Mieterschutz in München:37 Bewohner bitten Stadt um Hilfe - die macht einen Rückzieher

Mieterschutz in München: Beim Verkauf des Mietshauses in Sendling hat die Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht ausgeübt.

Beim Verkauf des Mietshauses in Sendling hat die Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht ausgeübt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Trotz einer schriftlichen Ankündigung des SPD-Chefs im Rathaus übt der Stadtrat sein Vorkaufsrecht für ein Haus in der Esswurmstraße nicht aus. Woher der plötzliche Sinneswandel bei den Politikern kommt.

Von Bernd Kastner

Jessica Beck und Martin Bögle waren beruhigt - und jetzt sind sie umso enttäuschter. Sie hatten die Zusage aus dem Stadtrat, dass alles gut werden würde, dass sie sich nicht um ihre Wohnung sorgen müssten. Die beiden, 34 und 39, wohnen zusammen mit ihren zwei Kindern zur Miete in Sendling, in der Esswurmstraße.

Seit sie gehört hatten, dass das Mietshaus mit den 59 Wohnungen verkauft wird, fragten sie sich: Werden die Mieten erhöht? Müssen wir deshalb raus? Also sammelten sie Unterschriften im Kreis der Mitmieter und schrieben den Oberbürgermeister und alle Fraktionen im Rathaus an. 37 Bewohner baten die Stadt, ihr Vorkaufsrecht auszuüben. Dieses Recht hat die Stadt, wenn in einem Erhaltungssatzungsgebiet ein Anwesen den Eigentümer wechselt. Das Kommunalreferat empfahl dem Stadtrat den Kauf, der Preis liegt bei gut 20 Millionen Euro. Die durchschnittliche Kaltmiete in den Ein- bis Vier-Zimmerwohnungen liegt bei 10,50 Euro pro Quadratmeter.

Auf den Appell der Mieter meldete sich sofort Christian Müller, Fraktionschef von SPD/Volt, und sicherte per Mail zu: "Wir werden uns sicher für die Ausübung des Vorkaufsrechts einsetzen." Weil die SPD nicht nur den OB stellt, sondern zusammen mit den Grünen die Mehrheit im Stadtrat hat, klang das wie eine Zusage: Die Stadt kauft, ihr könnt ruhig schlafen.

Es kam anders. Der Stadtrat stimmte gegen das Vorkaufsrecht, und der Käufer verpflichtete sich auch nicht in einer Abwendungserklärung zu strengen, sozialen Vorgaben. Das Haus an der Ecke zur Gaißacher Straße geht nun an die Bayerische Versicherungskammer. Entsprechend sauer sind Beck und Bögle, was sie den SPD-Chef im Rathaus auch wissen ließen: "Ist das Ihre Auffassung von einem konsequenten Vorkaufsrecht und davon, dass die SPD fest an der Seite der Mieter*innen steht?", fragte Bögle in Anspielung auf die grün-rote Koalitionsvereinbarung, in der die "konsequente Ausübung des Vorkaufsrechts" angekündigt wurde.

Spricht man Christian Müller auf seinen Sinneswandel an, sagt er: "Irren ist menschlich." Als er den Mietern den Einsatz fürs Vorkaufen zusagte, sei ihm nicht klar gewesen, wer der reguläre Käufer ist. Die Versicherungskammer ist in Besitz zahlreicher Sparkassen, also der öffentlichen Hand, und sei ein seriöser Vermieter. Angesichts der pandemiebedingt katastrophalen Haushaltslage habe man abwägen müssen und sich dagegen entschieden, den Etat mit weiteren 20 Millionen zu belasten. Die Bewohner versucht Müller zu beruhigen: Für Bestandsmieter ändere der Verkauf so gut wie nichts, es gelte weiterhin der Schutz der Erhaltungssatzung.

Die Versicherungskammer äußert sich auf Fragen der SZ zur Zukunft des Anwesens nicht konkret. "Wir werden keine Luxussanierung vornehmen", sichert ein Sprecher aber zu. Es würden die "erforderlichen Sanierungsmaßnahmen laufend durchgeführt", um die Qualität zu halten. Das Unternehmen agiere als "Langfristinvestor", um "nachhaltig Renditen zu erzielen". Man halte Immobilien, "ohne die Absicht, sie zu veräußern". Als öffentlicher Versicherer sei man sich der gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung bewusst. In München besitze das Unternehmen einige Mietanlagen mit günstigen Wohnungen. Die Frage, warum die Versicherungskammer sich in der Esswurmstraße nicht zu sozialen Standards verpflichtet habe, lässt der Sprecher unbeantwortet.

Diese verweigerte Verpflichtung macht die Linke im Stadtrat misstrauisch. Die Fraktion will durchsetzen, dass die Stadt gemeinsam mit den Mietern mit dem neuen Eigentümer verhandelt, um Schutzklauseln zu erwirken. Stefan Jagel, Fraktionschef der Linken, hält es für einen Fehler, dass die Stadt nicht zugegriffen hat, zumal der Kaufpreis gut sechs Prozent unter dem Verkehrswert liege. Der Erwerb eines solchen Hauses helfe nicht nur den Bewohnern, es sei auch eine langfristige Investition. Schließlich profitiere die Stadt von den Mieteinnahmen und der Wertsteigerung.

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