Münchner RathausSPD-Stadtrat wirft nach 17 Jahren hin und rechnet mit seiner Partei ab

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Verkehrsexperte Nikolaus Gradl (links) tritt auch aus der SPD aus – hier bei einem Termin mit seinem früheren Genossen und Stadtratskollegen Lars Mentrup (Archivbild).
Verkehrsexperte Nikolaus Gradl (links) tritt auch aus der SPD aus – hier bei einem Termin mit seinem früheren Genossen und Stadtratskollegen Lars Mentrup (Archivbild). (Foto: Alessandra Schellnegger)

Nikolaus Gradl lastet der SPD an, zu viel über Social-Media-Strategien zu reden, statt politische Inhalte wie die Verkehrswende voranzubringen. Seine Kritik an OB Dieter Reiter ist aus einem Grund pikant.

Von Heiner Effern

Der bisherige SPD-Stadtrat Nikolaus Gradl verlässt seine Fraktion und tritt auch aus der Partei aus. Das erklärte er am Montagmittag im Gespräch mit der SZ, wenig später verkündete er das Aus auch in der Sitzung der Fraktion SPD/Volt. Gradl will sein Mandat behalten und die Amtszeit als fraktionsloser Stadtrat beenden. Auch darüber hinaus wolle er sich weiter politisch engagieren, kündigte er an. In welcher Form, das ließ er offen.

Gradl vertrat die SPD insgesamt mit einer Unterbrechung siebzehn Jahre im Stadtrat. Dass er nun hinwirft und auch noch das Parteibuch zurückgibt, begründete er mit einer grundsätzlichen Entfremdung von der SPD und ihrer Politik für die Stadt. „Im Elfenbeinturm des Rathauses wird viel zu oft über die richtige Social-Media-Strategie diskutiert und nicht darum gerungen, welche Entscheidung die beste für die Münchner ist“, sagte er.

Das kann man auch als direkte Kritik am Führungsstil von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verstehen. Der hat seit Anfang des Jahres seine Aktivitäten in den sozialen Medien deutlich hochgefahren: Seine bis dahin eher träge Facebook-Präsenz wurde um einen professionellen und aktuellen Instagram-Auftritt erweitert. Dazu trifft er Entscheidungen, wie zum Beispiel den Zuschuss für ein großes neues Tennisstadion, schon mal nach Absprache mit sich selbst.

Gradl findet es auch falsch, dass Reiter mit seinem Vorgänger Christian Ude „gebrochen“ hat, anstatt den Rat und die Popularität des Altoberbürgermeisters zu nutzen. Das Absetzen des bisherigen SPD-Stadtrats vom OB ist auch deshalb pikant, weil Reiter unter anderen Gradl vor der letzten Kommunalwahl als persönlichen Freischuss auf der SPD-Liste weit nach vorn befördert hat. Als Experte für den öffentlichen Nahverkehr und damit für die Verkehrswende sollte er das Profil der SPD schärfen.

Dabei sei er letztlich in seiner Fraktion und Partei gescheitert, sagte Gradl. „Ich sehe mich in der Verpflichtung, die Themen, die ich meinen Wählern versprochen habe, auch umzusetzen. Das gelingt mir außerhalb der SPD/Volt-Fraktion besser.“ Schuld daran sei auch das schlechte Verhältnis zwischen SPD und Grünen, besonders innerhalb des Führungspersonals. „Persönliche Konflikte und Machtansprüche“ würden oft die Inhalte überdecken. Heraus kämen unbefriedigende Kompromisse und ein ständiges Vertagen von Beschlüssen.

Als Beispiele für Verzögerungen und Fehlplanungen nannte Gradl den unbefriedigenden Ausbau des ÖPNV in Neubauvierteln wie Freiham, den fehlenden Willen der SPD zum Umstieg auf Elektroantriebe, die halbherzige Verkehrsberuhigung der Altstadt, Dauerbaustellen und ewig brachliegende Großprojekte wie die Sanierung des Kulturzentrums Gasteig.

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Gerade in der Verkehrspolitik hält Gradl die Leistung der Koalition für ungenügend. Die Verkehrswende sei unter den Bürgern schon „ein toxisches Thema“, da viele kompromisslos ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten, egal ob Autofahrer oder Radfahrer. „Diese Auseinandersetzung haben wir so auch in die Politik hineingetragen. Das ist verantwortungslos“, sagte Gradl.

Dass er nicht nur aus der Fraktion, sondern auch aus der Partei austritt, begründete Gradl mit der inhaltlichen Orientierungslosigkeit der SPD. Diese sei nur mehr am „Reagieren“, habe keine Vision für die Zukunft der Stadt, sagte er. In der Kulturpolitik oder auch in der Verkehrspolitik bleibe wie in anderen Politikfeldern die entscheidende Frage ungeklärt. „Wo will die SPD hin?“

Die Partei reagierte mit einer kurzen Mitteilung am Nachmittag. SPD-Stadtchef Christian Köning äußerte in seiner Funktion als Fraktionschef im Stadtrat Bedauern über den Verlust. „Mit seinem Austritt verlieren wir einen erfahrenen und engagierten Fachpolitiker, dessen Arbeit wir sehr geschätzt haben“, erklärte Köning. Gründe habe Gradl in der Fraktion keine genannt.

Was bleibt in der SPD, ist neben dem Bedauern aber auch Unverständnis. „Gleichzeitig können wir seinen heutigen Schritt politisch nicht nachvollziehen“, erklärte Köning und forderte Gradl auf, sein über die SPD-Liste gewonnenes Stadtratsmandat zurückzugeben.  Nur so würde dieser „den Wählerwillen bestmöglich“ respektieren. Das sieht Gradl anders. Seinen ersten Auftritt als Fraktionsloser dürfte er gleich am Mittwoch in der Vollversammlung des Stadtrats haben.

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