Kandidaten-Nominierung:"Unschöne Vorgänge" in der Münchner SPD

Parteitag der SPD München, 2017

Abstimmungen, wie sie bisher liefen: Ein Delegierter auf einem Parteitag der Münchner SPD vor einigen Jahren im Gewerkschaftshaus.

(Foto: Catherina Hess)

Große Mitgliederversammlungen sind in Corona-Zeiten heikel. Das erschwert es den Parteien, sich auf die Bundestagswahl 2021 vorzubereiten. Bei den Sozialdemokraten führt das jetzt zu persönlichen Attacken.

Von Heiner Effern

Die E-Mail mit dem Titel "Unschöne Vorgänge in unserem Bundeswahlkreis" lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Es gebe Angriffe auf das Verfahren zur Nominierung des Bundestagskandidaten, das die Vize-Leiterin des Bundeswahlkreises Nord der Münchner SPD nicht hinnehmen will. Da würden Parteikollegen "mit Unterstellungen, Verleumdungen und Unwahrheiten" arbeiten und die Vorbereitungen der Ortsvereine diskreditieren, schreibt Marlies Thomae an die Partei im Norden. Das finde sie ebenso wenig akzeptabel wie persönliche Attacken "auf unseren Bundestagsabgeordneten Florian Post".

Die Kandidatensuche der Parteien für die Bundestagswahl geht in die erste heiße Phase. Und auch diese Wahl wird von den Auswirkungen des Coronavirus massiv betroffen sein. Der Bundeswahlkreis Nord hat mit einer Mehrheit von zwölf zu zwei Stimmen einen Fahrplan für die Nominierung verabschiedet. Noch im Juli werden die meisten Ortsvereine die Delegierten wählen, die bei der Aufstellungsversammlung am 24. September den oder die Kandidatin bestimmen.

Damit missachten die Münchner eine Empfehlung der Bayern-SPD, die für die Delegierten-Wahl einen Korridor von 1. September bis 18. Oktober vorsieht. Drei Bewerber treten an: der jetzige Abgeordnete Florian Post, Philippa Sigl-Glöckner und Bernhard Goodwin.

Eine Gruppe von Parteimitgliedern im Norden fürchtet aber, dass die beiden Herausforderer nicht die gleichen Chancen erhielten wie Mandatsinhaber Post. In einem Schreiben, das auch an die bayerische Parteivorsitzende Natascha Kohnen und an die Münchner Parteichefin Claudia Tausend ging, äußern sie Zweifel am schnellen Verfahren, wie es auch die Bayern-SPD nicht wünscht. Zum einen sei es bisher Brauch gewesen, dass sich die Herausforderer den Ortsvereinen und potenziellen Delegierten persönlich vorstellen konnten. Das sei wegen des Coronavirus nicht ausreichend möglich gewesen, heißt es. Zum anderen sei die für die Aufstellung der Kandidaten entscheidende Wahl der Delegierten im Moment für manche Mitglieder in geschlossenen Räumen nicht möglich. Zu den Kritikern gehört die frühere Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias. "Ich arbeite in einem Hospiz und habe einen Sohn, der einer Hochrisikogruppe angehört. Ich kann derzeit an einer solchen Versammlung nicht teilnehmen."

Zacharias wünscht sich wie zumindest einige andere eine Verschiebung in den Herbst, doch der Bundeswahlkreis hat sich anders entschieden. Hier kommt nun die heiße Phase der Kandidatensuche ins Spiel: Denn der ehrenamtliche Vorsitzende des Bundeswahlkreises heißt Leo Hausleiter. Im Brotberuf ist dieser Büroleiter des Abgeordneten Florian Post. Zacharias findet das "unvereinbar".

Das erhält auch durch ein bekanntes Phänomen einen weiteren Dreh: Der aktuelle Mandatsträger will möglichst schnell nominiert werden, um Sicherheit für seine Zukunft zu haben. Die Herausforderer wollen möglichst spät aufstellen, um sich bekannt zu machen. Posts Herausforderin Sigl-Glöckner bekommt natürlich mit, was in ihrem Bundeswahlkreis los ist. Sie äußert sich zum Verfahren vorsichtig, aber eindeutig. "Ich hätte es besser gefunden, wenn wir uns Zeit gelassen hätten, um mehr persönliche Vorstellungsrunden durchzuführen. Die tun der Partei gut."

Florian Post weist alle Vorwürfe zurück. Sein gerade wegen einer Krankheit nicht zu erreichender Büroleiter habe Beruf und Ehrenamt "immer strikt getrennt". Solche Angriffe auf diesen und ihn selbst seien "unter der Gürtellinie". Das Verfahren zur Kandidatensuche bestimme nicht der Leiter des Bundeswahlkreises, sondern der Vorstand. Gelegenheit sich vorzustellen, habe es trotz Corona digital und auch persönlich genügend gegeben. Es sei nicht ein Problem des Verfahrens, "wenn jemand erst Ende Februar die Liebe zum Münchner Norden entdeckt hat", sagt er in Richtung Sigl-Glöckner.

Die Münchner SPD-Chefin Tausend sieht keinen Grund zum Eingreifen. Die SPD sei traditionell die erste Partei, die solch ein Verfahren beginne. Im Münchner Norden gehörten dem Vorstand des Bundeswahlkreises "lauter erfahrene Mandatsträger und Funktionäre an". Die wüssten selbst, wie sie zu entscheiden hätten. Tausend beschäftigen aber auch die Folgen des Coronavirus, die das Aufstellungsverfahren der Kandidaten in München beeinträchtigen würden. Sie hadert aber nicht mit Parteikollegen intern, sondern mit der Bayern-SPD. Dabei geht es nicht nur um den Zeitkorridor, sondern auch um die Corona-Vorgaben zu Parteitreffen, die für die großen Münchner Ortsvereine quasi "Versammlungsverbote" bedeuteten, ärgert sich Tausend. Das führe dazu, dass die Mitarbeiter der Münchner Geschäftsstelle, die formal bei der Bayern-SPD angestellt sind, bei der Einladung zu den Delegiertenwahlen bei den Ortsvereinen nicht mithelfen dürften.

Die Münchner SPD lädt nun auf eigene Faust über die Ortsvereine ein, oder diese müssen eine Sondergenehmigung beim Kreisverwaltungsreferat beantragen. Die Münchner wüssten aber immer noch nicht, ob die Bayern-SPD das Vorgehen akzeptiere, sagte Tausend. In der Bayern-Zentrale sieht man keinen Anlass für große Aufregung. Man halte sich an die Auflagen, sagt eine Sprecherin. Ortsvereine, die mehr Mitglieder hätten als an einer Versammlung in einem Innenraum derzeit teilnehmen dürfen, müssten eine Sondergenehmigung bei den zuständigen Behörden einholen. Man wolle so jedes Risiko ausschließen, dass eine Delegiertenwahl angefochten werden könne. Das sei möglich, wenn mehr Mitglieder kämen als in einen Raum dürften und diese deshalb nicht an der Wahl teilnehmen könnten.

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