Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Münchens versteckte sakrale Schätze

Berühmte Kirchen hat die Stadt viele, doch auch jenseits der Altstadt finden sich besondere christliche Orte. Ein Rundgang zu uralten gotischen Kapellen, modernen Bauten und wahren Kleinoden.

Von Jakob Wetzel

Nichts stört. An der katholischen Kirche Sankt Laurentius in München-Gern gibt es keine Schnörkel, weder außen noch innen. Da ist kein überbordender Figurenschmuck, nicht einmal ein Hochaltar. Die Kirche, die äußerlich an Bauten aus frühchristlicher Zeit erinnert, hat auch keinen Turm, weswegen man sie ein bisschen suchen muss, doch das lohnt sich. Sie ist schlicht und würdevoll; ist sie in Betrieb, kann nichts ablenken, weder vom Gottesdienst, den die Gläubigen gemeinsam feiern, noch von dem, was die Kirche so besonders macht. Denn so unscheinbar sie sich gibt: Sankt Laurentius ist einer der wichtigsten katholischen Kirchenbauten der Nachkriegszeit. Es kennt sie nur in München kaum jemand.

Es gibt deshalb vielleicht keinen besseren Ausgangspunkt für diesen Rundgang, der zu besonderen christlichen Orten in München führt, und zwar bewusst jenseits der berühmten, in vielen Bildbänden verewigten Kirchen der Altstadt. Auch außerhalb des Zentrums gibt es zahlreiche bedeutende Kirchen, darunter uralte gotische Kapellen und moderne Bauten, alte Wallfahrtskirchen und Kleinode, die den Bombenkrieg unzerstört überstanden haben.

Wer sie in einem Rundgang besuchen will, dem machen sie es jedoch nicht leicht: Sie verteilen sich über die Stadt - und nicht immer sind sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Wohin dieser Streifzug führt, hat daher auch mit dem Nahverkehrsnetz zu tun. Der Rundgang beginnt in Gern im Nordwesten und endet nach einer Fahrt mit der U-Bahn in Harlaching. Er führt zu Orten, die selten im Fokus stehen, obwohl sie es verdient hätten.

So wie Sankt Laurentius. Die 1955 nach Plänen der Architekten Emil Steffann und Siegfried Östreicher errichtete Kirche war bei ihrem Bau für katholische Verhältnisse geradezu unerhört. Denn hier tritt schon in der Architektur die Idee der Gemeinschaft an die Stelle der Hierarchie. Der Altar steht mittig im Raum, der Priester wendet der Gemeinde nicht den Rücken zu, sondern seine Vorderseite, die Gläubigen umringen den Altar.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sollten diese Prinzipien viele neue katholische Kirchen prägen. Doch dieses Konzil begann erst 1962. Sankt Laurentius nahm die Ideen vorweg. Die Architekten hatten sich den Bau gemeinsam mit dem Münchner Oratorium überlegt, einer geistlichen Gemeinschaft von Priestern und Laien, der 1954 die Leitung der neu gebildeten Pfarrei übertragen worden war. Dass sie am Ende tatsächlich bauen durften, wie sie es wollten, war nur möglich, weil Erzbischof Joseph Wendel die Idee unterstützte.

Von Sankt Laurentius geht es die Nürnberger Straße hinunter nach Süden, vorbei am Taxispark, einem 2018 neu entstandenen Spiel-, Sport- und Erholungsort. Hinter dem Biergarten geht es rechts und auf der Taxisstraße links hinab bis zum Dom-Pedro-Platz. Dort steht die evangelische Christuskirche, ein ganz anderer Typus von Gotteshaus. Das bis 1900 nach Plänen von Erich Göbel neugotisch gebaute, nach dem Krieg vereinfacht rekonstruierte Bauwerk versteckt sich nicht, sondern prägt im Gegenteil den Platz und den Stadtteil. Wer die Kirche betritt, findet aber ein ähnliches Bild vor wie in Sankt Laurentius: Auch hier steht der Altar in der Mitte und ist auf drei Seiten umringt von Bänken. Das ist jedoch nicht immer so gewesen.

Bis 1975 herrschte in der Christuskirche eine traditionelle Raumaufteilung, erst dann rückte der Altar nach vorne. Und der Umbau brachte einen weiteren Vorteil: Dabei wurde auch gleich die Apsis nach vorne verlängert und mit einer Wand abgetrennt, die eineinhalb Meter hoch ist, sodass der Blick auf die 1962 installierten Chorfenster mit Christus-Motiven des Künstlers Helmut Ammann nicht verstellt wird. So ist ein neuer Raum entstanden, der flexibel nutzbar ist.

