Süddeutsche Zeitung

Jubiläum des Bildhauer-Erbes:Kleine Krippen-Welt im Schwabinger Dom

Vor 100 Jahren waren Sebastian Osterrieders Figuren erstmals in St. Ursula zu sehen, auch in diesem Advent wird die Geburt in Bethlehem wieder nach- und ausgestellt - mit einer ganz neuen Szene.

Von Heiner Effern

Der Schwabinger Künstler Sebastian Osterrieder wäre sicher erfreut, vielleicht sogar ein bisschen überrascht, wie viel Liebe seinem Erbe nach 100 Jahren noch entgegengebracht wird. Und das quasi vor der Haustüre, nur ein paar Minuten entfernt von seinem früheren Atelier an der Clemensstraße. Im Jahr 1922 stellte Osterrieder zum ersten Mal seine Krippe in der nahen Kirche St. Ursula am Kaiserplatz auf, auch dieses Jahr ist sie wieder zu sehen. Das kommt nicht von ungefähr: Seine Krippe, seine Figuren aus Gips, ummantelt mit Falten aus alten Lumpen und Kleber und danach kunstvoll bemalt, haben eine Freundin im "Schwabinger Dom" gefunden. Wobei Freundin fast noch zu distanziert klingt, Annette Krauß wird zum Jubiläum sogar "Krippenmutter" genannt.

Bei einer kleinen Feier steht sie nun am Seitenflügel der Kirche und erzählt, in welchem Zustand sie die Figuren mit dem Mesner in den 2000er Jahren wiederentdeckt hat: als "ein Lazarett" aus Brüchen, der Gips und das Aussehen oftmals beschädigt. Wie sie nach und nach mit Unterstützern heilend gewirkt hat und nun ein Ensemble aus historischen Figuren immer wieder neu inszeniert. Die Krippe in St. Ulrich ist nicht riesig und nicht offensichtlich spektakulär, aber hinter dem Schaukasten will sie lebendige Szenen aus der Bibel erzählen. "Mit einem Priester, der nicht vorgelesen, sondern spannende Geschichten erzählt hat", so fand Krauß als Kind zum Glauben, wie sie sagt. Das will sie nun weitergeben: Sie baut die Krippe nicht einmal auf und dann steht sie so, bis das Jesus-Kind an Weihnachten dazugelegt wird, sie gestaltet und gruppiert sie immer wieder neu.

Dieses Jahr ist Wasser ins Lager eingedrungen, doch die Figuren konnten gerettet werden

Gerade ist aus Anlass des Jubiläums das Atelier des Künstlers Osterrieder zu sehen. Annette Krauß hat dabei ihre Phantasie spielen lassen, Fotos gibt es keine. Auf der Werkbank stehen mit einem 3-D-Drucker eigens nachempfundene Figuren, die den Schaffensprozess verdeutlichen sollen. Und tatsächlich gibt es im Atelier nicht nur eine orientalische Sitzecke, es steht darin auch ein Holz-Kamel, ein Tier aus Osterrieders Besitz. Der Bildhauer hatte den Ehrgeiz, Bethlehem abzubilden, wie es wirklich hätte aussehen können, der bayerische Stadl mit Ochs und Esel waren für ihn weniger interessant. "Er ist dafür selbst nach Ägypten gereist", erzählt Krauß.

Im Atelier hatte Osterrieder ein Verfahren entwickelt, wie er seine Figuren mit einem Gips-Ausguss in größerer Zahl anfertigen konnte. Als Bildhauer hatten seine Figuren komplett gestaltete Körper, bevor sie angezogen und angemalt wurden. Sie sind weit verbreitet, sollten erschwinglich sein für die Kirchen. Allerdings zahlte St. Ursula 1926 dafür immerhin 1600 Mark, den damaligen Jahreslohn eines Arbeiters. Irgendwann verschwanden die Figuren im Lager, wo sie nun - sorgfältig restauriert - gehegt werden. Doch dieses Jahr sei Wasser eingedrungen, erzählt Dekan David Theil. Die Osterrieder-Figuren konnten gerettet werden, wieder einmal. Das sei gerade sehr symbolisch für die Zeit, sagt er. "Überall regnet es rein, wir aber bauen am Heil." In der großen Welt und der kleinen von Sebastian Osterrieder.

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