München:Spannung vor der Premiere

München: Testlauf für die Online-Präsenz: Der Bezirksausschuss Berg am Laim hat seine Juli-Sitzung 2020 mit einer Kamera (rechts im Bild) aufgezeichnet, um zu dokumentieren, dass ein Videostream möglich ist. Die Stadt zeigt sich offen für die Technik - doch die Gremien müssen die Kosten selbst stemmen.

Testlauf für die Online-Präsenz: Der Bezirksausschuss Berg am Laim hat seine Juli-Sitzung 2020 mit einer Kamera (rechts im Bild) aufgezeichnet, um zu dokumentieren, dass ein Videostream möglich ist. Die Stadt zeigt sich offen für die Technik - doch die Gremien müssen die Kosten selbst stemmen.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Viele Bezirksausschüsse wollen ihre Sitzungen live im Internet übertragen, einen ersten Versuch startet am Dienstag das Gremium in Schwabing-Freimann. Die technischen, finanziellen und datenschutzrechtlichen Hürden sind enorm

Von Lea Kramer und Stefan Mühleisen

Patric Wolf hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun, eine Premiere hinzubekommen, die auch eine Pionierleistung für alle Münchner Bezirksausschüsse (BA) sein wird: Höchstwahrscheinlich wird jedermann die Sitzung des Gremiums für den Bezirk Schwabing-Freimann am Dienstag, 23. Februar, live per Videostream von 19.30 Uhr an auf der Videoplattform Youtube verfolgen können. "Ich habe mich da reingefuchst", sagt der CSU-Politiker und Gremiumsvorsitzende. "Wenn es irgendwie geht, werden wir streamen."

Damit würden die Schwabinger und Freimanner Politiker einen neuen digitalen Standard der Stadtviertelpolitik setzen, der in den Bezirken schon lange erwogen, bisher aber nicht durchgezogen wird. Denn in der Corona-Pandemie fordern immer mehr Lokalpolitiker, mit Sitzungen als Livestream im Internet präsent zu sein. Erste Testläufe dazu hat es schon gegeben. Der BA Berg am Laim hatte etwa seine Juli-Sitzung vergangenes Jahr auf Video aufgezeichnet, um der Stadt zu zeigen: Ein Stream ist möglich, das Gremium technisch dazu in der Lage - wenn sich das Direktorium denn dafür erwärmen könnte.

Die städtische Behörde, zuständig für BA-Angelegenheiten, ist grundsätzlich für derlei Liveschaltungen aufgeschlossen. "Die virtuelle Übertragung von BA-Sitzungen ist aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie ein mögliches Element, um weiterhin die Information eines möglichst großen Personenkreises über die politische Willensbildung gewährleisten zu können", sagt Stefan Hauf vom städtischen Presse- und Informationsamt. Deshalb habe das Direktorium allen 25 Bezirksausschüssen die Rahmenbedingungen für die Einrichtung von Livestreams mitgeteilt: Jeder Bezirk kann einen eigenen externen Dienstleister beauftragen; die Kosten müssen die BA aus ihren Budgets decken.

In Milbertshofen-Am Hart hatte BA-Vorsitzender Fredy Hummel-Haslauer (SPD) mehrere Angebote eingeholt. "Da muss man von Haus aus mehr verstehen, als ich es tue", sagte er dazu in einer BA-Sondersitzung im Januar. Mit 1000 Euro Kosten pro Sitzung müsse man rechnen, gab er an. Das deckt sich mit den Berechnungen anderer Kommunen. Neuried hatte als Vorreiter im Landkreis München schon im Sommer 2020 begonnen, die Vollversammlung des Gemeinderats zu übertragen. "Bei wichtigen Themen wie etwa Kindergartengebühren hatten wir bis zu 150 Teilnehmer, bei anderen maximal fünf", sagt Bürgermeister Harald Zipfel (SPD). Zuletzt seien die Zuschauerzahlen so gering gewesen, dass der Finanzausschuss "im Sinne der Einsparung von Haushaltsmitteln" gefordert habe, das Angebot einzustellen. Und das, obwohl die Gemeinde mithilfe von Handykamera und Richtmikrofon die Kosten auf knapp 400 Euro senken konnte. "Die Übertragung war eine gute Möglichkeit, Entscheidungen transparent zu machen", sagt Zipfel. Es werde nun überlegt, wie man dies wieder anbieten könne.

