Egal, von wo man herkam, in der guten alten Zeit vor Corona war schon von Weitem die Musik zu hören, die von den Zelten und den Open-Air-Bühnen den Münchner Sommerabend erfüllte. Bald waren die Lichter zu sehen, die farbig illuminierten Zeltdächer, die Lampions der Bars, die das Laub bunt schillern ließen, die Kerzen an den Verkaufsbuden, die Bühnenscheinwerfer. Und es war eine Verheißung: Hey, jetzt mach dich mal locker, trink einen Caipi, hör den Bands zu, quatsch mit den Leuten und kauf irgendeinen Krimskrams, den du nie brauchen wirst!
Seit 1988, seit es das Tollwood-Festival gibt, gehört es zum Standardrepertoire des Münchner Grantlers, den Öko- und Eso-Jahrmarkt entweder zu provinziell oder zu kommerziell, in jedem Fall aber doof zu finden. Kaum aber geht es los, sind doch wieder alle da. Nur in diesem Sommer nicht. Tollwood fällt aus, genau so wie die Wiesn. Und so wie die Theresienwiese ohne Wiesn den Anblick eines der Verwüstung preisgegebenen Bauerwartungslandes bietet, so ist auch das Tollwood-Gelände ohne Tollwood bestürzend öd und eintönig - jedenfalls auf den ersten Blick. Es hat den Anschein, als würden Gräser, Blumen und Unkraut, die ringsum ungeniert wuchern, nicht das Geringste mit Tollwood zu tun haben wollen.
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Zugegeben, ein paar mickrige Grasbüschel wachsen da schon, aber im Wesentlichen führt der Tollwood-Gedächtnis-Spaziergang über Kies und groben Sand. Und seltsam: Beim Bummel während des Festivals kommt einem das Gelände ziemlich groß vor, vielleicht weil man an jedem zweiten Stand hängen bleibt oder man mehrmals im Kreis geht, ohne es zu merken. Im Rohzustand aber erscheint das Areal ziemlich klein und somit gerade recht für die fünf krummbeinigen Schoßhündchen, die gerade mit zwei älteren Frauchen über die Sandpiste wackeln. Und obwohl die unvermeidlichen Radler und Jogger auch hier eine sportliche Note anklingen lassen, hat dieses Gelände in seiner staubigen Schlichtheit etwas ungemein Beruhigendes.
Es gibt nichts zu sehen und zu bestaunen, man ist ganz bei sich, ganz mit sich allein, was eine gute oder eine schlechte Gesellschaft sein kann. Aber halt: So ganz stimmt das nicht. Da ist noch die verwunschene Eremiten-Klause des Väterchen Timofei, deren wildromantische Versponnenheit etwas komplett Unwirkliches hat, sodass man meinen könnte, von den Joint-Schwaden früherer Tollwood-Abende beduselt zu sein. Aber nicht doch! Die Timofei-Oase gibt es wirklich. So wie es auch das Väterchen Timofei gab. Und das Tollwood-Festival.