Skulpturen-Kunst:16 Tonnen schwere Botschaft an die Überholspur-Münchner

Skulpturen-Kunst: Noch bis Mai steht der "Autoeater" aus Carrara-Marmor vor dem Justizpalast am Stachus. Er wiegt 16 Tonnen.

Noch bis Mai steht der "Autoeater" aus Carrara-Marmor vor dem Justizpalast am Stachus. Er wiegt 16 Tonnen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Bildhauerpaar Julia Venske und Gregor Spänle arbeitet seit 25 Jahren zusammen. Derzeit steht ihr Autoeater am Stachus - und regt so manchen zum Nachdenken an.

Von Martina Scherf

Seit drei Monaten steht er am Stachus, direkt vor dem Justizpalast: der "Autoeater". Ein großer Schlund aus weißem Marmor, der einen Fiat Panda verschluckt. Nur noch das Vorderteil schaut heraus. Ob sich die vorbeibrausenden Autofahrer davon irritieren lassen? Ob sie ihn überhaupt wahrnehmen, jene Münchnerinnen und Münchner, die sich am liebsten auf der Überholspur fortbewegen? Fußgänger und Radfahrer jedenfalls bleiben oft stehen und sinnieren, wer das Objekt dort hingestellt hat.

Seine Schöpfer, die Münchner Bildhauer Julia Venske und Gregor Spänle, verknüpfen eine naheliegende Botschaft mit ihrem "Autoeater": "Er symbolisiert das Ende einer Ära", sagt Julia Venske, "und er soll für die autofreie Stadt werben." Da steht er am Münchner Stachus ja gerade richtig. Schließlich gibt es schon Visionen von einer Art Central Park in der Sonnenstraße, mit Bäumen statt Blechlawinen und breiten Radwegen statt Parkspuren.

16 Tonnen bringt der Schlund samt Auto auf die Waage. Der Marmor stammt aus Carrara. Bevor die Skulptur nach München kam, stand sie in Atlanta, USA. "Auch dort findet inzwischen ein Umdenken statt", erzählt Gregor Spänle. Die Megacity in Georgia will grüner und nachhaltiger werden, fördert Radwege und öffentliche Verkehrsmittel.

Skulpturen-Kunst: Seit mehr als 25 Jahren arbeiten Julia Venske und Gregor Spänle zusammen. Ausschließlich mit Marmor.

Seit mehr als 25 Jahren arbeiten Julia Venske und Gregor Spänle zusammen. Ausschließlich mit Marmor.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Julia Venske und Gregor Spänle arbeiten seit mehr als 25 Jahren zusammen, immer mit Marmor. Der Carrara-Stein mit seiner feinen Maserung war eine Ausnahme, er wurde ihnen von einer Firma gestiftet. Ansonsten verwenden sie ausschließlich den lupenreinen weißen Marmor aus dem Laaser Tal in Südtirol. In der dortigen Bildhauerschule lernten sich die beiden, er aus München, sie aus Berlin, 1991 kennen. Mit dem Diplom in der Tasche fuhren sie dann mit dem Auto nach Indien, arbeiteten dort in verschiedenen Marmorsteinbrüchen, und als das Visum abgelaufen war, "da wollten wir noch nicht nach Hause fahren", sagt Julia Venske. Sie luden den Kofferraum voller Marmor, verschifften den Wagen nach Australien und flogen hinterher.

"Als wir in Melbourne ankamen, standen wir vor dem Sculpture Departement der Universität", erzählt Venske. Sie fragten spontan, ob sie dort ihren mitgebrachten Stein bearbeiten dürften. "Der zuständige Professor fand unseren Enthusiasmus wohl sehr witzig." Sie lernten den Bildhauer Robert Owen kennen, der sie förderte und ihnen sagte: Macht weiter so, arbeitet zusammen. In Sydney hatten sie dann ihre erste Ausstellung.

