Neues Sternerestaurant:Der Koch, der fast alles alleine macht

Sternekoch Jürgen Wolfsgruber in seinem Restaurant "Sparkling Bistro" in München.

Seit Dienstag ein Sternekoch: Jürgen Wolfsgruber.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Jürgen Wolfsgruber hat fünf Jahre lang das "Sparkling Bistro" in München aufgebaut - als Koch, Gastgeber und Sommelier. Nun wurde er erstmals vom Guide Michelin ausgezeichnet.

Von Franz Kotteder

Manchmal bringt die Gastronomie ja Geschichten hervor, die möchte man nicht für möglich halten. Dass einer zum Beispiel als einsamer Wolf einen Stern in der Gourmet-Bibel Michelin erkocht - das hält man für unmöglich. Zu hoch sind die Ansprüche der Tester. Da braucht es normalerweise eine ganze Küchenbrigade und noch ein paar Leute im Service, die ihr Handwerk so ziemlich perfekt beherrschen, sonst geht das nicht. Geht aber doch. Der einsame Wolf heißt in diesem Fall Jürgen Wolfsgruber und steht im Restaurant Sparkling Bistro in der Münchner Amalienpassage, dritter Innenhof rechts, am Herd.

Aber nicht nur am Herd, das ist nur ein Clou an der Sache. Der 33-Jährige ist auch der Gastgeber und der Sommelier. Gut, seit zweieinhalb Jahren hat er auch Hilfe in der Küche. Aber das war es dann in der Regel schon. Und damit hat er jetzt gerade seinen ersten Stern errungen. Die große Galaveranstaltung am Dienstagabend in Hamburg fiel zwar coronabedingt aus, aber der Stern bleibt ihm natürlich. Und hier stimmt es nun einmal wirklich, dass der Stern dem Koch verliehen wird, und nicht dem Restaurant und damit einem ganzen Team, wie es die Statuten des Michelin eigentlich vorsehen.

Nun ist es an und für sich noch kein Grund für eine besondere Auszeichnung, wenn einer fast alles alleine macht. Er muss es dann schon auch noch in auffallender Weise besonders gut machen. Bei Wolfsgruber bedeutet das: Er macht auf der Grundlage klassischer Haute Cuisine vieles komplett anders als andere und legt großen Wert auf ein hervorragendes, oft auch außergewöhnliches Produkt, das er in den Mittelpunkt eines Gerichts stellt und mit ein paar weiteren Zutaten gewissermaßen umspielt. Unter Verzicht auf den ganzen Chichi mit Schäumchen und Gelees, die in der Fine-Dining-Küche gern einmal zum Einsatz kommen. Zugleich aber auch mit großem Gespür für Nachhaltigkeit.

Der vorletzte Gang im aktuellen Menü heißt zum Beispiel: "Nierenzapfen vom Murbodner Rind / Gänseleber / Artischocke / Maulbeere" und besteht aus einem gemeinhin unterschätztem Stück Rindfleisch aus dem Bauchbereich des Tieres, oft auch "Onglet" oder "Hanging Tender" genannt, und das Murbodner Rind ist eine besondere Rasse aus der Steiermark und Niederösterreich. Auch die Leber ist etwas Besonderes. "Ich nehme keine Gänsestopfleber", sagt Wolfsgruber, "das ist eine normale frische Gänseleber, die wird einfach mit Gänseschmalz aufgezogen und schmeckt eins zu eins wie eine Stopfleber, schaut auch so aus, ist nur ein bisschen dunkler."

Mit solchen Details von Gerichten kann er sich lange beschäftigen und sie bis zur Perfektion treiben. Was man besonders bei den Saucen merkt - die, ohnehin eine der Königsdisziplinen der gehobenen Küche, sind bei ihm fast immer ein Highlight. Da nimmt man es ihm dann auch nicht krumm, wenn sich das "Dreierlei vom Lamm" als Kombination von Hirn, Hoden und Bries entpuppt. "Das kann man den Leuten nur so verkaufen", sagt er, "anders würden sie es nicht einmal probieren. Und das wäre doch schad'."

Stimmt. Wobei jetzt nicht der Eindruck entstehen sollte, dass Wolfsgruber nur abgefahrene Außenseiterstücke auf den Teller bringt. Gewiss nicht. Die klassische Forelle oder den Steinbutt gibt es natürlich genauso. Nur eben ein kleines bisschen anders behandelt, als man es so kennt.

Geboren und aufgewachsen ist der gebürtige Österreicher in Gmunden im Salzkammergut. Mit zwei, drei Jahren, so geht die Sage in der Familie, habe er schon alle terrorisiert, indem er mit Kochlöffeln auf die häuslichen Kochtöpfe eindrosch. Und im Fasching ging er schon als Koch. Das war eigentlich die einzige Beziehung, die er zum Kochen hatte. Aber daran erinnerte sich der Lebensgefährte seiner Tante, als Jürgen Wolfsgruber 15 war und eigentlich nach der Volksschule auf die Fachschule für Elektronische Datenverarbeitung gehen wollte.

