Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Auf den Spuren von Thomas Mann

Sämtliche Orte zu besuchen, an denen der Schriftsteller in Schwabing und der Maxvorstadt lebte, ergibt einen wunderbaren Spaziergang. Zwischen etlichen Umzügen schuf er bedeutende Literatur.

Von Wolfgang Görl

München und Thomas Mann, das ist eine heikle Geschichte Zwar waren auch Lübeck, Pacific Palisades und Kilchberg am Zürichsee wichtige Stationen im Leben des Schriftstellers, doch die bayerische Landeshauptstadt ragt schon deshalb heraus, weil er dort die längste Zeit verbracht hat. Auch in seinem Werk spielt München eine außerordentliche Rolle, und wer München-Beschimpfungen sucht, wird bei Thomas Mann ebenso fündig wie derjenige, der nach Lobpreisungen der Stadt Ausschau hält. Mal ist sie "die eigentlich dumme Stadt", mal schreibt er: "Ich bin ja München, wo ich die Hälfte meines Lebens verbrachte, von Herzen zugetan."

In den Anfangsjahren, in seiner Zeit als Junggeselle und Bohemien, wechselte er häufig die Wohnung, blieb aber stets im Boheme-Kosmos Maxvorstadt/Schwabing. Einige dieser Adressen fügen sich zu einem wunderbaren Stadtspaziergang mit einer Fleißaufgabe am Ende. Besonders lehrreich ist die Promenade, nimmt man das vortreffliche Buch "Wo die Geister wandern" des Literaturwissenschaftlers Dirk Heißerer mit. Zu beinahe jedem Ort liefert er eine Geschichte und Beispiele, wie sich die Lokalität in Thomas Manns Werk niedergeschlagen hat.

Ausgangspunkt des Streifzugs ist die kleine Rambergstraße nahe der Kunstakademie. Dorthin, in die Hausnummer 2, zog im Juli 1893 die Witwe Julia Mann mit drei ihrer fünf Kinder, nachdem ihr Ehemann, der Lübecker Senator und Kaufmann Thomas Johann Heinrich Mann, im Alter von 51 Jahren gestorben war. Der 18-jährige Sohn Thomas blieb zum Schulbesuch noch in Lübeck, er übersiedelte Ostern 1894 zur Familie nach München. Die Manns bewohnten in der Rambergstraße eine Acht-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss; das Originalhaus gibt es nicht mehr, doch immerhin erinnert eine Gedenktafel an den prominenten Mieter: "Hier wohnte von 1894-1898 Thomas Mann, Nobelpreisträger für Literatur. In seinem Buch 'Doktor Faustus' wird die Rambergstr. 2 erwähnt." Tatsächlich lebt der Komponist Adrian Leverkühn, die Zentralfigur des Faustus-Romans, zeitweise in der Rambergstraße, wo er gelegentlich "eine sozusagen stubenreine Bohème" empfängt.

Würde man Thomas Manns städtischem Nomadenleben chronologisch folgen, wäre die Theresienstraße 82 die nächste Station. Dort wohnte er 1894 gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich einige Monate bei der Milchhändlerswitwe Walburga Permaneder; ihr Familiennamen findet sich in den "Buddenbrooks" wieder, wo ihn ein typischer Münchner Gemütsdimpfl trägt. Doch dieser Abstecher sei ausgespart, denn nicht mal als Hinweistafel ist Thomas Mann in der Theresienstraße gegenwärtig. An der Stelle des damaligen Hauses steht heute ein Gebäude der Technischen Universität.

Also besser weiter entlang der Kurfürstenstraße zur Konradstraße, die schon deshalb sehenswert ist, weil sie zugestellt ist mit denkmalgeschützten Jugendstil- und Neorenaissancebauten aus der Zeit um 1900. Im Haus Nummer 11 - eine Gedenktafel macht darauf aufmerksam - fand Thomas Mann im November 1902 eine "recht hübsche kleine Wohnung", in der er knapp zwei Jahre lang blieb. In dem schmucken Neurenaissancegebäude schrieb er unter anderem die Novelle "Gladius Dei", die mit den berühmten Worten "München leuchtete" beginnt. Was da aber leuchtete, war weniger Glanz als Abglanz; die selbstverliebte Kunststadt München erscheint in der Novelle als ein Ort, in dem man dem Dekorativen und Nachgeahmten eher huldigt als originellen und anspruchsvollen Werken.

