Münchner Spaziergang:Lebenszeichen in der Leere

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(Foto: Florian Peljak)

Man liest jetzt aufmerksamer die Zettel, die an Pfosten und Türen und alten Telefonzellen kleben, die Corona-Lebenszeichen, während allerorten Stille herrscht.

Kolumne von Anna Hoben

Vom Home-Office aus kann man dem Eichhörnchen beim Turnen im Baum zusehen und manchmal dem Specht beim Klopfen. Eines Tages lugt aus der Spechthöhle ein kleines Fellgesicht, das große Eichhörnchen springt geschäftig drumherum. Es hat jetzt Familie und ist offenbar umgezogen.

Spazierengehen ist zum Glück erlaubt, also raus ins eigene Viertel, das man gerade noch einmal neu entdeckt. Vorbei an der Agilolfinger-Grundschule in Untergiesing, wo kein Kind ein- und ausgeht, und an der Baustelle des sozialpsychiatrischen Zentrums, wo Bauarbeiter ein bisschen Normalität vermitteln. Vorbei am Fußballplatz, auf dem niemand spielt - kein Fußballer, nirgends. Kleiner Abstecher zum Fitnessparcours. Wo sonst Muskeln flattern nach sportlicher Anstrengung, flattern Absperrband und laminierte Verbotszettel. Ein Stück weiter turnt ein junger Mann an einem Baum. Am Baum hängt kein Verbotsschild.

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Dackelt man gemächlich durch das Dreimühlen- und das Schlachthofviertel, dann fällt einem auf: Irgendwie ist alles wie immer - und doch anders. Aber nicht unbedingt schlecht.

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Unten an der Isar schaut man jetzt besser einmal zu oft links, rechts, links, bevor man sich durch den Fahrradstrom hindurch wagt. An der Braunauer Eisenbahnbrücke hat sich ein Sprayer mit dem Schriftzug "Wirus" verewigt. Ob der schon vor Corona da war? Ist einem jedenfalls nie aufgefallen. Etwas stadteinwärts sammelt unten am Fluss ein Mann Flaschen, er ist einer der wenigen, die mit Mundschutz und Handschuhen unterwegs sind.

Ein Security-Mensch geht zu einer Frau, die an einen Baum gelehnt ein Buch liest. "Maximal zehn Minuten", sagt er, während sein Kollege einem kleinen Jungen erst den Fußball zuschubst und dann eine Weile mit ihm darum kämpft, geschätzte Distanz: 20 Zentimeter. Zurück ins Wohnviertel, wo an einer Haustür ein Hilferuf klebt, der hoffentlich von den Nachbarn sehr ernst genommen wird: "Ich habe nichts mehr zum Lesen. Kann mir jemand Bücher leihen? Am liebsten Krimis. Danke (...) 3. Stock."

Man liest jetzt aufmerksamer die Zettel, die an Pfosten und Türen und alten Telefonzellen kleben, die Corona-Lebenszeichen. Dazu gehört auch ein Regenbogen in einem Fenster in der Konradinstraße (), gemalt von einem Kind, das anderen signalisiert: Hey du, ich bleibe auch zu Hause. Dennoch: Die Menschen, sie fehlen. Der Mann, der sonst oft mit seinem Rollator an der U-Bahn-Station Candidplatz sitzt und immer so nett grüßt - er ist nicht mehr da. Geht es ihm gut?

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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