Ein echtes Paradebeispiel steht direkt an der Münchner Freiheit: Geschwungene Formen, an der Fassade prangen Girlanden, Blumen, Laubwerk und Bäume. Rote, grüne und goldene Ornamente lockern die grau-weiße Front auf, die in der Technik des sogenannten Kammzugs von Rillen durchzogen ist. Das Mietshaus an der Leopoldstraße 77 ist ein klassisches Beispiel für den Schwabinger Jugendstil, sein Architekt Martin Dülfer - einer der bekanntesten Vertreter dieser Stilrichtung in München - hat es auch selbst bewohnt. Das 1902 fertiggestellte Prachtstück geht manchmal im Getümmel und dichten Verkehrsgeschehen der Leopoldstraße unter - es empfiehlt sich, die Fassade von der gegenüberliegenden Seite aus zu genießen.
Jugendstil. Das Wort ist bekanntlich in München entstanden, durch die im Georg-Hirth-Verlag erschienene Zeitschrift Jugend. Die bunt-verspielte Architekturrichtung aber gibt es in diversen Metropolen Europas. Wien ist berühmt dafür, Prag, aber auch Barcelona oder Riga. München zählt (neben der Mathildenhöhe in Darmstadt) zu den deutschen Hochburgen des Jugendstils.
Vor allem der an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bei Künstlern so beliebte Stadtteil Schwabing mit seinen großbürgerlichen Wohnburgen. Wer durch die Altbaustraßen spaziert, wird an zahllosen Gebäuden Jugendstilelemente entdecken - an so vielen, dass die anderswo Art Nouveau oder Secession genannte Baumode geradezu charakteristisch für Münchens ersten Szene-Stadtteil erscheint. In knapp eineinhalb Stunden lassen sich einige prachtvolle Exemplare dieses Architekturstils abwandern - wobei, wie gesagt, auch zwischen den Stationen jede Menge Jugendstil zu sehen ist. Quasi am Wegesrand.
Ein Stück die Leopoldstraße stadteinwärts, dann rechts in die Ainmillerstraße, kommt man zum - neben dem Müllerschen Volksbad - wohl berühmtesten Jugendstilbau Münchens: der Ainmillerstraße 22, einem knallbunten, in markante Bögen gegliederten Bau, der 1899 bis 1900 von Felix Schmidt errichtet wurde. Der Fassadenentwurf stammt von Ernst Haiger und Henry Helbig. Beachtenswert ist auch der rechts anschließende Jugendstilbau mit der Hausnummer 20, der von Eugen Hönig und Karl Söldner gestaltet wurde.
Kurz die Ainmillerstraße weiter, dann rechts in die Römerstraße, warten zwei weitere Highlights: die Römerstraße 11, die von denselben Architekten wie die Ainmillerstraße 22 stammt (was man an der Fassadengliederung auch schön erkennen kann). Und die Römerstraße 15, die wiederum die gleichen Schöpfer wie die Ainmillerstraße 20 hat. Vor allem vor der Hausnummer 11 kann man einige Zeit verbringen, die goldgerahmten Masken und die grauen Friese unter den Fenstern betrachten. Auch die Fensterrahmen sind, wie oft bei Jugendstilbauten, durchgestylt.
Zurück Richtung Ainmillerstraße, dann geht es weiter geradeaus zur Franz-Joseph-Straße. Auch das riesenhafte Eckhaus mit der Hausnummer 38 ist ein Vertreter des Jugendstils, erbaut 1903 von Max Langheinrich. Rechts abbiegen. Über den Elisabethplatz, an dem gerade die Marktbuden abgerissen werden, geht es in die Elisabethstraße. Unterwegs trifft man erneut auf mehrere Jugendstilhäuser, etwa die mit den Hausnummern 3 und 5 (in Letzterem wurde im Juli 1990 der Schauspieler Walter Sedlmayr ermordet). Eigentliches Ziel aber ist die Elisabethstraße 16, ein braunes, reich verziertes Wohnhaus aus dem Jahr 1907. Architekt war Franz Popp.