Ihre Formensprache war von Anfang an spielerisch, ironisch. Sie begannen, den Marmor zu fließenden kleinen Objekten zu schleifen, "anfangs sah das aus wie Milchtropfen auf einer heißen Herdplatte", sagt Venske. Dann bekamen die Tropfen Falten. Und plötzlich hatte jedes dieser amorphen Objekte einen Charakter. "Smörfs" nennen die beiden ihre heiteren Steinwesen. 300 müssten es bis heute ungefähr sein, schätzt das Künstlerpaar, und sie haben sich mittlerweile auf allen Kontinenten verbreitet.

Skulpturen-Kunst: Julia Venske und Gregor Spänle haben ihre Werkstatt im Kreativquartier an der Dachauer Straße, in der Halle 6.

Julia Venske und Gregor Spänle haben ihre Werkstatt im Kreativquartier an der Dachauer Straße, in der Halle 6.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Drei Galerien, in New York, wo das Paar 15 Jahre lang lebte und arbeitete, in Valencia und in Hannover, vertreten Venske und Spänle. Und immer wieder bringen die Bildhauer auch selbst ihre Smörfs in ferne Länder. "Einmal setzten wir einen aus auf der Straße nach Dakar", erzählt Venske, "mit der Bitte, ihn zur dortigen Biennale zu bringen." Über seinen Verbleib wissen sie nichts.

Es blieb dann nicht bei den Smörfs. Die Skulpturen wuchsen in die Höhe, sie begannen, Objekte zu verschlingen. Verbotsschilder, Plastikmüll, das Werkzeug der Bildhauer. In Seoul saugte eine schneckenartige Skulptur eine Straßenlaterne weg. In Kalifornien fraß ein Riesenwurm ein Verbotsschild vom Strand, "da ist ja fast alles verboten, essen, übernachten, Alkohol, Musik, Hunde", sagt Gregor Spänle. Ihre Werke sind plakativ, die beiden sind im Herzen Rebellen geblieben. Rebellen, die, wie sie sagen, von ihrer Kunst ganz gut leben können.

Der Riesenwurm steht derzeit im Kreativquartier an der Dachauer Straße. Dort haben Venske und Spänle zwei Container gemietet. Der eine dient als Werkstatt, der andere, mit großen Fenstern, als Showroom. Dort tummeln sich eine Vielzahl der verrückten amorphen Steinwesen, die spielerisch, organisch, fast lebendig wirken. Auf jeden Fall bringen sie ihre Betrachter zum Schmunzeln. Man möchte sie anfassen, über den unfassbar glatten Stein streicheln.

Skulpturen-Kunst: Der lupenreine weiße Marmor stammt aus Südtirol. Er ist nicht leicht zu bearbeiten und durchsichtig wie Haut.

Der lupenreine weiße Marmor stammt aus Südtirol. Er ist nicht leicht zu bearbeiten und durchsichtig wie Haut.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Laaser Marmor ist schneeweiß und "so durchsichtig wie Haut", sagt Julia Venske. Nicht leicht zu bearbeiten, "wenn man nicht aufpasst, zerbröselt er einem unter der Hand", ergänzt Gregor Spänle. Deshalb wird nur der Grobschliff mit der Maschine gemacht, die weitere Bearbeitung ist Handarbeit. So fühlt sich schließlich der harte Stein fast weich an.

Sie arbeiten manchmal zusammen, manchmal getrennt, und da sie regelmäßig Ausstellungen in verschiedenen Ländern haben, gibt es immer viel zu organisieren. Jetzt würden sie gerne ihren Autoeater noch länger am Stachus stehen lassen. Die Stadt München hat die Aktion finanziert, die Genehmigung läuft nur noch bis Ende Mai. Der Panda, sagt Gregor Spänle, ist ja eigentlich auch noch ein anderes Symbol: für ein praktisches, sparsames, unprätentiöses Auto. Wenig Material, geringer Benzinverbrauch. Spänle fuhr mit 18, als er grade den Führerschein hatte, selbst einen. "Da konnte man sogar als Paar drin schlafen." Es weckte Jugendgefühle, so ein Auto zu bearbeiten. Dass er es zerschneiden musste, damit es in den Marmorschlund passt, "das tat mir in der Seele weh".

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