Der rote Schriftzug über der Tür sieht noch so aus wie früher. "Obletter" steht dort in runden, roten Buchstaben, flankiert von zwei Schaukelpferden; den Schriftzug kannte in München lange jedes Kind. Es hat Zeiten gegeben, da ließ das traditionsreiche Münchner Spielwarengeschäft einen Katalog drucken, bis zu 100 Seiten dick und mit einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren. Der wurde an Stammkunden verschickt und in Münchner Briefkästen gestopft, auf dass die Kleinen beim Blättern ins Träumen gerieten. Im Laden dann, am Stachus, gab es das alles zum Anfassen, von der Puppe bis zur Ritterburg, vom Computerspiel bis zur Rassel, vom Teddybär bis zur Action-Figur. Zwei Etagen, 1500 Quadratmeter, nebenbei noch die größte Kinderbuch-Abteilung in Deutschland. Und ins Untergeschoss konnte man rutschen.
Diese Zeiten sind vergangen - und es dauert nur noch etwas länger als ein Jahr, dann verschwindet wohl auch der rote Schriftzug. Denn Obletter am Stachus macht zu. Die Drogeriemarkt-Kette Müller, der das Spielwarengeschäft seit 1997 gehört, will den Mietvertrag am Karlsplatz nicht verlängern. Der Vertrag laufe zum 31. Januar 2023 aus, bestätigt die Vermieterin, die Bayerische Hausbau. Wer die Räume am Stachus übernimmt, ist noch nicht bekannt. Die Bayerische Hausbau habe "in den vergangenen Monaten intensiv eine Vielzahl von Optionen geprüft, um eine Fortführung des Traditionsgeschäftes zu ermöglichen", sagt eine Sprecherin, ohne Erfolg.

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Die Firmenhistorie reicht bis in das Jahr 1825 zurück
Nach Kaut-Bullinger und Sport Münzinger ist Obletter damit wohl das nächste Münchner Traditionshaus, das schließt. Denn auch wenn in diesem Fall fraglich ist, wie viel Tradition wirklich noch in Obletter steckt, reicht die Firmenhistorie doch weit zurück, bis ins Jahr 1825. Es war das Jahr, in dem König Ludwig I. den bayerischen Thron bestieg. Die Stadt wuchs, die Glyptothek, die Ludwigstraße waren Baustellen. Da kam Josef Obletter aus Südtirol in die Stadt, im Gepäck handgeschnitzte Holzfiguren, und eröffnete ein Geschäft am Schrannenplatz, dem heutigen Marienplatz. Der Firmengründer stellte noch selber Spielzeug her, er schnitzte es für die Kinder seiner Kunden.

Im 20. Jahrhundert wuchs Obletter zunächst Schritt für Schritt. 1927 zog das Geschäft ins neue Haupthaus an den Stachus; in den Sechzigerjahren eröffnete Obletter eine zweite Filiale an der Leopoldstraße 25, wenige Jahre später eine dritte zurück am Marienplatz. In den Siebzigern aber wandelte sich das Unternehmen rasch. Die Schweizer Firma "Franz Carl Weber" übernahm das Traditionshaus, verpasste ihm als Logo ein Schaukelpferd und expandierte rasant, bis Obletter 1984 mit damals rund 30 Filialgeschäften in Turbulenzen geriet. Viele Filialen schlossen, mehr als ein Dutzend übernahmen Investoren um den früheren Geschäftsführer Günther Hahn. Der drehte die Zeit wieder ein Stück weit zurück: In den Neunzigerjahren sah er sich und Obletter als Branchenführer unter den familiengeführten Spielwarengeschäften in Deutschland.
Spielwaren werden zunehmend online verkauft
1997 kam dann Müller. Die Firmengruppe übernahm zwölf Niederlassungen von Obletter. Fast alle sind seither geschlossen oder verkauft worden, nur das Geschäft am Stachus ist übrig. Warum auch dieses nun schließt, beantwortet Müller nicht; Fragen der Redaktion blieben unbeantwortet. Doch Obletter ist nicht das einzige große Spielwarengeschäft in der Münchner Innenstadt, das verschwindet. Wer einst auf der Suche nach einem passenden Weihnachtsgeschenk war, konnte zum Beispiel im "Spiel + Freizeit Fischer" an der Sonnenstraße beginnen und danach über den Obletter am Stachus zu "Spielwaren Schmidt" an der Neuhauser Straße gehen. An der Theatinerstraße gab es das Spielwarengeschäft Egon Wiedling, und auf halbem Weg dorthin den "Pfeiffer am Dom" an der Liebfrauenstraße. Sie alle sind mittlerweile verschwunden. Spielwaren werden zunehmend online verkauft oder in Discountern. Oder auch bei Müller, in vielen seiner Drogeriemärkte.

Was sich hält, sind kleinere Läden mit Profil, die eine Nische besetzen. Zum Beispiel "Kunst und Spiel" an der Leopoldstraße in Schwabing, gegründet 1956 und mittlerweile längst ebenfalls ein Traditionsgeschäft. Der Laden setzte von Beginn an auf nachhaltiges, ökologisches Spielzeug. Das Geschäft gehe soweit gut, er könne sich nicht beklagen, sagt Geschäftsführer Florian Bartsch. Das Rezept: keine Massenprodukte; nichts, was man überall anders auch bekommen könne, sagt er. Dafür verkauft "Kunst und Spiel" nicht nur Spielzeug, sondern auch Bücher, Bastelsachen, Kunstpostkarten.
"Unsere Kunden wollen Persönlichkeit und keinen Plastikschrott"
"Unsere Kunden wollen Persönlichkeit und keinen Plastikschrott", sagt auch Julika Kafka, die mit Claudia Achilles das "Stadtkind" führt. Der kleine Laden im Rathaus verkauft Spielsachen, Kinderkleider, Haarspangen mit Glitzer und anderen bunten Kleinkram. Alles sei sorgfältig ausgewählt, sagt Kafka. Sie wisse, wo ihre Produkte herkommen, wie sie hergestellt werden. Und sie kenne ihre Kunden und die Kleidergrößen der Söhne und Töchter. Viele kommen schon, seit das Geschäft vor knapp zehn Jahren eröffnet wurde. Die Stammkundschaft, die lieber im Rathaus kauft als im Internet, hat "Stadtkind" bislang auch durch die harten Monate der Corona-Pandemie geholfen. Das Weihnachtsgeschäft laufe sogar richtig gut, sagt Kafka. Besonders gefragt seien klassische Spielwaren: Holzspielzeug, Gesellschaftsspiele, Puzzle, einfach alles, was bei einem weiteren Lockdown die Langeweile vertreiben könnte.
Die Pandemie hat auch "Kunst und Spiel" gebeutelt. Händler und Hersteller lieferten verspätet und unvollständig, sagt Geschäftsführer Florian Bartsch. Und durch die 2-G-Regel käme weniger Kundschaft als sonst. Trotzdem wächst das Geschäft, Bartsch übernimmt den Laden nebenan, eine frühere Parfümerie. Dort belege man 130 weitere Quadratmeter, sagt Bartsch. Dann wird "Kunst und Spiel" erstmals einen direkten Zugang von der Leopoldstraße haben. Im Februar 2022 solle alles fertig sein, sagt Bartsch. "Ich sehe in der Krise eine Chance."