Dann geht es zurück Richtung Leopoldstraße. Ein kurzer Blick rechts in die Isabellastraße, zur gelb gestrichenen Hausnummer 22 mit ihren markanten Fenstern, sollte noch schnell sein. Jugendstil, was sonst. Aus dem Jahr 1907 von Adolf Wentzel. Von der Franz-Joseph-Straße zweigt rechts die Friedrichstraße ab. Gleich vorne an der Ecke stehen großartige Jugendstilbauten. Die Friedrichstraße 18 (1907 von Max Langheinrich) wirkt schon wie ein Palast. Die Friedrichstraße 3, ein elegantes grau-weißes Eckhaus, stammt von Hans Thaler und war 1904 fertig. Wer nun eine Pause benötigt: Der gegenüberliegende Leopoldpark bietet sich an.
In Sachen Jugendstil geht es die Friedrichstraße wieder zurück, dann rechts zur Franz-Joseph-Straße 19. Türkis, Grau und Gold leuchtet von der Fassade, die Eingangstür mit ihren geschwungenen Formen ist für die Stilrichtung ebenso charakteristisch wie das (durch die Glastür teilweise sichtbare) Rückgebäude. Das Haus stammt von Franz Nyilas und wurde 1903 fertiggestellt. Die Martiusstraße, direkt gegenüber auf der anderen Seite der Leopoldstraße, könnte man in ihrem vorderen Abschnitt getrost zum Architekturmuseum erklären. Hier wimmelt es von Jugendstilelementen, der Großteil der Häuser stammt vom Architekten Anton Hatzl. Nur die Martiusstraße 6 ist von Franz Popp.
Rechts in die Kaulbachstraße und dann gleich wieder links steht ein weiteres herausragendes Beispiel für den Münchner Jugendstil. Das Doppelhaus Gedonstraße 4 bis 6 ist schon von weitem erkennbar, die prächtige Fassade ist in vielen typischen Jugendstilfarben gehalten, auch hier wurde der Putz gerillt. Es handelt sich um ein weiteres Meisterwerk von Martin Dülfer, von dem auch das nahegelegene Ensemble an der Königin-/Ohmstraße stammt (durch die Gedonstraße weiter, dann rechts in die Königin- und wieder rechts in die Ohmstraße). Die Bauten Ohmstraße 13 bis 17 sowie Königinstraße 85, die ganz offenkundig architektonisch zusammengehören, aber eben auch nicht komplett symmetrisch sind, wurden von 1905 bis 1907 gebaut.
Nun geht es die Ohmstraße weiter zur Leopoldstraße und auf der anderen Straßenseite in die Georgenstraße. Die ist an diesem Ende wegen der (für medizinisches Personal reservierten) Corona-Teststation des Tropeninstituts derzeit für Autos gesperrt. Bei der Georgenstraße 10, dem Endpunkt der Tour, handelt es sich nicht um ein klassisches Jugendstilhaus. Das reich verzierte Palais Bissing mit seinen blauen Fensterläden wurde 1880/81 im Stil der Neorenaissance erbaut, 1902/03 aber weitgehend im sogenannten Reformstil umgestaltet. Der Reformstil gilt als Strömung des Jugendstils, mit Bezug auf regionale Traditionen. Das ist bei dem Palais ebenso deutlich zu erkennen wie einige typische Jugendstilformen in der Fassade.
Stilecht wäre es nun, ein paar hundert Meter weiter südlich in der Türkenstraße in den Alten Simpl einzukehren, einem der Symbole des wild-kreativen Jugendstil-Zeitalters. Oder ersatzweise, auch wenn man da ein Stück fahren muss, ins "Faun" in der Hans-Sachs-Straße, das über eine bemerkenswerte Jugendstil-Ausstattung verfügt. Nur: Die Lokale dürfen ja derzeit nicht offen haben. Corona. Wer nun zumindest noch einen nicht-kulinarischen Nachtisch will: Für ganz Eifrige lohnt sich ein Abstecher zur Hohenzollernstraße 25, die bei dieser Tour ausgespart wurde. Dieses Jugendstil-Prachtstück stammt ebenfalls von Franz Popp und war 1907 bezugsfertig.