SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Alles fließt

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Was wäre München ohne seine Flüsse und Bäche? Allein die Wasserkraftwerke der Stadt liefern Energie für Zehntausende Haushalte. Alle bis auf das Praterkraftwerk, das im Flussbett der Isar liegt, befinden sich an den Stadtbächen. Zeit für einen Besuch

Von Thomas Anlauf

München ist nah am Wasser gebaut. Die Isar ist da nur die augenfälligste Erscheinung, die auf etwa 14 Kilometern Länge durch die Stadt fließt. Doch die enorme Entwicklung, die München in der Vergangenheit gemacht hat, wäre ohne die vielen Stadtbäche, die einst überall sichtbar waren, wohl nicht denkbar. Fast vier Dutzend Bäche zogen sich durch München, an ihnen brummte das wirtschaftliche Leben der Stadt. Noch im 19. Jahrhundert gab es zahlreiche Mühlen und Fabriken, die alle mit Wasserkraft betrieben wurden. Die Bäche dienten gleichermaßen als Transportmittel wie als Abwasserkanäle. Am Triftkanal im Lehel, die Triftstraße gibt es bekanntlich bis heute, trieb Schwemmholz bis in den Holzgarten, wo es getrocknet, verkauft oder verheizt wurde. Die großen Stämme aus dem Oberland, die mit Flößen nach München gebracht wurden, bogen in die Floßlände ab, die Stämme trieben von dort weiter bis zum Südfriedhof. Bis heute profitiert München von der enormen Kraft des Wassers: Allein die Wasserkraftwerke der Stadtwerke München liefern Energie für Zehntausende Haushalte. Alle bis auf das Praterkraftwerk, das im Flussbett der Isar liegt, befinden sich die städtischen Kraftwerke an den Stadtbächen.

Ein mehrstündiger Spaziergang führt nicht nur an einigen der etwa hundert Jahre alten Kraftwerke vorbei, sondern es gibt auch sonst einiges zu entdecken. Unten am Zusammenfluss von Mühlbach und Isarwerkkanal haben sich schon vor vielen Jahren mehrere Kanuvereine angesiedelt. Es ist ein ruhiges Fleckchen Münchens, auch jetzt im November stehen an sonnigen Tagen Menschen Schlange, um beim Kiosk "1917" an der Tierparkbrücke einen Mittagssnack zu kaufen und sich damit auf eine der Parkbänke oder den umgesägten Maibaum zu setzen.

Ein Kajakfahrer paddelt mit seinem kleinen Hund, der auf dem Bug des Bootes sitzt, mit ruhigen Schlägen den Isarkanal hinunter. Ein Dutzend Stockenten döst in der Mittagssonne am Ufer, ein paar Möwen planschen daneben im Wasser. Knapp ein Kilometer später ist schon das Isarwerk 2 an der Flaucherbrücke erreicht. Dort werden immerhin pro Jahr durchschnittlich 15 Millionen Kilowattstunden Strom produziert. Doch anstatt nun rechts in die idyllischen Flaucheranlagen abzubiegen, lohnt es sich, geradeaus weiter entlang der Hans-Preißinger-Straße zu wandern. Rechter Hand fließt weiter der Isarkanal, der jetzt Großer Stadtbach heißt, auf der linken Seite taucht bald die Großbaustelle des Interims-Gasteig auf. Ein Blick von außen auf das Gelände ist durchaus lohnenswert.

Vorne an der lauten Brudermühlstraße - der Name geht auf zwei Brüder zurück, die dort eine Mühle betrieben - muss man kurz links zur Schäftlarnstraße, den Mittleren Ring queren, wieder nach rechts und am Heizkraftwerk Süd mit seinen Kaminen wieder nach links in die Flaucheranlagen. Gleich beim nächsten Brückerl geht es wieder links, nach einigen Minuten an einer Weggabelung schräg rechts halten. Dort gelangt man in die Hefner-Alteneck-Straße und unter der Braunauer Eisenbahnbrücke hindurch zum Isarwerk 3.

