Münchner Spaziergang:Geschlossener Kraftort

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(Foto: N/A)

Jeder Mensch sollte sich einen Platz überlegen, einen Platz, an dem er verschont bleibt von allem. Vor allem von dem bösen C-Wort

Kolumne von Stephan Handel

Es geistert ja jetzt überall dieses Bild herum von einer Firma, die in ihren Räumen ein "Novid-Zimmer"eingerichtet hat; in das kann man gehen, um mit Kollegen zu plauschen, Pause zu machen, einen Kaffee zu trinken. Zwei Regeln gelten dort: 1. Es ist verboten, über das böse C.-Thema zu reden. 2. Wer über das böse C.-Thema redet, muss den Raum verlassen. Ist das nicht schön? Sollte sich nicht jeder Mensch so einen Platz überlegen, einen Platz, an dem er verschont bleibt von allem, eine kleine Flucht, ein Ziel, das esoterisch anfällige Leute vielleicht einen Kraftort nennen würden?

Es gibt so einen Ort, einen versteckten, fast geheimen, obwohl er öffentlich ist, aber kaum jemand "hat ihn auf dem Zettel", wie man heute so sagt. Um dorthin zu gelangen - grobe Richtung Flaucher, Au, Untergiesing -, muss man aber erst einmal durch die Innenstadt, per aspera ad astra quasi, durch das Raue zu den Sternen. Das Raue fängt schon mal lustig an: Am Oberanger weist ein Barbesitzer auf die Schließung seiner Bar durch einen schlichten Zettel im Fenster hin, auf dem steht: "Gone Fishing". Das wäre ja vielleicht nicht das Schlechteste: einfach Angeln gehen, bis der ganze Wahnsinn vorbei ist. Er aber, der Wahnsinn, drängelt sich gleich wieder vor, am Denkmal für Kurt Eisner steht sein Zitat "Ein jedes Menschenleben soll heilig sein", da fallen dem Spaziergänger gleich ein paar Mitmenschen ein, denen man diesen Satz mal um die Ohren hauen sollte, bildlich gesprochen natürlich.

Bemerkenswert, was es mittlerweile alles to go gibt - in der Fraunhoferstraße zum Beispiel Gin Tonic, get drunk while walking. Das kommt für die zahllosen Radfahrer und Jogger auf der Reichenbachbrücke und am Flaucher natürlich nicht infrage, sieht so aus, als würden Betriebsschließungen und Kurzarbeit doch einen Beitrag zur Volksgesundheit leisten. Ein griechisches Lokal empfiehlt seine Speisen per Außentafel mit dem sinnigen Spruch: No to Virus, Yes to Gyros.

Nun aber nähert sich das Ziel des Marsches: Der Rosengarten, der vielleicht unbekannteste Park der Stadt, dafür umso schöner zum Auftanken, Ruhe finden, Virus vergessen, Gyros verdauen. Da, das Tor - aber, oje: Der Garten ist geschlosssen, die Wege sind zu schmal, da freut sich das böse C. und springt munter von Gast zu Gast. Kein Novid-Park also, leider. Die Kraft muss woanders gefunden werden.

© SZ vom 07.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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