SZ-Serie: Streifzüge durch die Stadt:Zwischen Weißwurst und Glühsake

Lesezeit: 7 Min.

Was wäre München ohne seine Wurstküche? Selbst in Corona-Zeiten gibt es in der Gaststätte Großmarkthalle jedenfalls "Weißwurst to go". (Foto: Gino Dambrowski)

Wer sich auf einen kulinarischen Spaziergang begibt von der Großmarkthalle bis zum Tor des Eustachius, findet auf dem Weg alles: von der handfesten Arbeiterkost bis hin zur exquisiten Menübox - auch während der Corona-Zeit.

Von Franz Kotteder

Haben schon lustige Ideen manchmal, die Kollegen: Ein "kulinarischer Spaziergang" soll es sein, mitten in der Corona-Zeit, in der alle Gaststätten notgedrungen zu haben. Andererseits: Blüht nicht gerade im Lockdown das "To-go"-Geschäft zu vorher nie gekannter Größe auf, und hat "to go" nicht definitionsgemäß viel mit Spazierengehen zu tun? Schon wahr. Und ein weiterer Vorteil drängt sich auf. Man würde nämlich nicht sehr weit kommen, würde man überall dort, wo es etwas Lohnendes zu trinken, zu essen oder auch nur zu schnabulieren gäbe, kurz Station machen, um zu genießen. Da wäre man schnell besoffen oder ziemlich bald pappsatt und müsste platzen.

Dann doch lieber jetzt kulinarisch durch München wandern. Es gibt auch da viel zu sehen und zu erleben, selbst in den Zeiten der Pandemie.

Es gibt gleich zwei gute Gründe, diesen Spaziergang bei der traditionsreichen Gaststätte Großmarkthalle an der Kochelseestraße 13 zu beginnen. Normalerweise hat sie schon sehr früh am Morgen auf, weil sie in erster Linie für die Arbeiter und Händler in der Großmarkthalle gedacht ist, die ja zusammen mit dem Schlachthof so etwas wie der Bauch von München ist.

Der Ruf ihrer Gaststätte ist bestens. Hier wirkten schon Wirtelegenden wie der am Montag mit 90 Jahren verstorbene Richard Süßmeier, seines Zeichens einst Sprecher der Wiesnwirte. Natürlich hat die Gaststätte zu wegen Corona, aber vormittags gibt es einen Straßenverkauf. Zwischen acht und elf Uhr hat man warme Wurst im Angebot (donnerstags bis samstags, ab 15. Dezember täglich), und damit sogar "Weißwurst to go". Das ist erwähnenswert, denn nach Ansicht vieler erfahrener Münchner macht Wirt Ludwig Wallner die besten Weißwürste der Stadt. Eigentlich ist die Weißwurst ja das ideale To-go-Gericht, schließlich darf man sie ganz hoch offiziell aus ihrer Haut herauszuzeln.

Das tut man am besten, während man in Richtung Thalkirchner Straße geht, denn die Großmarkthalle ist eigentlich nicht zum Besichtigen gedacht. An der Thalkirchner Straße geht es nach rechts. Auf der anderen Seite sieht man schon das Saluki, ein lustiges Lokal für überwiegend jüngere Kundschaft, das Crossover-Küche zwischen Italien und Asien anbietet, dazu Craft Beer von Tilmans Biere. Derzeit gibt es dort "Naturwein to go", stolze 50 Sorten. Der benachbarte dreieckige Platz stellt eine Besonderheit dar. In seinen eingeschossigen Läden und Lokalen findet man zum Beispiel einen sehr guten türkischen Fischhändler namens Bizim Balikci, und die Trattoria von Gennaro Bussone ist längst eine Münchner Institution und weithin bekannt für ihre Pizzen und auch die Pasta.

Zugegeben, das Foto ist schon ein paar Jahre her. Sobald die Corona-Krise um ist und Wirt Gennaro Bussone seine Trattoria wieder aufsperren darf, dürfte die Stimmung aber wieder ähnlich gut sein. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Metzger Magnus Bauch ist bekannt für seine Weißwürste

Die Thalkirchner Straße verläuft in Richtung Altstadt jetzt recht verwinkelt, am Eingang zur Großmarkthalle vorbei (samstagvormittags stehen immer lange Schlangen an, hier ist eine Ausgabestelle der Münchner Tafel) und nach der ersten Unterführung gleich rein in Richtung Alte Utting. Der Dampfer auf der Eisenbahnbrücke hat geschlossen, normalerweise ist er sehr beliebt zum Brunchen und bei der Veganerfraktion, denn neben den Szeneküchenklassikern wie Pizza und Burger gibt es hier auch Veganes aus der Küche des Siggis, das eigentlich in der Buttermelcherstraße beheimatet ist.

Folgt man der Thalkirchner Straße nach der Unterführung in Richtung Norden, so kommt man am Laden des Metzgermeisters mit dem schönen Namen Magnus Bauch vorbei. Er hat ebenfalls eine große Fangemeinde, was seine Weißwürste angeht, und ist überhaupt ein interessanter Mensch. Seit 1974 verheiratet mit einer Indonesierin aus Bali, hat er dort auch ein Fünf-Sterne-Resort am Strand gebaut - und eine katholische Kirche gestiftet. Beim Bauch könnte man also nicht nur eine Leberkässemmel erstehen, sondern auch Urlaub machen und beten. Vielleicht sogar, wie der Stifter, heiraten?

