SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Preise, Prunk und Professoren

SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt: Die einst Königliche Sternwarte zu Bogenhausen.

Die einst Königliche Sternwarte zu Bogenhausen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

München ist eine Stadt der Wissenschaft - und das schon lange. Ein Streifzug zwischen Einstein und Business School.

Von Jakob Wetzel

Sogar Albert Einstein hat einmal klein angefangen. Als Dreikäsehoch wohnte der spätere Ausnahmedenker mit seiner Familie an der Adlzreiterstraße nahe dem Goetheplatz. Der Vater führte eine Fabrik für elektrische Geräte; der Junior ärgerte sich mit dem autoritären Unterricht am Luitpold-Gymnasium an der Müllerstraße herum, dem heutigen Albert-Einstein-Gymnasium in Harlaching. 1894 hatte Einstein genug. Trotz exzellenter Noten brach der 15-Jährige die Schule ab und zog seinen Eltern nach, die nach Italien ausgewandert waren. 18 Jahre später erhielt Einstein den Nobelpreis für Physik.

München hat ebenfalls einmal klein angefangen. Heute ist die Stadt eine Metropole der Wissenschaft. In und bei München gibt es mehr als 20 kleine und große Hochschulen, darunter drei Universitäten. Deren Institute und Dutzende weitere Forschungseinrichtungen verteilen sich über das Stadtgebiet. Noch dazu haben mehr als 30 Nobelpreisträger in München gelebt, studiert, geforscht oder gelehrt - das alles ist viel zu viel für einen einzelnen Rundgang. Doch auch diese Spitzenforscher haben alle einmal klein angefangen. Und so beginnt dieser Streifzug auf den Spuren großer Denker nicht bei den Universitäten in der Maxvorstadt oder den Forschungszentren in Garching oder Martinsried, sondern an einem Ort für den Nachwuchs: auf einer Brücke über die Isar.

Auf der Maximiliansbrücke steht eine steinerne Figur der Pallas Athene, der griechischen Göttin der Weisheit, geschaffen 1906 von Franz Drexler. Die Figur blickt in Richtung Innenstadt, nach Westen, was eigentlich schade ist. Denn im Osten sähe sie das Maximilianeum, das nicht nur seit 1949 der Sitz des bayerischen Landtags ist, sondern zuallererst ein Ort für die Bildung. Namensgeber war König Maximilian II. (1811-1864). Dessen Vater hatte sich um München als Stadt der Künste gekümmert, der junge König bemühte sich nun um die Wissenschaft, lockte Gelehrte in die Stadt und förderte die Jugend. Auf dem Isarhochufer ließ er das Maximilianeum als Prachtbau für eine Studienstiftung errichten. Zur Grundsteinlegung im Oktober 1857 kam er persönlich, obwohl das Wetter Zeitungsberichten zufolge scheußlich war. Es regnete, es stürmte, und in diesem Sauwetter sang ein Chor aus 200 Kehlen: "Auf den Höhen soll es ragen, edler Bildung sichrer Ort, reiche Geistesfrucht zu tragen, als ein stiller Musenort".

Im Maximilianeum wohnen noch heute Studentinnen und Studenten aus ganz Bayern sowie aus dem Gebiet der einst bayerischen linksrheinischen Pfalz. Lange durften hier ausschließlich Männer einziehen. Stipendien für Studentinnen gibt es erst seit 1980. Und nicht nur hier ist Frauen der Zugang zu Bildung und Wissenschaft lange verwehrt worden; die Rollenbilder waren fest gefügt. In Bayern wurde Frauen überhaupt erst ab 1903 ein Studium gestattet. Diese Ungleichbehandlung spiegelt sich auch in diesem Rundgang: Er folgt den Spuren von Denkern weitgehend in der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert, es ist die Zeit einer männerdominierten Wissenschaft.

Hatte eine Frau im Maximilianeum keinen Platz, so stand und steht zumindest eine zentral auf dem Dach - allerdings keine Athene, sondern die Siegesgöttin Nike. Überhaupt ist das Maximilianeum aus heutiger Sicht für eine Bildungseinrichtung auffallend martialisch verziert. So zeigt zwar etwa in der Mitte des Gebäudes halb rechts ein Bild die Gründung der heutigen Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) 1472. Rechts davon aber ist die Befreiung Wiens von den Türken 1683 auf die Fassade gemalt worden, daneben Kriegstrophäen. Denken und Streiten, gerne auch mal handfest, ist damals wohl nicht scharf voneinander zu trennen gewesen. Auch Athene war ja nicht nur Göttin der Weisheit, sondern auch des Kampfes.