Dass man mit online gesendeten Debatten zuweilen mehr Menschen erreicht als über die Zuschauertribüne, ist auch im Rathaus bekannt. Seit 2013 werden die Vollversammlungen des Stadtrats live gestreamt und als Videoaufzeichnung zur Verfügung gestellt. "Im Schnitt kann man von 1000 Nutzern während der Sitzung selbst ausgehen", sagt Sprecher Stefan Hauf. Etwa 500 weitere sähen sich die Aufzeichnung in der Mediathek an. Fünf Personen sind Hauf zufolge mit den Livestreams befasst. Drei Mitarbeiter des Presseamts übernehmen Sendeleitung und Abwicklung. Der Ton wird von der Anlage des Ratssaals abgenommen, zwei Kameras sind fest installiert. Ein externer Dienstleister stellt einen Kameramann sowie eine Person, die die Aufnahmen zum Beispiel mit Bauchbinden versieht. "Im Jahr entstehen Kosten in der Größenordnung von rund 30 000 Euro", sagt Hauf.

All das müsste jeder einzelne der 25 Bezirksausschüsse in seinen Sitzungsräumen selbst organisieren - und das kann durchaus eine komplexe Herausforderung sein, wie BA-Chef Wolf jetzt weiß. Er hat in Eigenregie Bild- und Tontechnik ausgetüftelt - und muss während der Sitzung auf zwei Rechnern zwei Kameras steuern, also zwischen dem Fokus auf sich selbst, die jeweiligen Redner und der Präsentation auf der Leinwand hin- und herschalten. "Bisschen so wie in einer Fernsehsendung", sagt er. Ob es am Dienstag klappt, ist noch offen. Denn da wollen sich die Stadtwerke mit einer Präsentation für einen Tagesordnungspunkt zuschalten. "Das muss für alle sichtbar sein, ist aber technisch gar nicht so einfach zu realisieren", sagt Wolf. Unterdessen befürwortet das IT-Referat die Ausweitung der digitalen Bürgerbeteiligung, dennoch müssten IT-Sicherheit und Datenschutz berücksichtigt werden, also die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie die Gemeindeordnung des Freistaats Bayern. Dadurch wird Bürgern garantiert, an einer öffentlichen politischen Sitzung teilnehmen zu dürfen. "Diese ist nach bayerischer Rechtsprechung im Moment ausschließlich als Saalöffentlichkeit anzusehen - und nicht als virtuelle Öffentlichkeit", sagt Thomas Petri, Datenschutzbeauftragter des Freistaats. Wenn allerdings eine öffentliche Stelle Ton und Bild ins Internet übertrage, "greift das ins Persönlichkeitsrecht ein". Deshalb seien Kameraschwenks ins Publikum ausgeschlossen, die Gremiumsmitglieder müssen ihr Einverständnis geben, um gefilmt werden zu dürfen. Der Jurist weist auch auf die Fürsorgepflicht von Verwaltungsorganen hin, nicht alles in die Öffentlichkeit zu tragen. "Nicht jedes Gemeinderatsmitglied ist so geschult in Öffentlichkeitsarbeit wie ein Münchner Stadtrat."

Das Direktorium hat den Bezirksausschüssen ein Musterformular für eine Einwilligungserklärung übermittelt, die vor einem Livestream von allen Sitzungsteilnehmern ausgefüllt werden muss. Angesichts dieser Hürden hat sich nicht nur der BA Milbertshofen-Am Hart gegen Echtzeitübertragungen entschieden. Im Gremium von Schwabing-Freimann haben Wolf zufolge alle Mitglieder eingewilligt. Der Teilnahme-Link, soll, so alles klappt, eine Viertelstunde vor Sitzungsbeginn auf der Seite www.ba12.org eingestellt sein.

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