Leicht fallen wird ihr der Abschied nicht. Weil sie kein "funktionales Verhältnis" zur Münchner SPD habe, wie Claudia Tausend sagt, sondern eine "tiefe Verbundenheit" spüre. Trotzdem sei sie auch dankbar, wenn sie sich in den kommenden vier Jahren mit voller Kraft ihrer Aufgabe in Berlin widmen könne. Bei ihren Themen Bauen und Wohnen steht viel an, "einige inhaltliche Klopfer", wie sie sagt. Mehr als sieben Jahre hat die 57-Jährige den Spagat gemacht: zwischen der Hauptstadt, wo sie als Abgeordnete im Bundestag sitzt, und der Münchner SPD, deren Vorsitzende sie seit Ende 2014 war.
Das bedeutete zum Beispiel, dass sie sich jeden Montag für die Sitzung ihrer Landesgruppe entschuldigen musste. Denn die Montage waren der Partei in München gewidmet, dort kam zur gleichen Zeit der Vorstand zusammen. Nach Berlin flog sie immer erst am Dienstag. Im Grunde seien es zwei Vollzeitjobs gewesen, sagt Tausend. "Das war körperlich eine große Belastung." Damit soll nun Schluss sein, beim Stadtparteitag der SPD am kommenden Wochenende will sie das Amt abgeben. Es waren sieben harte Jahre, sicher nicht nur körperlich.

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Als Tausend den Vorsitz übernahm, hatte die SPD bei der Kommunalwahl im März 2014 massiv an Zuspruch verloren und gerade so den Posten des Oberbürgermeisters mit dem neuen Kandidaten Dieter Reiter halten können. Die Partei war auf 30,8 Prozent abgestürzt, von 39,8 Prozent im Jahr 2008. Die Zeiten der SPD als "München-Partei" seien offenbar vorbei, so lautete die Analyse. Im Juli war dann der damalige Vorsitzende Hans-Ulrich Pfaffmann zurückgetreten. Damals begab sich die Münchner SPD auf die Suche nach ihrer Identität, eine Suche, die in den folgenden Jahren eine Konstante werden sollte. "Ich glaube, ich hatte eine besonders schwierige Zeit", sagt Tausend. Die bundesweite Krise der SPD, die vielen Führungswechsel, die Frage nach einer erneuten Großen Koalition als Zerreißprobe nach der Bundestagswahl 2017, all das wirkte sich auch in der Landeshauptstadt aus.
Tausend selbst landete bei den Erststimmen nur noch auf Rang drei
Tausend sollte als Hoffnungsträgerin die SPD in eine neue Zukunft führen, doch Wahl für Wahl ging es bergab. Der Tiefpunkt: die Landtagswahl 2018, bei der die SPD in München auf 12,8 Prozent abstürzte, von 32,1 Prozent im Jahr 2013. Tausend sieht es auch als ihr Verdienst, dass die Münchner SPD trotzdem zusammengeblieben sei. "Ich glaube, die Partei steht besser da", sagt sie. Mit ihrem Team habe sie es geschafft, "dass wir nicht erbittert gestritten haben, dass sich keine Lager gebildet haben, dass nicht permanent mit Austritten gedroht wurde".

Münchner Bundestagskandidaten im Porträt:"Ich habe den Drang, etwas zu ändern"
Claudia Tausend hat exzellente Chancen, erneut für die SPD in den Bundestag einzuziehen. Dort setzt sie sich vor allem in der Wohnungspolitik ein - und hat bei einem Durchbruch einen überraschenden Verbündeten gefunden.
Ein richtig versöhnlicher Abschied ist Tausend dennoch versagt geblieben. Aus der Bundestagswahl im vergangenen September ging die SPD zwar bundesweit als Gewinnerin hervor. In München allerdings manifestierte sich das nicht, dort wurde sie wieder nur drittstärkste Kraft. Sie selbst konnte ihr Mandat für den Münchner Osten über die Landesliste zwar wie 2017 halten, fiel beim Erststimmen-Ergebnis aber auf Rang drei zurück, hinter die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Vanessa Rashid von den Grünen.