Die Tante und ihr Freund nahmen ihn 2002 eines Tages mit zum Schlosshotel Mondsee, wo der damals sehr bekannte österreichische Haubenkoch - eine Art Pendant zum hierzulande üblicheren Begriff "Sternekoch" - Jürgen Grabner das Regiment führte und luden ihn zum Essen ein. Das gefiel Jürgen Wolfsgruber, und als Grabner ihm ein zweitägiges Praktikum anbot, war er bereits genügend angefixt. Im Praktikum musste er zwar nur vier Kisten Lauch kleinschnippeln, aber am Ende bot ihm Grabner einen Lehrvertrag an: "Da traute ich mich schon gar nicht mehr, nein sagen."

Sein Antrieb: Die Suche nach dem Neuen

War wohl gut so. Die Lehre war umfassend, die Azubis durften viel ausprobieren und machen, und nach zwei Jahren schon meldete sich Jürgen zur Abschlussprüfung an, obwohl die erst nach drei Jahren Lehre vorgesehen war: "Mir war einfach langweilig geworden." Er bestand dann sogar mit Auszeichnung, nur beim Blätterteig, sagt er, wusste er ein Detail nicht. Der Prüfer drückte aber ein Auge zu, "und Backen ist heute noch nicht meine Stärke".

Der weitere Lebenslauf liest sich fast so, als habe da jemand mal schnell ein paar große Namen zusammengewürfelt. Ein Jahr arbeitete er im legendären Restaurant El Bullì im Baskenland bei Ferran Adrià, ein weiteres im ebenso legendären Fat Duck des englischen Meisterkochs Heston Blumenthal in London. Wolfsgruber hängt das nicht so hoch, wenn man ihn fragt, wie er es dorthin geschafft habe und was es ihm gebracht habe. "Mit Empfehlungen vom Chef und anderen ging das schon, die kannten sich ja alle untereinander", sagt er. Und natürlich sei es schon spannend gewesen, bei diesen Größen zu arbeiten, "auch wenn man da nur eine kleine Nummer ist und praktisch nichts Eigenständiges macht, sondern nur ausführt".

Entscheidender seien dann doch, nach dieser Zeit, die ersten Positionen als Küchenchef gewesen, im Schlosshotel Freisitz Roith am Traunsee, im Salzburger Schmederer und im Ritterstern Schloss Münichau bei Kitzbühel. Dann sagt er den Satz, der seine Küchen-Philosophie am besten beschreibt: "Interessanter als bei anderen hinzuschauen und zu sagen: ,Was kocht denn der? Das koch ich auch!', ist doch, sich die Frage zu stellen: ,Was gab's denn noch nie?'"

Genau das zu kochen war dann sein Antrieb, als er 2015 beschloss, nach München zu gehen und sich dort mit einem Restaurant selbständig zu machen, mit dem Sparkling Bistro. Die Räumlichkeit gehört noch immer zur Eichbauer-Gruppe, die auch das Tantris betreibt; früher war dort die Bistro Terrine, das als "kleines Tantris" galt und auch schon einen Stern hatte. Als die Bistro Terrine schließen musste, gab es zwar einen Nachmieter, der aber bald Insolvenz anmelden musste.

Wolfsgruber fand die Räume passend für sein Konzept und wählte einen Namen, der einerseits ein wenig auf die glorreiche Vergangenheit anspielte und andererseits auch dem Umstand Rechnung trug, dass er anfangs eine sehr breites Angebot an Champagner auf der Karte hatte. "War eher ein Irrweg", sagt Wolfsgruber heute.

Nach Irrweg sah auch sein Konzept aus, jedenfalls, wenn man damit einen Businessplan hätte schreiben sollen. Er bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Wir haben keine Karte, wir machen das, worauf wir Lust haben, wir diskutieren nicht rum, wir bleiben klein, weil Personal ein Problem ist." Zweieinhalb Jahre lang machte er alles selbst - kaufte ein, kochte, bediente, putzte, sechs Tage die Woche inklusiveMittagsgeschäft. Dann rief er seinen alten Bekannten Herbert Hojak in Salzburg an und sagte, er brauche eine Küchenhilfe. Der sagte nur: "I überleg's mir" und legte auf. Fünf Tage später stand er mit zwei Koffern vor der Tür und fragte: "Wo wohn' i?"

Herbert Hojak ist immer noch da, "der loyalste Mensch, den man sich vorstellen kann". Wolfsgruber bereitet alles vor, damit er möglichst wenig selbst kochen muss, wenn die Gäste da sind, Hojak komplettiert die einzelnen Gerichte. Währenddessen hat der Chef Zeit, den Gästen zu erklären, warum die Gerichte exakt so sein müssen, wie sie sind, und welcher Wein der richtige dazu ist.

Und Geschichten gibt es viele zu erzählen, das ist klar. Zum Beispiel über den ein Jahr lang eingelegten Sellerie auf dem Teller, den er mit Kaviar und wie Trüffel fein gehobeltem Thunfischherz kombiniert. Ja, genau: Thunfischherz. Eine Delikatesse, auf die ihn im Urlaub ein sardischer Fischer gebracht hat. Das Herz eines Thunfischs, so um die zweieinhalb Kilo schwer, wird mindestens drei Wochen lang in Salz eingelegt und anschließend, wenn es die Konsistenz von Schinken bekommen soll, noch mindestens zwei Wochen bei 21 Grad kaltgeräuchert. Wolfgrubers Großvater, ein Spezialist im Fermentieren und Räuchern, hilft ihm bei solchen Dingen.

Das Ergebnis sind dann Gerichte, die es so sonst noch nicht gab. Und wenn man lange genug daran hinarbeitet, wird also sogar ein richtiger Stern daraus.

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