunftsweisend darzustellen, bezogen auf Geld und Klimaschutz. Die von Grün-Rot geänderten Vorlagen werden, wie erwartet, von einer Mehrheit beschlossen.

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Die Quintessenz im Wohnbau: Bisher übliche Baustandards werden teils gesenkt oder flexibler gestaltet. Das gilt etwa für den Energiestandard von Neubauten, für Fassadenbegrünung und die Verwendung von Holz. Die Installation von Photovoltaik auf Dächern der MW soll dagegen Standard bleiben. Reduziert werden soll die Zahl von Autostellplätzen, was kleinere und kostengünstigere Tiefgaragen und beim Bau Einsparungen von Treibhausgasen ermöglichen soll.
Sehr offen sind die Vorgaben für Sparmöglichkeiten bei der Barrierefreiheit formuliert: Einerseits soll die MW „bei jedem Einzelfall“ prüfen, ob sie sich in nicht öffentlich geförderten Wohnanlagen auf den gesetzlichen Mindeststandard beschränkt, wenn dies langfristig sinnvoll ist, andererseits betonen Grüne und SPD: Die Belange von Senioren und Menschen mit Behinderung „müssen weiterhin ausreichend Berücksichtigung finden“.
Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) bittet als Sitzungsleiter mehrmals um Ruhe, weil es immer wieder laut ist im Rathaussaal. Die Debatte zieht sich über zwei Stunden, gesprochen wird teils sehr kleinteilig über Details von Bauprojekten, ohne dass es große, grundsätzliche Kontroversen zwischen den Parteien gäbe.
Redner aller Fraktionen zeigen sich zufrieden mit dem Ergebnis der Spar-Initiative, die von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ausgegangen ist. Er berief im Sommer vergangenen Jahres drei interfraktionelle Arbeitskreise ein, die sich mit kommunalem Wohnbau, Schul- und Kitabauten sowie allgemeinen Bauprojekten befassten. Reiter lobt die Diskussionen und Ergebnisse in den Arbeitskreisen als „sehr gut“.
Dass es dabei auch kontrovers zugegangen sei, deutet Sebastian Weisenburger an, Fraktionschef der Grünen: „Es flogen schon auch mal die Fetzen.“ Er wirbt dafür, nicht an der falschen Stelle zu sparen, etwa bei der Installation von Photovoltaik. Diese sei „unverzichtbar“, um dem Klimawandel zu begegnen. Zugleich sei sie ein Beispiel, bei dem Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit „Hand in Hand“ gingen, weil eine PV-Anlage sehr günstigen Strom für Mieter liefere. Weisenburger plädiert dafür, mit dem Bau kleinerer Tiefgaragen Geld zu sparen. Oder durch generell Tempo 30 in Neubaugebieten, weil sich so teurer Schallschutz in den Wohnungen verringern lasse. Vom Holzbau solle sich die MW nicht generell verabschieden; wenn es nicht zu teuer sei, solle weiter mit Holz gebaut werden. Es gehe verstärkt darum, zu prüfen, sagt Weisenburger, „wieviel Klimaschutz bekommen wir pro eingesetztem Euro“.
Plädoyer an die Referate, auf Synergien zu achten
Christian Köning, Fraktionschef der SPD, sagt, dass die fürs Bauen zuständigen Stellen der Stadt künftig mehr Verantwortung, Freiheit und Flexibilität hätten bei der Abwägung, welche Standards sich die Stadt leisten wolle. Er plädiert dafür, verstärkt auf Synergien zu achten, indem in einem Gebäude mehrere Nutzungen realisiert werden, etwa Schule und Kita. Es gelte, wegzukommen von „Insellösungen“ aus den einzelnen Referaten. Da hoffe er auf einen „kulturellen Wandel“ in der Stadtverwaltung. Die SPD-Co-Fraktionschefin Anne Hübner wünscht sich in München eine Diskussion über Sanierungen im Denkmalschutz und wie diese mit dem Sparzwang zu vereinbaren seien. Als Beispiel führt sie das Olympiastadion an: Es wäre falsch, am ikonischen Dach zu sparen, aber irgendwo in den Katakomben sei es vielleicht möglich.
Für die CSU lobt Fraktionschef Manuel Pretzl den Sparprozess und verweist auf den bisherigen Energiestandard bei Neubauten, der ein starker Kostentreiber sei. Ein EH-Standard 55 genüge meistens, EH 40 bringe nur marginale Vorteile im Klimaschutz, sei aber deutlich teurer. EH steht für Effizienzhaus, die jeweilige Prozent-Zahl für den Energieverbrauch im Vergleich zu einem gesetzlichen Referenzgebäude. Er wünsche sich, sagt Pretzl, dass sich in Schulen auch künftig die Fenster zum Lüften öffnen lassen. Das sei angenehmer und spare teure Lüftungsanlagen.
Brigitte Wolf von der Linken lobt, dass beim Sparen der ganze Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet werden solle, nicht allein die Baukosten. Gabriele Neff (FDP) erinnert daran, dass die hohen Baukosten nicht von ungefähr kämen: Sie gingen zurück auf Beschlüsse des Stadtrats, womit über die Jahre die Standards immer weiter erhöht worden seien. Tobias Ruff (ÖDP) plädiert dafür, Holzbau weiter zu bevorzugen. Was sich durch eine Abkehr kurzfristig sparen lasse, sei „popelig“ im Vergleich zu den Vorteilen von Holzbau. Damit sei serielles Bauen gut möglich, und dies hole die Mehrausgaben für Holz mehrfach rein.