Von der Brücke führt der Weg das Hochufer hinauf: links am Maximilianeum vorbei, in der Kurve links ab, dann rechts über die Brücke und steil hinauf zum Standbild Ludwigs II. Der Märchenkönig ist hauptsächlich für seine Traumschlösser in Erinnerung geblieben, drei davon sind als Reliefbilder auf dem Sockel des Denkmals zu sehen, das 1967 der Bildhauer Toni Rückel geschaffen hat. Das vierte Bild zeigt das Festspielhaus, das Gottfried Semper an genau dieser Stelle für den Kini gebaut hätte, wären die Münchner nicht dagegen gewesen. Doch Ludwig II. träumte sich nicht nur in andere Welten, er war auch auf seine Weise wissenschaftsaffin. Sein Puttenschlitten, der im Nymphenburger Marstallmuseum steht, hatte ab 1885 eine batteriebetriebene Glühlampe und war damit das erste elektrisch beleuchtete Fahrzeug mindestens in Bayern, womöglich sogar weltweit. Ludwig II. gründete zudem 1868 die Polytechnische Schule, die heutige Technische Universität; die Amtskette des TU-Präsidenten zeigt sein Konterfei. Die Initiative zur Gründung war freilich schon älter.

Aus dem Park heraus geht es auf die Maria-Theresia-Straße und dort zur Hausnummer 11, zum zweiten Münchner Wohnhaus Wilhelm Conrad Röntgens. Der hat 1901 für die Entdeckung der nach ihm benannten Röntgenstrahlen den allerersten Nobelpreis für Physik erhalten und ist damit Münchens erster Nobelpreisträger, ab 1900 lehrte er an der LMU. Wobei er, als er die Strahlen entdeckte, noch an der Universität Würzburg forschte. Röntgen lebte in diesem Gebäude ab 1919. Zuvor hatte er an der Prinzregentenstraße 61 in der sogenannten Villa Alfons gewohnt: Diese Villa, an welcher der Streifzug auch vorbei führt, ist neulich ins Gerede gekommen, weil sie der flüchtige Wirecard-Mann Jan Marsalek als Treffpunkt genutzt hatte. Röntgen hatte dort einst ausziehen müssen, weil Prinz Alfons von Bayern, der Vermieter, Eigenbedarf anmeldete. Wenig später starb Röntgens Frau. Röntgen selbst starb 1923, in der Inflationszeit, an Unterernährung. Er hatte sich das sparsame Leben selbst auferlegt, um anderen ein Beispiel zu sein. An seinem letzten Wohnsitz weist eine Erinnerungstafel auf Röntgen hin.

Der Streifzug führt nun vorüber an einer der vielen Münchner Hochschulen, in dem Fall an der renommierten IESE Business School, einer Tochter der vom Opus Dei getragenen Universität von Navarra. Über die Prinzregentenstraße geht es nach Bogenhausen: Der Stadtteil geht auf ein Dorf zurück, das bereits im achten Jahrhundert erstmals erwähnt worden ist, weit früher als München. Das heutige Straßenbild vor allem an der Maria-Theresia- und der Möhlstraße prägen jedoch Villen aus der späten Gründerzeit. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert bauten Firmen wie allen voran Heilmann & Littmann in ganz München Wohn- und Geschäftshäuser. Hier am Isarhochufer entstanden repräsentative Anlagen für das gehobene Bürgertum. Die Gegend zog Wohlhabende an, darunter auch Wissenschaftler.

In vielen der Villen wohnten einst auch jüdische Münchnerinnen und Münchner. Nachdem diese in den Dreißigerjahren vertrieben worden waren, zogen führende Nationalsozialisten zu, zuweilen wohnten sie direkt in Häusern von Vertriebenen oder Ermordeten. Im Haus an der Maria-Theresia-Straße 17 etwa, das heute das russische Generalkonsulat beherbergt, wohnte ab 1936 der Münchner Polizeipräsident und spätere General von Polizei und Waffen-SS Friedrich Karl von Eberstein. Die Villa an der Möhlstraße 12a war ab 1941 die Dienstwohnung von SS-Chef Heinrich Himmler. Die Vorbesitzerin Erna Dostler war vermutlich enteignet worden. Der Freistaat Bayern stellte das Gebäude später dem "Zentralkomitee der befreiten Juden in Bayern" zur Verfügung. In der Villa waren dann ein Kulturamt, ein Kindergarten und eine Volksschule untergebracht.

Diesels Mausoleum und die Königliche Sternwarte

Die Siebertstraße hinein geht es zum Hildebrandhaus an der Maria-Theresia-Straße 25, heute Sitz des Literaturarchivs Monacensia. Errichtet 1898, war die Villa des Bildhauers Adolf von Hildebrand ein gesellschaftliches Zentrum, nicht nur, aber auch für die illustre Nachbarschaft. Hier trafen sich Künstler, Komponisten und Literaten, außerdem Prinzregent Luitpold sowie Forscher und Industrielle wie Röntgen und Werner von Siemens.