Für die Führung der Münchner SPD brauche es nun "Leute mit frischem Schwung, frischen Ideen und frischer Tatkraft", sagt sie. Zwei Männer bewerben sich um ihre Nachfolge: Ex-Juso-Chef und Stadtrat Christian Köning sowie Fraktionsvize Christian Vorländer. Die große Frage bleibt dieselbe wie schon nach der Kommunalwahl 2014: Wie kann die SPD wieder mehr Menschen für ihre Politik begeistern?

Eine Antwort, die sich bei den Wählerinnen und Wählern niederschlug, hat Claudia Tausend in ihren sieben Jahren als Münchner SPD-Chefin nicht gefunden. Nach jeder Niederlage versprachen sie und ihr Vorstand eine harte und ehrliche Aufarbeitung, die im Prinzip klang wie die schonungslose Analyse, die nach der Kommunalwahl 2014 ihrem Vorgänger Pfaffmann das Amt kostete. Mehr Profil, mehr Diskussionsfreude und mehr Bürgernähe, das waren die Hauptforderungen der damaligen Gewissenserforschung. Der jetzige Co-Chef der Bayern-SPD und langjährige Vize in der Stadt, Florian von Brunn, sieht Anfang 2022 zwei Ansatzpunkte: Die SPD müsse sich öffentlich deutlicher positionieren und mehr in den Austausch mit der Stadtgesellschaft kommen. Viel hat sich nicht geändert.
Gerne kommt in der Partei als Erklärungsmuster für Wahlniederlagen noch der Verweis auf die Hartz-IV-Beschlüsse unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und die nicht zu fassende Kluft zwischen der Binnensicht auf die eigenen Verdienste und das zunehmend als undankbar empfundene Verhalten der Wähler: Die SPD habe doch München seit dem Zweiten Weltkrieg durchgehend bis auf eine Ausnahme regiert, heißt es dann. Die Stadt stehe sozial gut da, wirtschaftlich auch, sicher sei sie zudem. Warum wählen die Münchnerinnen und Münchner nicht mehr die Partei, die immerhin die tatsächlich vorbildlichen Alten- und Service-Zentren erfunden hat? Tausend hat ihren Parteifreunden das Rückwärtsdenken nicht austreiben können oder wollen. Zumindest nicht rechtzeitig vor den jüngsten Wahlen.
Ihr Vize warf wegen Streits bei der Listenaufstellung hin
Ob sie es tatsächlich geschafft hat, dass die Sozialdemokraten untereinander weniger gestritten haben, darüber ließe sich streiten. Im vergangenen Jahr schmiss Tausends Stellvertreter Roland Fischer hin, weil der Münchner Vorstand bei der Reihung der Bundestagskandidaten für die Liste in Oberbayern von einem Parteikollegen aus dem eigenen Stadtverband vorgeführt worden war. Sebastian Roloff hatte gegen den ausdrücklichen Beschluss von Tausend und ihren Vorstandskollegen dem Parteikollegen Florian Post den sicheren Listenplatz abgejagt. Post führte danach im Münchner Norden ausdrücklich einen Wahlkampf an der SPD vorbei.
Im September 2019, also nur ein halbes Jahr vor der jüngsten Kommunalwahl, düpierte der damalige Fraktionschef Alexander Reissl die Münchner SPD auf eine nicht für möglich gehaltene Weise: Er warf seinen Posten hin und lief ausgerechnet zur CSU über. Dem war eine längere Periode des Streits und des Frusts in der SPD-Fraktion vorangegangen, die sich Reissls absolutem Führungsanspruch und seiner konservativen Linie nicht mehr länger unterwerfen wollte. Seit März 2020 muss die SPD nun die Demütigung ertragen, nur noch als Juniorpartner der Grünen mitregieren zu dürfen. Seither führen Christian Müller und Anne Hübner die Fraktion, das erste Jahr der neuen Stadtregierung war geplagt von vielen menschlichen Differenzen mit den Grünen.
