Einen Gruselspaziergang muss man natürlich eigentlich gegen Mitternacht machen. Das geht nur leider zurzeit nicht, wegen der nächtlichen Ausgangssperre. Die Lockdowntown München bietet aber auch tagsüber ein ganz geeignetes Ambiente - wie wenig an manchen Orten los ist, das ist an sich schon ein bisschen schaurig. Wer also einen Spukspaziergang machen möchte, der kann sich zum Beispiel orientieren an Astrid Süßmuths lesenswertem und unterhaltsamem Buch "111 Spukorte in und um München, die man gesehen haben muss". Man wird überrascht sein, wie viele gruselige Plätze diese Stadt bereithält. Vor allem die Altstadt ist im Grunde ein einziger Schauerort (die GPX-Tracks finden Sie hier).
Los geht es am Isartor. Als der schwedische König Gustav Adolf im Mai 1632 bei seinem Einmarsch in München das Stadttor durchritt, hieß es, er habe den Teufel mitgebracht. Der erschien dort danach immer wieder in späten Abendstunden als Nebelgestalt. Irgendwann verblasste die Erinnerung an die Schweden, und mit ihr verblassten auch die Teufelserscheinungen. Doch mit der Eröffnung des Isartortheaters im Bereich der heutigen Grünanlage zwischen Westenrieder- und Frauenstraße 1812 kehrte er zurück. Schon vor dem ersten Spielabend gab es Geschichten von seltsamen Nebelwallungen auf der Bühne. 1825 senkte sich der letzte Vorhang im Theater, im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zerstört. Der Teufel soll sich wieder eine neue Ecke gesucht haben. An späten Herbstabenden, so heißt es, kann man immer wieder Nebelschwaden durch die Torbögen des Isartors ziehen sehen.
SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Die Kulissen einer Stadt
In München wurden in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Filme gedreht - mancher Schauspieler hatte gar seinen Durchbruch an der Isar und erlangte Weltruhm.
Durch das Tal geht es nun Richtung Marienplatz und durch die Dienerstraße zur Residenz. Hier soll die Schwarze Dame ihr Unwesen treiben - bevorzugt dann, wenn ein Unglück bevorsteht. Sie zeigte sich immer vor einem Todesfall im Hause Wittelsbach. Im Brunnenhof wurde die Schwarze Frau bisher am häufigsten beobachtet - wobei die Beschreibungen einer Dame, die lautlos alle Türen öffnen könne, zunächst als Ausreden nachlässiger Palastwachen galten. Und wer ist die geheimnisvolle Gespensterdame? Manches deutet auf Maria Anna Karoline von Bayern hin (1696 - 1750), Tochter des Kurfürsten Max II. Emanuel. Sie war bekannt als die Seele der kurfürstlichen Familie. Ihre Geschwister hatte sie während des Exils ihrer Eltern allein in der Münchner Residenz aufgezogen. Schon zu Lebzeiten wurde sie als Mystikerin verehrt, nachdem sie 1719 in das Klarissenkloster am Anger eingetreten war und dessen schwarze Ordenstracht trug. Zum Kloster kommen wir später noch.
Doch erst begeben wir uns zum Salvatorplatz, wo rechts das Literaturhaus steht und links die griechisch-orthodoxe Salvatorkirche. Folgende Geschichte erzählt die Autorin Astrid Süßmuth über diesen Ort: Im 15. Jahrhundert soll eine alte Frau im Alten Peter die geweihte Hostie geraubt haben, um damit eine Hexensalbe zu kochen. Kirchgänger und Stadtwache verfolgten sie, bis sie die Frau am heutigen Salvatorplatz niederringen und erschlagen konnten. Doch die Hostie war zu Boden gefallen - eine Gotteslästerung, die durch den Bau einer Kirche gesühnt werden musste. Im Jahr 1494 wurde Sankt Salvator als Friedhofskirche eingeweiht. Daneben wurde ein Friedhof eingerichtet. Fast drei Jahrhunderte später wurde er aus Hygienegründen aufgehoben. Die Kirche überließ König Ludwig I. 1828 der griechisch-orthodoxen Gemeinde. Auf dem ehemaligen Leichenacker soll jedoch nicht nur immer noch die einst erschlagene vermeintliche Hexe erscheinen; hin und wieder sollen sich auch die anderen Toten in den eingeebneten Gräbern bemerkbar machen.
Noch unheimlicher wird es nur wenige Meter weiter. Einmal um die Ecke gebogen, schon steht man vor den Überresten der Münchner Stadtmauer. Eine Tafel erinnert: "Hier stand der Jungfernturm, erbaut im Jahre 1493, abgebrochen im Jahre 1804." Dort sollen Todesurteile gefällt worden sein. Der Legende nach befand sich dort eine Statue der Jungfrau Maria, die der Verurteilte küssen musste, worauf sich unter ihm eine Klappe öffnete und er in die Tiefe in einen Kerker hinabstürzte. Die Sage benennt den Hauptmann des churbayerischen Leibregiments Franz von Unertl. Er soll am Abend des 6. Januar 1796 aus einem Gasthaus mit dem Einspänniger abgeholt und in aller Früh am nächsten Morgen durch die eiserne Jungfrau hingerichtet worden sein. Es wird berichtet, dass immer in der Nacht auf den 7. Januar ein junger Mann in blauem Frack und kniehohen Lederstiefeln zu einer eng anliegenden weißen Hose an dem Ort auf und ab spaziert - der Geist von Franz von Unertl.