Zwei Häuser weiter, in der Villa mit dem Jugendstil-Rundturm an der Maria-Theresia-Straße 27, wohnte der Ingenieur Clemens von Bechtolsheim, der heute kaum bekannt ist, einst aber Inhaber von 44 Patenten war. Sein Steckenpferd war die Landwirtschaft. Erfolgreich war er vor allem mit einer neuen Technik für Milchzentrifugen. Seine letzten Jahrzehnte widmete von Bechtolsheim Plänen einer "schreitenden Zugmaschine" für weiche Böden. Zur Marktreife brachte es die Idee nicht.

Wenige Häuser weiter, an der Höchlstraße 2, steht das "Mausoleum" von Rudolf Diesel - so nannte es der Inhaber selbst. Ab 1898 ließ er hier ein kleines Schloss für sich errichten. Den Luxus konnte er sich leisten, die Erfindung des Dieselmotors hatte ihn reich gemacht. Doch nach misslungenen Immobiliengeschäften hatte Diesel Geldsorgen, und mit seinem teuren Haus wurde er nicht mehr froh. 1913 ging er bei einer Schiffsüberfahrt nach Großbritannien über Bord.

An der nächsten Straßenecke lebte früher ein weiterer Nobelpreisträger: der Chemiker Richard Willstätter, der 1915 für seine Erforschung des Chlorophylls ausgezeichnet wurde. Sein Haus ist nicht erhalten geblieben; es wäre das Gegenteil zu Diesels Villa. Willstätter hatte sich an der Möhlstraße 29 ein für diese Nachbarschaft bescheidenes Häuschen errichten lassen. Er floh 1939 vor den Nazis in die Schweiz.

Auf der anderen Seite der Möhlstraße lebte von 1928 an im Obergeschoss der Religionsphilosoph Theodor Haecker. Der Wissenschaftler durfte in der Nazi-Zeit wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Regime nicht publizieren. Er war ein Mentor der Widerständler der "Weißen Rose". Seine Wohnung ist von Bomben zerstört worden. Haecker starb 1945 an seinem Diabetesleiden.

Links hinab geht es nun vorbei an der Villa von Georg Kerschensteiner an der Möhlstraße 39. Der Reformpädagoge lebte hier anfangs auf einer Baustelle mit notdürftig verrammelten Türen und Fenstern. Seine Doppelvilla war im November 1897 bezugsfertig, Kerschensteiner musste aber schon im September hinein, weil er seine alte Wohnung gekündigt hatte. Zwei Jahre zuvor hatte der Münchner Magistrat den Mathematiklehrer zum Stadtschulrat ernannt. Als solcher führte er unter anderem eine praxisorientierte Berufsschule ein, mit hauptamtlichen Lehrern und eigenen Werkstätten. Damals war das neu.

Links ab in die Neuberghauser Straße naht das Ende des Streifzugs: der Friedhof an der Georgskirche. Hier sind einige Wissenschaftler versammelt. Gleich der erste Grabstein links gehört etwa dem Astronomen Johann von Lamont, der die "Königliche Sternwarte zu Bogenhausen" ab 1835 weltberühmt gemacht hat. Diese wurde 1938 in die LMU eingegliedert, als Sternwarte ist sie längst nicht mehr in Betrieb.

An der Außenmauer des Friedhofs entlang geht es nun vorbei am Grab von Liesl Karlstadt und auch an dem von Lamonts Nachfolger Hugo von Seeliger hin zum Kirchturm. Der Streifzug auf den Spuren von Forschern, die bis hierher alle Männer waren, und der mit einer Statue der Athene begonnen hat, der Göttin der Weisheit und des Kampfes, soll mit einer Frau schließen, die zeigt, dass Krieg und Weisheit nicht notwendigerweise zusammengehören - aber Wissenschaft und Verantwortung.

Neben einer Bank endet der Rundgang am Grab von Freda Wuesthoff. Die promovierte Physikerin wurde 1927 zur ersten deutschen Patentanwältin. Sie engagierte sich in der Frauenbewegung und war eine der Gründerinnen der organisierten Friedensbewegung, warnte unter anderem vor den Gefahren der Kernkraft. Sie kam viel zu früh ums Leben. 1956, mit 60 Jahren, rutschte sie auf dem Weg zu einem Vortrag gegen Atombombenversuche aus und brach sich dabei den Arm. Sie starb an einer Embolie.

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