Süddeutsche Zeitung

Freizeit in München:"Man muss das Spielen auf Spielstraßen erst lernen"

Sommerstraßen sollen kein Platz für Veranstaltungen sein, sondern funktionieren wie ein Park, sagt der Landschaftsarchitekt Felix Lüdicke. Doch so eine Verwandlung muss erst angeschoben werden.

Interview von Birgit Lotze

Gleich 14 Sommerstraßen für Spiel und Freizeit im Urlaub zu Hause hat die Stadt eingerichtet - eine gut gemeinte Spontanaktion, aus der Corona-Not geboren. Bei manchen schauen Anwohner bei einer Veranstaltung vorbei, andere werden - noch? - so gut wie gar nicht besucht. Es gibt auch Kritik - vor allem von denjenigen, die in den freien Parkbuchten gerne ihr Auto abstellen würden. Eine Sommerstraße ragt heraus, dazu hört man kaum Unmut, ein Platz, der ganz andere Startvoraussetzungen hatte: die Piazza Zenetti im Schlachthofviertel. Während bei 13 neuen Sommerstraßen nicht zuletzt die Mitglieder der Bezirksausschüsse gefordert sind, Programm zu bieten, noch dazu reichlich spontan, und die Stadt sich in der Eile mitunter darauf beschränkt, Blumenkübel aufzustellen und Schilder anzubringen, haben die Behörden sich am Zenettiplatz viel Mühe gegeben - ein Modellprojekt von City2Share, mit langer Vorplanung und viel Unterstützung. Landschaftsarchitekt Felix Lüdicke hat Sommerstraßen-Erfahrung: Er betreut die Anwohner der Piazza Zenetti schon den dritten Sommer.

SZ: Den freien Raum auf der Straße nutzen: Braucht es eine Anleitung dafür?

Felix Lüdicke: Ja, man muss das Spielen auf Spielstraßen erst lernen. Jeder, auch meine Kinder, lernt als Erstes, man spielt nicht auf der Straße. Das ist ja schon bei fest eingerichteten Spielstraßen ein Problem. Dort kann man meist schlecht spielen, einen Ball braucht man da nicht rauszuholen, man könnte teure Autos verkratzen oder gerät durch fahrende in Bedrängnis. Es gibt so etwas wie eine Schwellenangst, so meine persönliche Beobachtung.

Wie kann man diese Hürde nehmen?

Das ist schwierig, wenn man so eine Sommerstraße von jetzt auf sofort einrichtet. Man muss das anschieben und die Leute mitnehmen. Ich wohne an der Südlichen Auffahrtsallee am Kanal, auch eine der Sommerstraßen. Im Winter funktioniert das auf dem zugefrorenen Kanal total gut. Die Leute bringen alles mit, was sie so brauchen, Schläger, Schlittschuhe, warme Getränke. Einfach, weil man das kennt. Es wäre toll, wenn die Sommerstraßen auch so werden. Dass alle was mitbringen, wissen, was sie dort tun können, Federball zum Beispiel. Oder dass man einfach hingeht, weil man weiß, dass man dort Leute trifft.

Muss man also am Anfang so etwas wie ein Aktionsprogramm bieten?

Ja, das haben wir am Zenettiplatz gelernt. Gerade, wenn man das nicht kommerziellen Betreibern wie Gastwirten oder Geschäften überlassen will. Es braucht zunächst ein anstiftendes Programm, auch wenn es vom Konzept her gar nicht so gedacht ist. Denn eigentlich soll die Straße kein Platz für Veranstaltungen sein, sondern sie soll funktionieren wie ein Park. Da gibt's vielleicht auch mal 'nen kleinen Kiosk, aber ich bring' meine Picknickdecke mit - so ist die Vorstellung. Aber es gibt kein Bild im Kopf für eine parkähnliche Wahrnehmung von Straße. Und die Anwohner müssen ja erst einmal die Möglichkeiten sehen, die so ein Raum bietet. Da braucht's deshalb ein Programm und eine gewisse Struktur, eine Eröffnung, die offizielle Übergabe sozusagen, und Aktionen, die die Anwohner zusammenbringen und die Benutzung anregen. Ja, das würde den Sommerstraßen guttun.

Wie funktioniert die Piazza Zenetti - alles reibungslos?

Sie hat einen Vorsprung und sie hat den Vorteil, dass es dort eine Gestaltung gibt und eine Infrastruktur. Die Frage ist, wann sie wie funktioniert. Mittags sitzen dort die Bauarbeiter vom Volkstheater und nehmen ihre Brotzeit ein. Sehr etabliert hat sich die Einrichtung des Bücherschranks. Darüber finden viele Begegnungen statt. Manche kommen auch von der Eisdiele aus der Adlzreiterstraße. Zum Feierabend ist dann mehr los. Für den angrenzenden kleinen Pizzaladen haben wir eigens einen großen Mülleimer gebaut. Die Anwohner gießen die Blumen und Bäume in den Töpfen, der Pizzaladen kümmert sich darum, dass auch die Kronkorken und Pizzakartons, die immer wieder dort herumliegen, in den Abfall kommen. Es gibt dort ein Netzwerk, das funktioniert, auch wenn kein Programm stattfindet. Der Ort funktioniert tatsächlich wie eine italienische Piazza.

Und was sollte die Möblierung bieten?

Als Landschaftsarchitekt bin ich der Auffassung, es kommt auf die Straße an, was und wie viel man reinstellt. Das reine Aufstellen von Blumenkisten ist ein Anfang, aber man sollte die Möglichkeiten vor Ort nutzen. Durch individuelle Gestaltung kann man viel erreichen. Ich engagiere mich gerade an der Auffahrtsallee und habe das auch für die Sommerstraße Am Glockenbach vor. Für die Auffahrtsallee wird man vermutlich in den nächsten Wochen die Sportsachen packen, jedenfalls haben sich schon Leute dort zum Badmintonspielen verabredet. Am Glockenbach ist alles gepflastert, nichts für Inline-Skates. Dafür gibt's da ein schönes Muster am Boden. Ich möchte die Anwohner gerne anschubsen, das Pflaster zu bemalen und dabei das Muster aufzunehmen. So kann man mit einfachen Gestaltungsmitteln Räume schaffen. Am Glockenbach bietet sich zur Nutzung als kleiner Vorgarten an, so wie das früher auch üblich war. Am besten, die Anwohner trauen sich möglichst bald, Stühle rauszustellen.

Auf der Homepage www.raumzeug.de findet man Anregungen für die Sommerstraßen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5007501
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.08.2020/lfr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.