Stadtführung:"Im Kern ist es immer eine Frage des Gewissens"

Stadtführung: Heike Mais (links) und Karen Schnieders streicheln den Bronzelöwen vor der Residenz - das bringt ja bekanntlich Glück.

Heike Mais (links) und Karen Schnieders streicheln den Bronzelöwen vor der Residenz - das bringt ja bekanntlich Glück.

(Foto: Stephan Rumpf)

Was tun, wenn man Zeuge eines Unrechts wird? In der Geschichte der Stadt haben Menschen immer wieder Mut bewiesen - im Großen wie im Kleinen. Davon erzählt nun eine ganz besondere Stadtführung.

Interview von Daniel Thoma

Was hat die Wiesn mit Zivilcourage zu tun? Welche Geschichte über Mut steckt hinter dem Berühren der Bronzelöwen vor der Residenz? Zum "Tag der Zivilcourage" geht eine besondere Stadtführung diesen Fragen auf den Grund. Der Verein "Zivilcourage für alle" plant an diesem Sonntag einen zweistündigen Spaziergang durch die Innenstadt an Orte, die vom Mut der Münchnerinnen und Münchner zeugen. Heike Mais und Karen Schnieders erklären, was hinter der Idee steckt.

SZ: Die Stadtführung trägt den Titel "Mutige Münchnerinnen in Vergangenheit und Gegenwart", was können die Teilnehmer erwarten?

Karen Schnieders: Erwarten kann man eine Spurensuche in der Geschichte und der Gegenwart Münchens. Und zwar mit dem Fokus auf mutige Bürger, die Zivilcourage geleistet haben. Und wir hoffen, dass die Teilnehmer auf Dinge stoßen, die sie vielleicht noch nicht so gekannt haben.

Heike Mais: Es geht darum, Menschen und Orte kennenzulernen, die mehr als nur Sophie Scholl sind. Das soll sie und ihre Taten in keiner Weise schmälern, sie war jemand, der unglaublich viel Zivilcourage gezeigt hat. Aber es geht auch im Kleinen. Wir zeigen eine gute Mischung von Geschichten, die zu Zivilcourage passen. Manche sind witzig und manche regen zum Nachdenken an.

Aber der Geschwister-Scholl-Platz ist trotzdem Teil der Stadtführung?

Mais: Ja, denn in München ist, was Zivilcourage angeht, natürlich das Thema Auflehnung gegen den Nationalsozialismus sehr präsent. Aber wir haben bewusst gesagt, wir stellen auch andere Menschen und andere Arten von Zivilcourage vor. Den Fuhrunternehmer, der dem König gesagt hat: "Wer ko, der ko." Den Hofnarr, der ganz offen gesagt hat: "Du, Regent, da passt was nicht." Oder der Student, der in einem Brief den König kritisierte und sich dann freiwillig ihm ausgeliefert hat. Das zum Beispiel fand der König damals so mutig, dass er ihm eine Belohnung gab. Das war eigentlich sogar doppelte Zivilcourage.

Auf eben jenen Studenten geht ja die Tradition zurück, die Löwen vor der Residenz zu berühren.

Schnieders: Genau, und viele wissen nur, dass es Glück bringt, die Löwen zu streicheln, aber nicht aus welchem Grund. Und darum geht es, dass die Leute am Ende was Neues mitnehmen und vielleicht auch schon erste Dinge, wie sie selbst handeln könnten. Es ist das Ziel dieser Stadtführung, zu sagen: Leute, Zivilcourage gab's schon immer - und früher haben Menschen mit ihrem Leben dafür bezahlt. Das müssen wir heute nicht. Man kann sich eigentlich nicht rausreden. Ich kann ja auch einfach nur die Polizei rufen, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.

Die Stadtführung findet ausgerechnet am ersten Wiesn-Wochenende statt ...

Schnieders: Ja, also die Wiesn ist im Grunde die Zeit der Zivilcourage. Da ergeben sich genau diese Situationen, wo sich vor allem Frauen wünschen würden, dass jemand sagt: Bis hier und nicht weiter! Das ist aber auch eine Überwindung. Viele denken sich: Ich finde eigentlich nicht okay, was der Typ da mit dem Mädel macht, aber ich will jetzt nicht die Stimmung verderben. Ich sag mal nichts. Da kommt es zu einigen Situationen, wo man sich gewünscht hätte, dass mal jemand einschreitet.

Wie kann man das am besten machen?

Mais: Da braucht es oft nicht viel. Wenn ich nur das Mädel frage: Ist bei dir alles okay? Brauchst du Hilfe? Da verderbe ich keine Stimmung, ich signalisiere nur: Hallo, ich bin bei dir. Wenn du was brauchst, dann melde dich. Und wenn Alkohol im Spiel ist und die Leute nicht mehr so zurechnungsfähig sind, dann gibt es auch immer Security im Zelt, zu der man gehen kann. Die sind dafür ausgebildet, die haben Kompetenz. Man geht zu denen, die kümmern sich darum. Ich selbst bin dann raus und das Opfer wird auch geschützt.

Also grundsätzlich nicht den Täter angehen?

Mais: Das ist immer mein Credo: Fokus auf das Opfer. Der Täter interessiert mich in dem Fall nicht. Ich bin nicht die Polizei. Ich bin nicht die Staatsanwaltschaft. Ich muss nicht über den urteilen. Ich muss den nicht bestrafen. Mein einziges Ansinnen ist: Da ist jemand, der benötigt Hilfe, weil er von einer dritten Person bedrängt wird. Und da muss ich schauen, wie kann ich da gut handeln, ohne mein eigenes Leben in Gefahr zu bringen, denn damit ist dem Opfer nicht geholfen.

Wann ist Zivilcourage besonders wichtig?

Schnieders: Im Kern ist es immer eine Frage des Gewissens. Dass eine Sophie Scholl oder ein Rupert Mayer gesagt haben: Ich kann in dieser Gesellschaft nicht vor mir selbst verantworten, hier mitzumachen und nichts zu sagen. Und so geht es uns heute in vielen einfachen Situationen auf der Straße, wo man sich sagen muss: Kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren, dass ich jetzt hier vorbeigehe an dieser Situation? Und wenn ich weiß, nein, das kann ich nicht, dann kommt die Frage: Was mache ich jetzt? Und da sehen wir uns als Verein. Es ist toll, dass Leute zu uns kommen und sagen, sie möchten etwas machen. Und wir erarbeiten mit ihnen dann gemeinsam, was die Möglichkeiten sind.

Die Stadtführung startet am Sonntag, 18. September, um 17 Uhr am Karlstor. Die Teilnahme ist kostenlos, anmelden kann man sich im Internet unter zivilcourage-fuer-alle.de/trainings/stadtfuehrung. Telefonisch erreicht man den Verein unter 089/ 12 09 64 71.

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