Wir hingegen spazieren weiter zur Pacellistraße. Dort stand einst die Maxburg, heute befindet sich hier unter anderem das Amtsgericht. Wie fast die gesamte Innenstadt war auch die Maxburg nach dem Krieg zerstört - bis auf den Burgturm. Die Münchner raunten, so schreibt Astrid Süßmuth, dies sei das Werk der Kurfürstin Maria Anna gewesen. Sie habe das Heim ihres Lieblingssohnes beschützt, so gut sie es als Geist vermochte. Drei Jahre nach dem Tod der Kurfürstin war ihr Geist das erste Mal in der Maxburg gesehen worden. Besonders gern soll sich dieser stets wohlwollende Geist im Burgturm aufgehalten haben. In manchen Winternächten soll man ihm heute noch begegnen können.
Ganz viele Streifzüge durch die Stadt finden Sie gebündelt in einem Dossier, verfügbar im digitalen Kiosk der SZ oder unter sz.de/spazieren. Darin enthalten: Spaziergänge zu barocken Häusern, Jugendstil-Bauten und legalen Graffiti-Kunstwerken sowie zu Münchens Stadtbächen. Oder Sie begeben sich auf die Spuren von Promis, Verbrechern und der Liebe.
Wenn das nicht klappt, kann man es an der nächsten Station probieren: auf dem Promenadeplatz. Wo ein bekanntes Hotel steht und die beiden recht unterschiedlichen Musiker Orlando di Lasso und Michael Jackson verehrt werden, soll einst ein reicher Mann gelebt haben. Er hatte viel Getreide günstig erworben und verkaufte es während einer Hungersnot zu Wuchersummen. Um mehr Platz für sein Lager zu bekommen, kündigte er einer neunköpfigen Familie, die damit mitten im Winter obdachlos wurde. Im Gehen verfluchte ihn die verzweifelte Mutter. Kurz darauf wütete eine Rattenplage im Getreide. Der Mann legte sich Katzen zu, doch er war der Plage machtlos ausgeliefert. Schließlich erhängte er sich am Balken seines Kornspeichers. In Gestalt eines schwarzen Katers spukte er daraufhin auf dem Promenadeplatz. Und manchmal kann dort noch immer der unheimliche Katzenruf gehört werden, der die Menschen schon vor 500 Jahren erschreckt hat. Wo einst der Geizhals lebte, befindet sich heute eine Bank.
Die Türme der Frauenkirche waren auf dem Streifzug die ganze Zeit schon präsent - die Kirche selbst ist das nächste Ziel. Die bekannteste Schauergeschichte rund um den Dom ist zweifelsohne die vom sogenannten Teufelstritt. So geht die Legende: Der Baumeister wettete mit dem Teufel um seine Seele, dass man in der Kirche kein Fenster würde sehen können. Als die Kirche fertig, aber noch nicht eingeweiht war, schlich sich der Teufel herein. Er konnte kein Fenster sehen und stampfte triumphierend auf den Boden. So hinterließ er seinen Fußtritt. Als er jedoch einen Schritt weiter vorging, waren urplötzlich jede Menge Fenster da, die er wegen der Säulen zuvor nicht gesehen hatte. Nun merkte er, dass er der Geprellte war. In einer anderen Version der Geschichte hat der Teufelsfuß erst jetzt seinen großen Auftritt - und zwar aus Zorn. In Wahrheit handelt es sich wohl um einen Scherz der Zimmerleute.
Wir wandern weiter zum Sankt-Jakobs-Platz, wo sich das Angerkloster erstreckte, im gesamten Bereich zwischen dem Platz, der Blumenstraße, der Hauptfeuerwache und dem Unteren Anger. Ein Poltergeist suchte hier immer wieder die Klosterküche heim, er verschwand erst mit der Säkularisierung 1803. Im Jahr 1944 wurde das Angerkloster bei Luftangriffen fast vollständig zerstört. Die Kirche St. Jakob am Anger errichtete man in den Fünfzigerjahren als Backsteinbau komplett neu.
Der Weg führt nun zum Sendlinger Tor. Wie fast jeden prominenten Platz in der München Altstadt hat der Volksmund auch diesen mit einem Schauermärchen ausgestattet. Es befand sich dort einst die sogenannte Teufelsbrücke über den Stadtgraben. Wobei der "Teufel" hier von "Deub" (Dieb) kommt. Diese, wie auch andere Kleinkriminelle, wurden auf dieser Brücke gerichtet. Nun hatte einer der vornehmsten Münchner Bürger gemeinsame Sache mit ruchlosem Gesindel gemacht, in der Absicht, seinen Reichtum noch zu mehren. Auf Anweisung des Stadtrats wurde der bestechliche Patrizier bei lebendigem Leib in den Südturm des Sendlinger Tores eingemauert. Sein Stöhnen, heißt es, soll heute noch zu hören sein, wenn man nachts die Turmbögen durchschreitet.
Zu den Orten mit den höchsten Spukchancen gehören Friedhöfe, und so endet der Spaziergang auf dem Alten Südfriedhof. Angelegt 1563 als Pestfriedhof, war er bald die zentrale Begräbnisstätte des gesamten Stadtgebiets. Zum 1. Januar 1944 wurden die Bestattungen wegen Überbelegung endgültig eingestellt. Während des Bombenkriegs trug der Friedhof schwere Einschläge davon. Erst 1955 war er wiederhergestellt - und fiel dann in eine Art Dornröschenschlaf. Berichte über Spuk gibt es viele. Zu den bekanntesten Geistern gehören die Opfer der sogenannten Eskimotragödie, die im Winter 1881 München erschütterte. Neun Kunststudenten waren am 18. Februar beim Faschingsball eines Münchner Theaters bei lebendigem Leib in ihren Eskimokostümen verbrannt. Noch immer sollen ihre Schmerzensschreie jedes Jahr an diesem Tag kurz vor Mitternacht zu hören sein, und ein grelles Licht erhellt für kurze Zeit den Ort.