Magnus Bauch (Mitte) im Kreise seiner Lehrlinge - auch dieses Bild ist schon etwas älter, auf die Weißwürste des Metzgermeisters trifft das allerdings nicht zu, so viel Zeit lässt man ihnen nicht. (Foto: Stephan Rumpf)

Von der Thalkirchner Straße biegt man links in die Zenettistraße ein, viele Gebäude stammen noch aus der Zeit zwischen 1876 und 1878, als Arnold von Zenetti hier den Schlacht- und Viehhof in der charakteristischen Ziegelbauweise errichtete. Zu beiden Seiten der Straße finden sich hier große Innenhöfe. Linkerhand geht es zum Monti Monaco - ein Restaurant, das man gemeinhin unter dem Signum "Nobelitaliener" führt. Außerdem finden sich hier große Fischhändler wie Papazof und Moby Dick, die den ehemaligen Viehhof, der sich hier befand, fast zu so etwas wie dem Hafen der Stadt machen, wenn man schon von der Großmarkthalle als ihrem Bauch spricht. Und dann befindet sich hier noch der Laden der Metzgerei Gaßner, ebenfalls sehr bekannt für - na, was wohl? - ihre hervorragenden Weißwürste. Inhaber Andreas Gaßner sitzt im Vorstand der Metzger-Innung, und in seinem Marktstüberl findet jedes Jahr die traditionelle Weißwurstprüfung der Innung statt.

Direkt nebenan erhebt sich das gewaltige Bühnenhaus des neuen Volkstheaters, das schon ziemlich fertig aussieht, auch wenn man bei der weißen Außenhülle mit ihren Noppen irgendwie sofort an eine eklige Hautkrankheit denkt. Da lenkt man den Blick doch lieber zur anderen Seite der Straße, zum ehemaligen Direktionsbau des Schlachthofs. Dort - Stichwort Hafen - befindet sich das Restaurant Atlantik Fisch. Das hat ein manchmal arg neureiches Publikum aus der Bussi-Etage, dafür aber ganz hervorragende Fischgerichte auf der Karte. Wirt Peter Feigl macht sich große Sorgen, den Lockdown finanziell nicht zu überleben, momentan hält man sich mit Adventsmenüboxen über Wasser. Wäre schade, wenn diese Luxusyacht der Münchner Fischereiflotte unterginge.

Man könnte nun weiter in den Hof vordringen. Östlich vom Eingang befindet sich das "Frischeparadies" mit Delikatessen, für die auch zahlreiche Gastronomen hierherkommen, und "Münchens größte Fischtheke". Aber das kleine Bistro des Feinkostgeschäfts hat derzeit ja zwangsweise geschlossen, also weiter auf der Zenettistraße Richtung Westen. Gleich nach der Tumblingerstraße sieht man linkerhand ein äthiopisches Restaurant. Hier befand sich bis vor ein paar Jahren die Gastrolegende Italfisch. Der Name sagte schon, worum es ging: Fisch und Meeresfrüchte auf Italienisch. Inhaber Sergio Antichi eröffnete es in den Sechzigerjahren und gründete zusammen mit Carmine Broccida, dem Inhaber der Ischia-Restaurants, den Unterstützungsverein Brigata Mangareccia. Sie holten Kellner und Köche aus Italien nach München, sorgten für Unterkunft und soziale Kontakte und leisteten so einen wesentlichen Beitrag dazu, München zu einer Hochburg der Italianità in ganz Deutschland zu machen.

Ein paar Häuser weiter, kurz vor der Lindwurmstraße, befindet sich die Bierkiste. Ein Getränkemarkt, der vor allem, aber nicht nur, Craft Beer im Angebot hat. Max Heisler und Tilman Ludwig, die in der Thalkirchner Straße auch die Craft-Beer-Kneipe Frisches Bier betreiben, haben die Bierkiste eröffnet, "weil man einen Getränkemarkt auch im Lockdown öffnen darf", so Heisler im Sommer bei der Eröffnung des Ladens. Gut vorausgedacht!

Die Bierkiste liefert in Corona-Zeiten auch nach Hause. (Foto: Gino Dambrowski)

An der Lindwurmstraße geht es nach rechts und dann lange, sehr lange, geradeaus. Auf dem Weg zum Sendlinger-Tor-Platz kommt man am Restaurant Ederer vorbei, das gerade vom neuen Gault&Millau mit 16 von 20 möglichen Punkten und zwei Hauben ausgezeichnet wurde. Zurzeit gibt es dort einfache Gerichte zum Abholen, aber auch Eingemachtes von der Fischsuppe bis zum Gulasch im Glas.