Auf der St.-Galler-Straße geht es zum Hubertusbrunnen. Der ist kein bedeutender sakraler Ort, dennoch lohnt es sich innezuhalten. Der 1907 nach einem Entwurf Adolf von Hildebrands errichtete Brunnen war ein Geschenk der Stadt an Prinzregent Luitpold zu dessen 85. Geburtstag; erst stand er neben Luitpolds Reiterstandbild vor dem Bayerischen Nationalmuseum an der Prinzregentenstraße, bis die Nazis diese 1937 begradigten und den Brunnen deshalb abrissen. 1954 wurde er am Schlosskanal aufgestellt. Wer von Osten hineinblickt, kann über dem Bronzehirsch die Widmung an den Prinzregenten lesen.

Das Innehalten lohnt sich hier deshalb, weil sich im Westen ein schöner Blick auf Schloss Nymphenburg öffnet, und damit gewissermaßen auf die Wiege der evangelischen Kirche in München. Die stand im Fürstenhaus: Als 1799 Max IV. Joseph neuer Kurfürst wurde, brachte er eine lutherische Fürstin mit ins bislang streng katholische Bayern. Am 12. Mai 1799, dem Pfingstsonntag, ließ Kurfürstin Karoline für sich und ihren Hofstaat in Nymphenburg den ersten offiziellen evangelischen Gottesdienst Münchens feiern - wobei Nymphenburg streng genommen damals noch vor der Stadt lag.

Der Weg führt weiter über die Südliche Auffahrtsallee und durch den Grünwaldpark in die Romanstraße und dort links ab in die Amortstraße. Nach ein paar Schritten ist die Schauseite der katholischen Herz-Jesu-Kirche erreicht, die bis 2002 nach Plänen des Münchner Büros Allmann Sattler Wappner gebaut wurde und mit ihrer Licht- und Formensprache international Aufsehen erregt hat - obgleich sie vor Ort anfangs als "dubioser Glascontainer" umstritten war. Die Kirche ist das bekannteste Bauwerk in diesem Rundgang; ihr Kubus besteht aus zwei Hüllen, einer gläsernen außen und einer inneren aus hölzernen Lamellen, die wechselnde Lichtstimmungen erzeugen.

Wer die Wirkung der Architektur begreifen will, sollte an einem hohen christlichen Feiertag kommen: Dann öffnet sich nicht nur die kleine Tür, sondern fast die ganze Südwand auf einer Höhe von 14 Metern, sie wird damit zum weltweit größten Kirchenportal. Das ganze Bauwerk scheint die Passanten aufzufordern näherzukommen und einzutreten, während die hölzerne Innenhülle die Gemeinde doch zusammenhält.

Weiter geht es vorbei am 37 Meter hohen Campanile der Herz-Jesu-Kirche - der den Blick freigibt auf eine grausige Leiter; es ist den Technikern zu wünschen, dass in dem Turm mit seinen fünf Glocken nie etwas kaputt geht. Nächster Halt ist die Winthirkirche an der Winthirstraße, das älteste Gotteshaus in Neuhausen. Eine Kirche steht dort spätestens seit 1249, die ältesten Bauteile sind gotisch. Ihre heutige Form hat die Dorfkirche seit 1933, als sie nach schweren Gewitterschäden rekonstruiert werden musste.

Die Winthirkirche steht in einem wunderschönen kleinen Friedhof, in dem auch verschiedene Prominente bestattet sind. Hingewiesen sei hier nur auf Sigi Sommer, weil das bei einem Rundgang naheliegt. Der 1996 verstorbene Journalist, der als "Blasius, der Spaziergänger" Münchner Momente verewigt hat, liegt ein paar Schritte hinter dem Chor.

Über den Seligen Winthir ist wenig Verlässliches bekannt; er war wohl ein Wanderprediger, der sich vor dem 11. Jahrhundert am Ort niedergelassen hat und unter der Kirche bestattet liegt. Wie wichtig er den Anwohnern war, zeigt sich unter anderem in einem "Bekenntnis" von 1738: Da heißt es, der fromme Mann sei bei diversen Leiden angerufen worden, etwa bei bösem Seitenstechen, bei Schwindsucht, sogar bei Blindheit, außerdem bei Unfällen und Verletzungen, und er habe stets geholfen, ebenso wie bei Tierseuchen. Die Menschen dankten ihm auch dafür, dass die Habsburger, die 1705 die Sendlinger zusammengeschossen hatten, keinen Fuß nach Neuhausen gesetzt hatten. Die Winthirkirche galt als Zufluchtsort bei Katastrophen und Seuchen, sie wäre auch heute ein guter Ort.