Aus der Arbeit der Fraktion hat sich Claudia Tausend weitgehend herausgehalten, zumindest nach außen. "Ich belasse das Rathaus im Rathaus", sagte sie zum Beispiel, wenn man sie im vergangenen Jahr zu den atmosphärischen Unstimmigkeiten zwischen Grünen und SPD im Stadtrat befragen wollte. Ihr Amt habe sie vor allem als "Management-Aufgabe" verstanden, sagt sie: die Partei zusammenhalten, organisieren, verwalten. Umgekehrt hat ihr die Verankerung in München bei ihrem Schwerpunkt im Bundestag enorm genutzt. Viele Ideen zum Bauen und Wohnen hat die Planungsexpertin aus München mitgebracht. Was ihr all die Jahre besonders Spaß gemacht habe? "Ich bin immer sehr gern in die Ortsvereine gegangen", sagt sie, "das hat mir Freude gemacht und Kraft gegeben". Dieses Gemeinschaftserlebnis sei ihr in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren "furchtbar abgegangen".
Die Stärke Tausends, mit den vielen Zweigen und Funktionären in der Partei den Kontakt zu halten, machten ihr manche auch zum Vorwurf. Zu viel Management im Hinterzimmer, zu wenig Offensive nach außen, hieß es. Doch den längst fälligen Generationenwechsel in der Partei, den sie nun auch mit ihrem Rückzug befördern will, den hat sie erfolgreich angestoßen, wie sie selbst vorrechnet. Geschätzt zwei von drei Vorsitzenden der Ortsvereine seien unter 40. Nach einer regelrechten Beitrittswelle in die Partei durch den Schulz-Effekt Anfang 2017 habe es auch nach der vergangenen Bundestagswahl nochmals einen Schub gegeben. Bis zu einem Drittel der Parteimitglieder seien in den vergangenen Jahren neu hinzugekommen. Die Rathausfraktion zeigt seit der vergangenen Kommunalwahl auch ein jüngeres und frischeres Gesicht, wozu allerdings auch OB Reiter mit seinen Wunschkandidaten für die Stadtratsliste eine gehörige Portion beigetragen hat.
Die scheidende Vorsitzende wollte nie die "Vortänzerin" sein
Auf den künftigen Vorsitzenden kommen große Aufgaben zu: Zum einen, sagt Tausend, gehe es darum, die Mitglieder nach zwei Jahren Pandemie wieder "einzusammeln". Die SPD lebe vom Sozialen, von Begegnung und Austausch. Wenn alles nur noch online oder per Telefon stattfinde, sei das nicht gut für den Zusammenhalt. Aber auch die Organisation der Partei müsse der Zeit angepasst werden. Mit ihren mehr als 40 Ortsvereinen in München sei die SPD "überstrukturiert". Ebenso müsse sich der neue Vorstand Gedanken machen über die Professionalisierung und die Effizienz der Kommunikation. Die Leute, die abends drei Stunden Zeit haben für ehrenamtliche Parteiarbeit, die gebe es nicht mehr.
Geld für eine Bezahlung ihres Vorsitzenden, so wie es die Grünen kürzlich eingeführt haben, ist bei der SPD nicht in Sicht. Tausends Ansatz, die Partei nicht im Alleingang zu führen und die Aufgaben zu verteilen, wird deshalb auch in Zukunft notwendig sein. Sie habe nie die "Vortänzerin" sein und die Arbeit immer im Team machen wollen, sagt die scheidende Vorsitzende. Das Schöne an der Partei sei die Gemeinsamkeit, "visionäre Ideen entwickeln", zusammen mit Gleichgesinnten. Dem geschätzten Parteileben wird sie weiter verbunden bleiben, bei der inhaltlichen Arbeit wird sie sich künftig auf den Bundestag konzentrieren.