Wenn das so ist, dann nichts wie weg von den Renaissance-Imitaten der Konradstraße. Über die nun ihrerseits mit Prachtbauten gesäumte Friedrichstraße geht es in die Franz-Joseph-Straße und auf dieser in Richtung Leopoldstraße. Im Februar 1905 bezog Thomas Mann im dritten Stock des Hauses Franz-Joseph-Straße 2 - das Gebäude wurde im Krieg zerstört - eine Wohnung, die, sensationell damals, schon einen Telefonanschluss hatte. Und er war nicht allein. Mit dabei war Katia Pringsheim, Tochter des schwerreichen Mathematikprofessors Alfred Pringsheim und eine der attraktivsten Frauen der Stadt. Der Schriftsteller und die kluge Studentin hatten am 11. Februar geheiratet. Fünf Jahre lebte das Paar in der nicht sonderlich großen Wohnung, in dieser Zeit kamen die Kinder Erika, Klaus, Golo und Monika auf die Welt.

Aber nun nochmal zurück in die schöne Junggesellenzeit, in das Haus, in dem Thomas Mann im Sommer 1900 die "Buddenbrooks" vollendete, den Familien- und Gesellschaftsroman, für den er 1929 den Literaturnobelpreis erhielt. Viele Wege führen dorthin, wir spazieren durch die Martiusstraße - hier residierte der Dichter Max Halbe - und die Thiemestraße in die Königinstraße, bewundern dort den Palast der Münchener Rück, dann in die Mandlstraße, wo der Maler Alfred Kubin und der Widerstandskämpfer Willi Graf wohnten, und schließlich entlang der Gunezrainerstraße zum "Wirtshaus Seerose".

In das Eckhaus (damals Feilitzschstraße 5, heute 32) zog Thomas Mann im Februar 1899. Gelegentlich besuchte ihn auch der Schriftsteller Artur Holitscher, der später notierte: "Er hatte sich eine kleine Wohnung in einem halbfertigen Haus draußen in Schwabing eingerichtet. Ein Pianino stand in dem Arbeitszimmer, auf dem Schreibtisch war ein mit dünnem Kranz geschmücktes Porträt Tolstojs zu sehen, große, mit präziser steiler Schrift bedeckte Manuskriptblätter lagen, zu beträchtlicher Höhe getürmt, vor dem Bild. Es war das fast vollendete Manuskript der 'Buddenbrooks'." Falls jemand solchen Berichten nicht traut: Auch hier beglaubigt eine Gedenktafel den Aufenthalt Thomas Manns.

Ehe sich der junge Schriftsteller in der Feilitzschstraße einnistete, hatte er kurz in der Barer Straße und für einige Monate in der Marktstraße 5 gewohnt. Später wurde das Haus zusammen mit einem Nachbargebäude in ein Jugendstilpalais verwandelt, die heutige Adresse ist Haimhauserstraße 6. Wie es in Schwabing seinerzeit aussah, ist der skurrilen Novelle "Der Kleiderschrank" zu entnehmen, die in der Marktstraße entstand und dort auch spielt: Der Held Albrecht van der Qualen geht über die Schwabinger Landstraße (heute Leopoldstraße) nach Altschwabing. "Er befand sich auf einer breiten Vorstadtstraße mit Bäumen und Villen, bog rechts ab, passierte drei oder vier fast dorfartige, nur von Gaslaternen beleuchtete Gassen, und blieb schließlich in einer etwas breiteren vor einer Holzpforte stehen."

Wer jetzt noch Luft und Lust hat, kann zu einer kleinen Sondertour aufbrechen, die zu den beiden letzten Stationen Thomas Manns in München führt. Man wandert durch den Englischen Garten über die Max-Joseph-Brücke zur Mauerkircherstraße 13. Hier, im zweiten Stock des schönen Jugendstilhauses, wohnte die Familie von Oktober 1910 bis Januar 1914, hier schrieb der "Zauberer", wie sie ihn nannten, die Novelle "Tod in Venedig". Währenddessen entstand das eigene Haus in der nahe gelegenen Poschingerstraße, das die Manns im Februar 1914 bezogen und wo sie blieben, bis sie, von den Nazis bedroht, 1933 ins Exil gingen. Die im Krieg schwer beschädigte "Poschi" wurde Anfang der Fünfzigerjahre abgerissen. Heute steht ein "auf eigene Art" (so die Gedenktafel) gestalteter Nachbau der Villa in der Thomas-Mann-Allee 10.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2020/kafe/van
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