Am Goetheplatz stößt man auf eine weitere kulinarische Legende, wenn auch der etwas einfacheren Art, den "Würstlkönig" von Johann Iser (Lindwurmstraße 77). Der gebürtige Salzburger briet hier 30 Jahre lang seine Salzburger Bosna, die österreichische Variante der Currywurst, seit etwa zwei Jahren hat er nur noch sein fast ebenso berühmtes Grillsandwich im Angebot, wahlweise mit Tsatsiki, Salsa oder der "Jahrhundertsauce", einer Eigenkreation mit viel Curry.

Mhmmm, Jahrhundersauce! Derlei Kulinarik gibt es beim Würstlkönig am Goetheplatz. (Foto: Gino Dambrowski)

Der Rest der Lindwurmstraße bietet eine Mischung an einfacheren Lokalen, oft mit Imbisscharakter. Biegt man am Sendlinger-Tor-Platz dann nach rechts in die Müllerstraße und damit ins Glockenbachviertel ab, so ist auch der letzte Industrial-Charme der Großmarkthallengegend mit ihrem leichten Hauch von Bronx verflogen. Wo wir nun sind, da herrscht auch kulinarisch unverkennbar der Geist der Gentrifizierung. Szenige Asiaten, schicke Bars, coole Cafés und Bistros mit Tapas oder Cicchetti findet man da an allen Ecken.

Um zum Viktualienmarkt zu gelangen, biegen wir in die Angertorstraße ein, überqueren die Straße beim Marionettentheater und folgen dann der Blumenstraße. Kurz vor dem Markt stößt man auf den italienischen Feinkosttempel Eataly in der Schrannenhalle. Auch er hat geöffnet, wegen des Einzelhandels, es gibt auch frisch Gekochtes zum Mitnehmen, klar. Bis zu Corona lebte das Eataly ja hauptsächlich von seiner Gastronomie. Was den Hunger nach Italienischem angeht, kennt München offenbar keine Sättigungsgrenze.

Der Viktualienmarkt muss an dieser Stelle kulinarisch nicht neu erfunden werden, weshalb wir von dort in die Westenriederstraße abbiegen. Hier befand sich früher der Fischmarkt der Stadt. An der Ecke zur Sterneckerstraße hat der Fernsehkoch Hans Jörg Bachmeier vor Kurzem seine "Genussfreuden" eröffnet und jetzt kleine Gerichte und Sushi zum Abholen auf der Karte. Außerdem befindet sich hier das Bier- und Oktoberfestmuseum (derzeit leider ebenfalls geschlossen).

Über das Tal und die Sparkassenstraße kommt man zum Zerwirkgewölbe, einem der ältesten Gebäude der Stadt und früher das Haus, in dem das Wildbret der fürstlichen Jäger zerlegt und weiterverarbeitet wurde. Ein schmaler Durchgang führt von dort zur Burgstraße und weiter zur Weinstraße. Statt nach rechts zum weltbekannten Feinkosthaus Dallmayr wenden wir uns nach links. Dort ist der Eingang zum "Umai Streetfood Market", wo der Zwei-Sterne-Koch Tohru Nakamura derzeit japanische Burger und Glühsake verkauft. Der Innenhof ist obendrein höchst sehenswert: Er ist ganz typisch für die alten Bürgerhäuser Münchens zur Zeit der Renaissance.

Übergangsweise: der "Umai Streetfood Market" im Innenhof der Burgstraße 5. (Foto: Gino Dambrowski)

Am Marienplatz und drumherum ist die Stadt voll von sattsam bekannten, gastronomischen Einrichtungen. Deshalb nur kurz ein Blick in Wildmosers Restaurant-Café direkt gegenüber dem Rathaus. Hier befand sich früher das Gasthaus Zum Ewigen Licht, angeblich die Geburtsstätte der Münchner Weißwurst (da ist sie wieder). Es scheint sich da aber nur um eine schöne Legende zu handeln. Die Fußgängerzone selbst ist kulinarisch mäßig interessant, abgesehen vom Stammhaus der Augustinerbrauerei, das bis heute die Gestalt eines klassischen Bierlokals aus der Prinzregentenzeit bewahrt hat und im ersten Stock auch noch die aufwendig renovierten Wagner-Salons enthält.

Der frisch renovierte Wagner-Salon im Stammhaus der Augustinerbrauerei an der Neuhauserstraße. (Foto: Sebastian Gabriel)

Von hier aus ist man gleich am Stachus. Der war angeblich früher mal der verkehrsreichste Platz Europas. Doch während andere berühmte Plätze nach Schauplätzen von Schlachten (Trafalgar Square, London) oder anderen Merkmalen (Roter Platz, Moskau) benannt wurden, stand hier ein Gastwirt Pate: Eustachius Föderl, der 1728 dort eine Wirtschaft hatte, wo heute der Kaufhof steht. Besser als hier lässt sich ein kulinarischer Spaziergang durch München wohl kaum beschließen.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es am Schluss vergleichend, der Rote Platz in Moskau sei "nach politischen Programmen" benannt. Das stimmte so nicht. Jener gewaltige Platz hieß nach einer gängigen Deutung ursprünglich einfach "Schöner Platz". Später hat sich dann die Wortbedeutung "Roter Platz" durchgesetzt. Ganz ohne politischen Bezug.

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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