Psychische und physische Gewalt:SOS-Kinderdorf will Unrechtsvorwürfe aufarbeiten

Psychische und physische Gewalt: 1955 wurde der deutsche Verein SOS-Kinderdorf gegründet, er hat seinen Sitz in München.

1955 wurde der deutsche Verein SOS-Kinderdorf gegründet, er hat seinen Sitz in München.

(Foto: Catherina Hess)

Der in München ansässige Verein setzt eine Kommission ein, um mögliche Misshandlungen und Missbrauch von betreuten Mädchen und Jungen zu untersuchen.

Von Bernd Kastner

SOS-Kinderdorf setzt eine Expertenkommission ein, um Gewalt gegen Jungen und Mädchen in den Einrichtungen des Vereins zu untersuchen und aufzuarbeiten. Das kündigte eine Sprecherin der in München ansässigen und bundesweit tätigen Organisation auf Anfrage der SZ an. Anfang kommenden Jahres sollen die Namen der Kommissionsmitglieder bekannt gemacht werden. Das Gremium wird als Konsequenz aus einem Untersuchungsbericht über Missstände in einem der SOS-Kinderdörfer eingerichtet.

Der Missbrauchsexperte und emeritierte Professor für Sozialpsychologie Heiner Keupp hat in einer Anfang Oktober als Zusammenfassung veröffentlichten Untersuchung dargestellt, was in dieser Einrichtung laut Berichten mehrerer ehemaliger Betreuer von Anfang der 2000er-Jahre bis etwa 2015 geschehen sein soll. Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen zwei damalige Kinderdorfmütter. Eine der beiden Frauen hat auf Fragen der SZ die Vorwürfe bestritten; die andere Frau war nicht zu erreichen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Als Reaktion auf die Veröffentlichung des Keupp-Berichts hätten sich laut SOS vier weitere ehemals Betreute gemeldet. Zu Details machte der Verein zum Schutz der Betroffenen keine Angaben. Die Sprecherin versichert allerdings, "dass wir allen Meldungen umfassend nachgehen".

Eine interne Umfrage führte zu einem Reformprozess bei pädagogischen Konzepten

Laut der SOS-Sprecherin soll sich die Expertenkommission mit allen Meldungen zu Unrechtshandlungen an Kindern in SOS-Einrichtungen befassen. 2010 führte SOS eine interne Umfrage unter Führungskräften durch, um zu erfahren, was ihnen an Unrechtshandlungen bekannt sei. Obwohl zahlreiche Hinweise auf psychische und physische Gewalt eingingen, nahm der Verein diese Hinweise nicht zum Anlass für tiefergehende Recherchen.

"Von Untätigkeit kann aber auch nicht die Rede sein", versichert die SOS-Sprecherin. Der interne Bericht von 2010 habe "zu einem umfassenden Reformprozess pädagogischer Konzepte" geführt. Insgesamt betreibt der Verein 39 Einrichtungen an etwa 230 Standorten in ganz Deutschland, womit er nach eigenen Angaben mehr als 100 000 Kinder, Jugendliche und Familien erreicht. Für SOS arbeiten rund 4600 Menschen.

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