Dieser Rundgang setzt sich freilich trotzdem fort. Die Winthirstraße geht es hinab zum Rotkreuzplatz und dort per U-Bahn mit der Linie U 1 zum Kolumbusplatz. Wer sich den Giesinger Berg sparen will, kann mit der U 2 noch eine Station weiter zur Silberhornstraße fahren. Von dort geht es am besten über die Ichostraße in die Heilig-Kreuz-Kirche, in den Giesinger Dom.

Die nach Plänen von Georg von Dollmann errichtete, 1886 geweihte Kirche ist die einzige vollständig erhaltene neugotische Kirche Münchens. Ihr ältester Kunstschatz stammt aber noch aus dem Mittelalter: Unter der Orgelempore hängt ein Kruzifix-Fragment, genauer: zwei etwas verkohlte und angenagelte Beine. Sie gehören zu einem Kruzifix, das einst in der Au hing, wo es 1463 bei einem Isarhochwasser angespült worden war. 1944 wurde es von Bomben zerstört.

Der jüngste Kunstschatz der Kirche befindet sich auf der entgegengesetzten Seite und ist nur aus der Ferne zu betrachten: Es sind die Fenster im Osten. Mit ihnen erregte die Heilig-Kreuz-Kirche 2019 Aufsehen. Der in München lebende Künstler Christoph Brech hat rund 1200 Röntgenaufnahmen des menschlichen Brustkorbs, darunter auch einige von Gemeindemitgliedern, in Fenstermotive verwandelt. Die dargestellten Lungen wirken wie Engelsflügel. Sie zeigen, passend zum Patrozinium der Kirche, das Kreuz der Menschen.

Die letzte Etappe dieses Streifzugs richtet sich nur an jene, die noch nicht müde und gut zu Fuß sind: Sie besteht aus einem rund drei Kilometer langen Fußweg, aber sie führt ja auch zu einer Wallfahrtskirche. Von Heilig-Kreuz geht es erst einmal hinab in die Unterführung. Jenseits der Straße geht es wahlweise auf der Lohstraße den Auer Mühlbach entlang oder auch auf der Bergstraße nach Süden. Im letzteren Fall führt der Weg am Grünwalder Stadion und vorher an der evangelischen Lutherkirche vorbei, einem im Stil des Historismus gehaltenen Werk von Hans Grässel, der vor allem für Schulen und Friedhöfe bekannt ist. Die Kirche wird derzeit saniert.

Ob Berg- oder Lohstraße - nach etwa einem Kilometer führen beide Wege zusammen und am Hochufer des Auer Mühlbach entlang nach Süden. Man sollte hier spazieren gehen, solange die Bäume wenige Blätter haben, denn dann fällt der Blick rechts ungehindert auf den 1980 errichteten Zwiebelturm des Archiconvents der Templer. In der Anlage, die ein bisschen an Schloss Neuschwanstein erinnert, leben die Bewohnerinnen und Bewohner nach der Regel des historischen Ordens.

Der Fußweg mündet schließlich auf die Karolingerallee - und hinter der Harlachinger Einkehr wartet rechter Hand das Ziel dieses Streifzugs: die umfriedete katholische Kirche Sankt Anna Harlaching, eine der ältesten Kirchen Münchens. Wer mag, kann hier erst einmal einen Blick von der Hangkante werfen: Unterhalb liegt der Tierpark Hellabrunn, zuvorderst das Dach der sogenannten Dschungelwelt, rechts davon das Elefantenhaus. Mit etwas Glück ist links ein Lama zu entdecken.

Sankt Anna ist bis heute ein Wallfahrtsziel und dazu eine beliebte Hochzeitskirche; die heilige Anna ist schließlich die Patronin der Eheleute. Das schlichte Äußere aber darf nicht täuschen. Die Kirche wurde 1527 vom Kloster Tegernsee an die Wittelsbacher verkauft und von diesen vor allem im 18. Jahrhundert in ein Juwel des Rokoko verwandelt. Beteiligt waren Künstler mit Rang und Namen am Fürstenhof: Johann Michael Fischer leitete den Umbau, Ignaz Günther steuerte Pläne bei, die Werkstätten Johann Baptist Zimmermanns und Johann Baptist Straubs übernahmen Arbeiten. Im Krieg blieb die Kirche unzerstört. Sie ist heute einer der vielen versteckten sakralen Schätze Münchens.

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SZ vom 01.04.2021/infu
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