Am Ostufer der Isar plätschern Quellen. (Foto: Florian Peljak)

Man muss schon etwas genauer hinsehen: Hier in der Isarvorstadt beginnt der Lauf des Westermühlbachs, der in eine Betonwanne gezwängt einen Linksbogen hin zur Auenstraße beschreibt. Auf der anderen Straßenseite zieht sich der Bach durch das vor fünf Jahren fertiggestellte Wohnquartier "Rodenstock Garten" auf dem ehemaligen Firmengelände des Brillenherstellers Rodenstock. Man kann hier durch die Wohnanlage schlendern, über eine Treppe geht es auf der anderen Seite wieder hinaus und links über eine kleine Brücke und gleich wieder rechts hinunter in die Grünanlage zum Westermühlbach.

Der kleine Kanal unterquert schließlich die Kapuzinerstraße. Links tauchen die Mauern des Alten Südfriedhofs auf, auf dem allerdings schon seit 1944 keine Bestattungen mehr stattfinden. Nun sind es noch ein paar Schritte, dann verschwindet das Bächlein unter dem Wohnhaus an der Pestalozzistraße 35 endgültig im Untergrund. Viele Stadtbäche wurden im 20. Jahrhundert einfach zugeschüttet, weil man den Straßenraum brauchte. Von dem einst 300 Kilometer langen Bachnetz blieben bis heute 175 Kilometer, die meisten Kanälchen fließen unterirdisch. Vor einigen Jahren kam die Idee auf, den Glockenbach, wie der Bach unter der Pestalozzistraße einst hieß, als kleines Rinnsal wieder an die Oberfläche zu holen. Doch das wurde vor gut einem Jahr von der Stadtverwaltung abgelehnt.

Altstadt
:Münchens verlorene Gewässer

Die Altstadt war bis Ende des 19. Jahrhunderts durchzogen von Bächen und Kanälen, was ihr auch den Beinamen "Klein-Venedig" einbrachte.

Von Thomas Anlauf

Dagegen soll bald die nördliche Fortsetzung des Bachs jenseits der Blumenstraße wieder ans Tageslicht gebracht werden. Der dortige Westliche Stadtgrabenbach verläuft in einem großen Bogen entlang der ehemaligen Stadtmauer vom Sendlinger Tor an der Herzog-Wilhelm-Straße nach Norden, bisher unterirdisch. Die Grünanlage dort soll bald verschönert und ein Teil des Bachwassers aus vier Metern Tiefe hochgepumpt werden. Auf alten Bildern ist zu erkennen, dass die Herzog-Wilhelm-Straße einst als gewaltige Terrassenanlage angelegt war, an der die Münchner flanierten. Bislang ist hier in der Altstadt von einem Bach nichts zu sehen, lediglich unter einem Gullydeckel am Sendlinger Tor ist das Rauschen des Wassers im Untergrund zu hören.

Erst viel weiter nördlich stößt man wieder auf die Stadtbäche. Im Hofgarten wurde bereits 1562 ein Brunnwerk zur Versorgung des Gartens gebaut, das Wasser stammte aus dem Westlichen Stadtgrabenbach. Vereint mit dem Köglmühlbach, der östlich der Bayerischen Staatskanzlei wieder an die Oberfläche geholt wurde, ergießt er sich in einem kleinen Wasserfall als Schwabinger Bach in den Englischen Garten. Weiter vorne an der Prinzregentenstraße rauscht bekanntlich der Eisbach. Sogar im November springen die Surfer in die Welle, für Fußgänger und Surfer gilt in Corona-Zeiten nun folgende Anweisung in Form eines Anschlags an der Brücke: eine Surfbrettlänge Abstand einhalten, Warteschlangen vermeiden, Zuschauer bitte weitergehen.

Ein Bachspaziergang wäre natürlich nicht vollständig, wenn man nicht dem Auer Mühlbach auf der anderen Isarseite einen Besuch abstatten würde. Gleich hinter der Luitpoldbrücke geht es rechts hinunter zu der mit bunten Graffiti verzierten Unterführung und nach Süden an der Isar entlang. Kurz vor dem Maxwerk, das noch immer in Betrieb ist und eigentlich vor Jahren eine Wirtschaft erhalten sollte, mündet der Auer Mühlbach in die Isar. An der Maximiliansbrücke geht es rechts über einen langen Steg zwischen Isar und Auer Mühlbach weiter. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Isar gemächlich nach Norden strömt, während der eingezwängte Bach kräftig seiner Mündung entgegen rauscht. Vom steilen Isarhang tropfen und plätschern immer wieder Rinnsale hinab in den Bach: Quellen. München ist eben eine Stadt am Wasser.

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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