Stadtplanung:Bunte Visionen statt grauem Parkraum

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Ein heißes Wahlkampfthema sind die "Superilles", verkehrsberuhigte Abschnitte, die Ada Colau eingeführt hat. Nicht alle in Barcelona halten sie für einen Gewinn. (Foto: Josep Lago/AFP)

Wie könnte die Stadt der Zukunft aussehen? Dutzende Münchner Initiativen entwickeln Ideen und stoßen Projekte an, um Straßen für anderes zu nutzen, als nur das Auto dort abzustellen. Als Vorbild könnten die "Superblocks" in Barcelona dienen.

Von Thomas Anlauf

Fußgänger flanieren auf den Straßen, auf der Theresienwiese sonnen sich Münchner unter Palmen, wo Parkplätze waren, sind Hunderte kleine Biergärten entstanden. Es geht doch, sagen sich viele Münchner. Dutzende Initiativen haben sich in diesem Jahr gegründet und gemeinsam mit erfahrenen Vereinen wie der Umweltorganisation Green City kooperiert, um die Stadt nicht nur für Autofahrer, sondern auch für Fußgänger, spielende Kinder, Radfahrer, ganz einfach für alle Bewohner zu öffnen. "Viele Münchnerinnen und Münchner wünschen sich mehr Mut zum Experimentieren", sagt Sylvia Hladky. Die ehemalige Leiterin des Verkehrszentrums des Deutschen Museums. Sie ist überzeugt: "Es gibt in der Stadt einen großen Willen zur Veränderung. Aber die Stadt hat manchmal Angst davor."

Dabei gibt es zahlreiche Akteure, die diese Veränderung hin zu einer menschenfreundlicheren Stadt vorantreiben. Da sind angehende Architekten und Städteplaner der Technischen Universität München, die sich zum "Referat für Stadtverbesserung" zusammengeschlossen und Visionen für das südliche Bahnhofsviertel entwickelt haben. Und da ist der "Digital Hub Mobility", der vom Bundeswirtschaftsministerium initiiert wurde und in München ans Unternehmer-TUM der Universität angeschlossen ist.

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Zudem sind da ganz konkrete Projektideen wie von der Initiative Freiraum-Viertel und dem Westend-Kiez, die daran arbeiten, wie etwa auf der Schwanthalerhöhe ein sogenannter Superblock nach dem Vorbild von Barcelona entstehen könnte, in dem ganze Straßenzüge zum Erlebnisraum ohne Durchgangsverkehr umfunktioniert werden.

Toni Heigl von der Initiative Freiraum-Viertel hat die Vision, dass es in München in zehn Jahren 33 Hektar mehr Fußgängerzonen als heute gibt. "Es geht nicht pauschal gegen den Autoverkehr, sondern um die Ausgewogenheit", sagte Heigl bei einer Online-Diskussion zum Thema "Was bewegt die Stadt?", zu der unter anderem das Stadtmuseum und Green City eingeladen hatte.

Heigl und seinen Mitstreitern geht es um die Schaffung von Superblocks. Auch das Projekt Westend-Kiez zielt in diese Richtung. Am Donnerstag stellte die Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) einen Flyer fertig, der in den kommenden Tagen überall auf der Schwanthalerhöhe verteilt werden soll und die Bewohner zum Mitmachen auffordert.

Die Idee ist, zwischen Kazmair-, Ganghofer, Westend- und Schießstättstraße ein verkehrsberuhigtes Quartier zu schaffen. Anwohner sollen zwar noch mit dem Auto hineinfahren können, aber möglichst nicht mehr auf der Straße, sondern in einer der vielen Tiefgaragen im Viertel parken. So könnte der Straßenraum neu aufgeteilt werden.

"Es gibt ein großes Potenzial für Autoreduktion in München"

In den kommenden Monaten soll es dazu mehrere Informationsveranstaltungen geben: Es geht um die Neuverteilung des Straßenraums zugunsten der Fußgänger und Radfahrer, bessere Mobilitätsangebote wie etwa autonom fahrende Elektrobusse und mehr Rikschadienste statt Kleinlaster im Viertel. Dazu werden Studierende der LMU Semesterarbeiten zur Frage über "Kinder in der autozentrierten Stadt" erarbeiten und die Ergebnisse auch öffentlich präsentieren. Außerdem sind im kommenden Jahr Lärm- und Stickoxid-Messungen geplant, wenn es wieder sogenannte Sommerstraßen oder andere Aktionen geben wird.

Wie sich Straßen von einem riesigen Parkraum zu einem grünen Lebensraum verwandeln können, hat der Verein Green City mit einem Virtual-Reality-Projekt visualisiert. Gemeinsam mit Partnern hat die Umweltorganisation ein Verfahren entwickelt, "um die Zukunft der urbanen Mobilität erlebbar zu machen", sagt Andreas Schuster von Green City, der auch für die SPD im Stadtrat sitzt. Es sind tatsächlich faszinierende Bilder, die mithilfe einer Spezialbrille vor dem Auge entstehen. Aus einer grauen Häuserschlucht wird dann plötzlich eine grüne Fußgängerzone, die Autos am Straßenrand verschwinden und weichen Gehwegen.

Ganz praktisch hat das Projekt "Umparken" des Digital Hub Mobility die Parkplatzfrage im Kleinen untersucht. Im vergangenen Sommer versuchten Menschen aus acht Haushalten in Schwabing, vier Wochen lang ihre Autos stehen zu lassen und dafür andere Verkehrsmittel zu nutzen. Dafür gab es jeweils ein Budget von 300 Euro pro Haushalt. Das Ergebnis hat selbst die Forscher überrascht. Drei der acht teilnehmenden Haushalte haben daraufhin ihr Auto abgegeben. "Es gibt ein großes Potenzial für Autoreduktion in München", sagt Maximilian Ritz, der an dem Projekt beteiligt war. Der Autohersteller BMW habe untersucht, wie viele Menschen problemlos auf das Auto verzichten würden. In der Stadt seien das immerhin 33 Prozent, so Ritz.

Die Münchner Initiativen eint in ihren Projekten, dass sie "Kleines ausprobieren und damit Großes anstoßen", wie Christina Pirner von Green City sagt. Maximilian Steverding vom Referat für Stadtverbesserung hat beim Projekt "Hundert Meter Zukunft" im vergangenen Sommer von vielen Anwohnern der Schwanthalerstraße erfahren, dass es nicht darum gehe, ob, sondern wann die Vision einer menschenfreundlicheren Straße umgesetzt werden könne. Natürlich brauche es dafür die Politik und die Stadtverwaltung. Doch alle Akteure der Vereine und Initiativen haben längst den Kontakt zur Politik gesucht und stoßen meist auf große Zustimmung. Der zur "Piazza Zenetti" umgebaute Zenettiplatz etwa wird nun einhellig vom Bezirksausschuss unterstützt. Die Sommerstraßen und die Schanigärten, die der Stadtrat beschlossen hat, sind Zeichen dafür, dass sich Münchens Straßen verwandeln.

© SZ vom 04.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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